30. Juli 2014
Studierende der Filmwissenschaft haben sich auch in diesem Sommersemester wieder als Filmemacher versucht. Entstanden sind sechs sehr unterschiedliche Werke, die beim Premierenabend des Filmischen Modellversuchs 2014 auf dem Gutenberg-Campus zur Aufführung kamen. Die Studierenden realisierten ihre Produktionen ohne Budget, doch die Ergebnisse begeisterten das Publikum.
Anna Neata erzählt von ihrer Kunst: "Ich gehe gern von innen an die Emotionen heran", sagt sie. Die Filmszene zeigt die Schauspielerin in Schwarz-Weiß. Der Raum um sie herum bleibt vage, er ist kaum auszumachen. Im Mittelpunkt steht Neata mit hochgesteckter Frisur, ihr Gesicht, ihr Ausdruck, ihre ruhig vorgetragenen Aussagen. Nichts lenkt ab. "Ich kann, wenn ich starre, Tränen erzeugen."
Schnitt. Plötzlich scheint da eine ganz andere in die Kamera zu schauen. Das Haar offen, die Lippen sind dunkler, das Gesicht wirkt blasser. Doch wieder ist es Anna Neata. Nun spielt sie sich durch die Rollen, durch die Emotionen. Bewegung kommt in ihren Körper, ihre Mimik wird ausdrucksvoller. Sie scheint lebendiger, wenn sie nicht sie selbst ist.
Modellversuch mit Tradition
"Für Freude keine Geste“ heißt der kurze Dokumentarfilm. Nach wenigen Minuten schon ist er vorbei. Doch er bringt dem Zuschauer diese Frau ungeheuer nahe, die über sich sinniert: "Wer ich auf der Bühne bin? Ich weiß nicht mal, wer ich im Leben bin."
Wenn die Studierenden der Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zur Premierenvorführung ihres Filmischen Modellversuchs, kurz Fimo, einladen, kommen die Zuschauer zu Hunderten. In diesem Jahr füllen sie beinahe den größten Hörsaal des Philosophicums.
"Der Fimo hat eine lange Tradition", erzählt Claudia Mehlinger, die zusammen mit Renate Kochenrath das Projekt am Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft betreut. "Sie reicht zurück in die 1990er-Jahre, in die Zeit der Institutsgründung." Beim Fimo nehmen die Studierenden alles selbst in die Hand. Sie entwickeln die Konzepte, schreiben die Drehbücher, führen Regie, schneiden das Material und vieles mehr.
Praxistest für Studierende
In Workshops werden sie auf diese Aufgaben vorbereitet. Hier engagieren sich Profis für eine kleine Aufwandsentschädigung. Ein wirkliches Budget gibt es nicht, auch wenn die Fachschaft in diesem Jahr 60 Euro pro Film zur Verfügung stellte.
"Filmwissenschaft ist eher ein theoretisches Studium", meint Sophie Hartleib. "Der Filmische Modellversuch ist unsere einzige praxisorientierte Veranstaltung." Die Studierenden können ausnahmsweise jenes Filmemachen ausprobieren, das sie sonst wissenschaftlich begleiten und reflektieren. Eva Scholz, Anja Schwamberger und Sophie Hartleib haben sich dabei für das Porträt einer Schauspielerin entschieden. Sie konzipierten "Für Freude keine Geste".
"Jede Gruppe hatte vier Drehtage und vier Tage für den Schnitt", erklärt Hartleib. Für den Dreh sammelte das dreiköpfige Kernteam Studierende für Kamera, Ton, Licht und Co. um sich. Und es musste eine Schauspielerin gefunden werden.
Spielen ohne Gage
Anna Neata erklärte sich nicht nur zur Mitarbeit ohne Gage bereit, sie zeigte auch großes Engagement, mit dem Hartleib so nicht gerechnete hatte. "Sie hat ungeheuer offen von sich erzählt. Die Fragen, die ich ihr gestellt habe, wollte sie vorher gar nicht sehen. Trotzdem hat sie alles beim ersten Mal perfekt beantwortet. Wir mussten nichts zweimall drehen. Es ging uns darum zu zeigen, wie Anna selbst ist. Es ist ein extrem subjektiver Film geworden."
Sechs Kurzfilme präsentieren die Studierenden an diesem Abend. Es sind sechs sehr unterschiedliche Beiträge geworden. Mit chaotischem Humor erzählen sie von naiven Bankräubern, die sich auf ihren Überfall vorbereiten, oder vom Leid des Drehbuchautors, dem einfach nichts einfällt. Ein Vorstellungsgespräch wird zum kafkaesken Alptraum und unter dem vielsagenden Titel "Spoiler" werden die Sehgewohnheiten des Publikums gründlich unterlaufen.
Jascha Gassen, Christian Alexius und Lenny Heller stellen in ihrem Film ebenfalls eine Schauspielerin in den Mittelpunkt, doch sie gingen völlig anders vor als Hartleib und ihre Kommilitoninnen.
Computer führt Regie
Der Zuschauer blickt quasi durch einen Computerbildschirm in das Zimmer einer jungen Frau, dargestellt von Anabel Möbius. Diese Schauspielerin steht vor dem Scheitern, also lädt sie sich dieses neue Programm herunter, das dem Film seinen Titel gibt: "Mousa". Sie starrt auf den Bildschirm – und damit irgendwie ins Publikum.
"Mousa" spielt in der nahen Zukunft, in der PCs etwas mehr können als in der Gegenwart. Das frisch installierte Schauspielprogramm entwickelt bald eine beängstigende Initiative. Es übernimmt die Regie und drangsaliert seinen Zögling. Als Stimme aus dem Off ist "Mousa" zu hören. Sachlich klingt es, aber bestimmt – und wirkt dadurch umso beängstigender in seiner Entschiedenheit.
"Wir hatten großes Glück, dass wir für die Stimme den Schauspieler Torben Kessel bekommen konnten", sagt Heller. Auch Kessel arbeitete ohne Gage. "Er meinte, dass er in solchen Filmen nur mitspielt, wenn ihn das Projekt begeistert." Das war offensichtlich der Fall.
Guter Jahrgang
"Dass wir kaum Geld haben, ist auch eine Chance", meint Heller. "Unsere Filme leben davon, dass sie nicht perfekt sind. Mit einem Budget wäre vielleicht etwas ganz anderes herausgekommen. Wir haben uns zum Beispiel auf eine Einstellung beschränkt." Zweifellos trägt das zur dichten Atmosphäre von "Mousa" bei. Die enge Welt des kleinen Zimmers erzeugt Beklemmung.
Von der Last des Filmemachens will Heller nicht viel wissen. "Heute gibt es so tolle Möglichkeiten, einen Film zu realisieren. Schon Handys machen gute Bilder. Und man muss so einen Film nicht unbedingt auf der großen Leinwand zeigen. Es gibt ja das Internet."
Nach dem Premierenabend von Fimo 2014 sind nicht nur Mehlinger und Kochenrath von der Qualität der Produktionen angetan. Der Applaus im Saal brandet gewaltig, als sich die Filmteams präsentieren. Zum Abschluss resümiert Heller selbstbewusst vor der dunklen Leinwand: "Ich finde, wir sind ein guter Jahrgang ... also: Wir alle."