7. Februar 2017
In einem Praxisworkshop im Fach Theaterwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist die Ausstellung "SPIEL BAR" entstanden, die aktuell in der Schule des Sehens auf dem Gutenberg-Campus zu sehen ist. Die Werkschau bietet einen Einblick in die Welt des Spiels und macht Verbindungslinien zu anderen Genres deutlich. Zwölf Masterstudierende zeigen hier Prototypen, die spielend modifiziert werden dürfen, sie inszenieren Rätsel, die auf Lösungen warten, und spielen Theater.
Die Stimme eines eben erwachenden jungen Mannes ertönt in der Schule des Sehens. Er klingt desorientiert und verunsichert. "Mein Gott, wo bin ich denn hier? Es ist so dunkel, ich sehe gar nichts." Allmählich kehrt die Erinnerung zurück: an einen Abend im Kulturcafé auf dem Campus, an eine Party, an ein Mädchen. "Was habe ich denn da um den Hals? Etwas Weiches, einen Schal. Er riecht nach dem Mädchen. Hallo? Ist da jemand?"
Tatsächlich ist da jemand in der Schule des Sehens. Zu siebt sitzen sie vor einem iPad und dem skizzenhaften Grundriss eines Labyrinths. Sie hören die Stimme, wissen aber nicht, woher sie kommt. Sie können auch nicht direkt Kontakt aufnehmen. Aber über jenes iPad können sie dem Mann einfache Anweisungen geben, die vielleicht weiterhelfen: zwei Schritte vorwärts, ein Schritt nach links oder nach rechts. "Wie wär's, wenn wir ihn erst mal gegen eine Wand schicken?", feixt jemand. Das Spiel beginnt.
Prototypen auf dem Prüfstand
Rund drei Wochen ist die Werkschau "SPIEL BAR" im Ausstellungsraum der Schule des Sehens direkt neben dem Philosophicum zu Gast. Ein Dutzend Masterstudierende der Theaterwissenschaft präsentieren hier Spiele verschiedenster Art zum Erkunden und Ausprobieren. Anregungen und Kritik sind ausdrücklich erwünscht, denn es handelt sich um Prototypen, um mehr oder weniger unausgereifte Entwürfe, die oft noch nicht hundertprozentig funktionieren.
"Wir sind schon ein wenig stolz darauf, dass wir zu zwölft so eine Ausstellung zustande gebracht haben", meint Franziska Berlitz. "Am Anfang hatten wir enormen Respekt vor der Aufgabe." Aber die Nachfrage ist groß, insbesondere nach den Escape Games, von denen eines gerade im Gange ist. "Wir sind völlig und bis auf den letzten verfügbaren Slot ausgebucht", erzählt Dr. Stefanie Husel vom Fach Theaterwissenschaft der JGU. "Eine Gruppe von Theaterpädagoginnen kommt sogar extra aus Heidelberg."
Husel hat im Wintersemester 2016/2017 einen Praxisworkshop rund um das Thema Spiel und Spielen angeboten. Eine Veranstaltung dieser Art ist fester Teil des Masterstudiums Theaterwissenschaft, findet jedoch meist in Form einer dramaturgischen Übung statt. Husel kam nun mit etwas Neuem. Spieltheorien und die Kulturgeschichte des Spiels gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten und angeregt durch das 3. Mainzer Symposium der Sozial- und Kulturwissenschaften zum Thema "Spiele spielen" im vorigen Sommer an der JGU konzipierte sie ihr spezielles Lehrangebot.
Spieleklassiker neu interpretiert
"Beim Symposium war unter anderem Robin Hädicke von machina eX zu Gast", erzählt Husel. "machina eX verbindet Elemente des Computerspiels und des Theaters. So etwas wollte ich auch mit den Studierenden machen." Husel gewann Hädicke für ihren Workshop: An zwei Wochenenden beschäftigten sich die Studierenden auf unterschiedlichste Weise mit dem Thema Spiel.
