9. Juli 2013
Im Mai 2013 begrüßte die Gutenberg-Akademie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ihre neuen Juniormitglieder, darunter Stefan Geiß vom Institut für Publizistik. Sein großes Thema sind Medien und Meinungsbildungsprozesse. Diesem Spannungsfeld widmet er sich auch in seiner Doktorarbeit.
Drei Schlagzeilen aus dem April 2012: Der norwegische Attentäter Anders Breivik steht vor Gericht. Der syrische Bürgerkrieg will nicht enden. Und in Deutschland diskutieren die Parteien eifrig über das Betreuungsgeld. Wie lange werden diese Themen die Medien beherrschen? Wie reagieren die Leser der Zeitungen und die Zuschauer vorm Bildschirm auf diese Nachrichten? Was interessiert auf Dauer, was geht unter in der Flut der Bilder und Worte?
Stefan Geiß sucht in seiner Dissertation "Die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit. Thematisierungsdynamik der Medien und Meinungsbildungsprozesse der Rezipienten" nach Antworten auf diese Fragen. Zwar steckt er noch mitten in der Arbeit, die Auswertungen laufen noch. Doch ein paar Einblicke kann er schon geben.
Konsumenten reagieren sehr individuell
"Uns hat überrascht, dass Menschen doch ziemlich individuell auf Nachrichten reagieren", skizziert Geiß eine Erkenntnis. "Zum Beispiel spielt es im Meinungsbildungsprozess kaum eine Rolle, dass ein Thema gemeinhin als wichtig gilt. Es muss das Interesse des Individuums wecken. Man muss es auf sich selbst beziehen können, dann bleibt man dran."
2013 ist für Geiß ein gutes Jahr. Im Mai wurde er als Juniormitglied in die Gutenberg-Akademie aufgenommen. Das bringt nicht nur finanzielle Unterstützung: Die Akademie stellt ihm Mentoren zur Seite, die auf seine Interessen zugeschnitten sind, und sie hilft, Netzwerke auf dem Campus und darüber hinaus zu bilden. "Es weitet den Horizont", freut sich Geiß. "Ich lerne auch andere Juniormitglieder kennen und erfahre viel mehr darüber, was es so alles gibt an der Uni."
Vor wenigen Wochen hat der Doktorand dann auch noch sein Büro im neu eröffneten Georg-Forster-Haus bezogen. Noch sieht alles frisch und unbenutzt aus. Aber das wird sich sicher bald ändern. Geiß hat viel zu tun, auch wenn er im Gespräch sehr entspannt wirkt.
226 Mainzer am Telefon
Für seine Doktorarbeit kann er aus einer aufwendigen Telefonbefragung schöpfen, die er gemeinsam mit seinem Doktorvater Prof. Dr. Hans Mathias Kepplinger initiierte. 226 Mainzer wurden ab April 2012 im Wochenabstand interviewt. "Wir wählten vorher drei Themen aus, zu denen wir sie befragen wollten." Syrien, Breivik und das Betreuungsgeld hatten gute Chancen, über längere Zeit aktuell zu bleiben. "Wobei wir uns mit Breivik etwas verschätzt hatten, das flaute nach den ersten Prozesstagen schnell ab."
Die Mainzer gaben unter anderem Auskunft darüber, welche Eigenschaften ein Thema für sie hat, wie dynamisch es sich entwickelt, wie interessant sie die jeweiligen Schlagzeilen finden oder wie gut sie sich informiert fühlen. "Wir mussten das in unseren Fragen natürlich vom abstrakten Level auf die Alltagssprache herunterbrechen."
Die zweite Säule der Untersuchung gründet auf der Analyse der Medien, die die Befragten konsumierten. Zwei Zeitungen sowie Nachrichtensendungen von ARD, ZDF und RTL standen im Fokus. Das alles wurde und wird von einem Team, in das auch ein Hauptseminar des Instituts für Publizistik an der JGU eingebunden ist, ausgewertet und in Zahlen gegossen. Denn Geiß interessiert nicht so sehr der Verlauf der Einzelfälle, vielmehr geht es ihm um statistisch verifizierbare Zusammenhänge.
Wie erzeugen Medien Aufmerksamkeit?
Zwar sind einige dieser Zusammenhänge der Forschung längst bekannt: Was näher am Rezipienten dran ist, was ihn direkt betrifft, interessiert ihn länger. Vorgänge, die immer neue Facetten bieten, halten Menschen besser bei der Stange. Und es gibt Bereiche, von denen jeder annimmt, dass man darüber einfach Bescheid wissen muss.
Doch Geiß und seine Helfer schauen noch genauer hin. „Wir wollen wissen, mit welchen Mitteln die Medien versuchen, die Aufmerksamkeit der Leute wach zu halten. Wie ist da die Wechselwirkung?“ Darüber werden die nächsten Analysen Auskunft geben.
Aber schon jetzt ist für Geiß klar: "Die Konsumenten der Medien agieren unabhängiger, als wir angenommen haben." Sicherlich ist ein Thema wie der Bürgerkrieg in Syrien jedem präsent. Aber ob man sich informiert, wo genau gekämpft wird, was die tieferen Zusammenhänge des Konflikts sind, hängt von der jeweiligen Interessenslage ab.
Plädoyer für mehr Kompetenz
"Es gibt Leute, die sagen: Du gibst mit deiner Arbeit den Medien Strategien an die Hand, wie sie ihre Zuschauer und Leser wirksam manipulieren können." Das könnte in der Tat eine Seite der Medaille sein, doch Geiß ist die andere wichtiger: "Forschung informiert über die Mechanismen, über die Art, wie Medien von der Gesellschaft konsumiert werden, wie die Medien Nachrichten aufbereiten. Dazu soll meine Doktorarbeit einen Beitrag leisten."
"Medienkompetenz" ist als Schlagwort in aller Munde, doch für Geiß ist es mehr als nur ein Schlagwort, denn genau in diese Richtung geht seine Arbeit: Wer um die Zusammenhänge weiß, kann mehr Abstand gewinnen und souveräner mit Medien umgehen. "Diese Mechanismen sind ja so kompliziert nicht. Und die breite Bevölkerung in Sachen Medienkompetenz zu schulen, würde der Demokratiequalität in Deutschland guttun."
Doch noch sind Geiß und seine Mitstreiter mitten in der Auswertung. Wer weiß, was sie alles noch herausfinden über die Medien und die sie konsumierenden Menschen.