"Die Studierenden sollten selbst Gesellschaftsspiele mitbringen, um sie dann zu modifizieren oder miteinander zu mischen", erzählt Husel. Sieben Beispiele sind in der Werkschau "SPIEL BAR" spielbar. Unter anderem steht dort ein Königs-Mensch-ärgere-Dich-nicht: Bei dieser Neuinterpretation des Spieleklassikers kommt nicht nur ein Würfel zum Einsatz, sondern es wird einer in jeder Spielerfarbe verwendet. Wer dran ist, würfelt für jede Farbe und setzt auch die Figuren jeder Farbe – und das nicht nur vor, sondern auch zurück. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, aber auch ein Bedarf an zusätzlichen Regeln. Am Tisch liegt ein Block fürs Feedback, in dem solche Details von den Gästen diskutiert werden können.
"Das sind alles unfertige Spiele", betont Husel, "und es ist unser Praxistest. Wir hatten gar nicht genug Zeit, alles selbst ausführlich auszuprobieren." Das geschieht nun und so entwickeln sich innerhalb der "SPIEL BAR"-Ausstellung weitere Spielideen und -varianten. "Und das Schöne an Spielentwicklung ist, dass sie immer auch Spielen bedeutet."
Spiel als ästhetisches Prinzip
Für Dr. Stefanie Husel ist der Aspekt des Spiels gerade mit Blick auf die Theaterwissenschaft viel zu wenig ausgelotet. "Die Idee ist, Spiel als ästhetisches Prinzip zu begreifen, das vielen anderen ästhetischen Praktiken zugrunde liegt. In fast allen ästhetischen hochkulturellen Praktiken sind Spielelemente zu finden", skizziert sie einen Grundgedanken.
"Bei uns hat jeder an jedem Spiel mitgearbeitet", erzählt Ingrid Reitenbach. Wie für die anderen Masterstudierenden auch bedeutete der Workshop für sie vollkommenes Neuland. "Mit Spielen haben wir uns vorher gar nicht beschäftigt." Nun sollten sie selbst welche erschaffen.
Einige Töpfe mit Knetgummi stehen auf einem der Tische, dazu liegen Kartenstapel mit Begriffen zu Gebieten wie "Geschichte" oder "Theater" bereit, die erknetet und erraten werden müssen. Auf dem Feedback-Block moniert jemand den Schwierigkeitsgrad: "Musical" sei ungeheuer schwer zu kneten. Auch "Regisseur" oder "Oper" sind echte Herausforderungen.
Die sieben Tische mit den Spielen sind aber nur der Anfang. Wer in die "SPIEL BAR"-Werkschau kommt, kann noch komplizierter und raffinierter spielen. "Lost in Space" etwa lädt zu einer Schnitzeljagd ein: Die Spielerinnen und Spieler bekommen einen Briefumschlag mit Satzfragmenten und einen fingierten Zeitungsartikel, in dem von einem verschwundenen Professor die Rede ist. Sie begeben sich auf dessen Spur. Quer über den Gutenberg-Campus sind Stationen zu entdecken, die Hinweise zum Hintergrund des rätselhaften Verschwindens geben.
Remote Escape Games
Unbestrittener Höhepunkt sind die beiden Remote Escape Games "Top Secret" und "First Date". Sie verbinden ganz im Sinn von machina eX spielerische mit theatralen Elementen.
In "First Date" hat der junge Mann lange gebraucht, um das Labyrinth zu verlassen. Endlich ist er in einem beleuchteten Raum gelandet. Nun übertragen Kameras sein Bild auf eine Wand im Ausstellungsraum und die Spielrunde kann ihn sehen. Er hat das Mädchen vom Abend zuvor getroffen. Es war gefesselt und er hat es mit der Hilfe der Gruppe befreit. Auch das war nicht so einfach, denn die Tipps, die per iPad an ihn gesendet werden durften, waren spärlich. Nun stellen die beiden fest, dass sie in dem Raum gefangen sind. Er ist verschlossen. Aber immerhin ist da dieser Tisch mit einer ganzen Reihe an Utensilien. Was sollen sie tun? Wieder brauchen sie Hilfe.
Mathias Müller und Marie Schmidt verkörpern an diesem Abend das gefangene Pärchen. Sie spielen tatsächlich Theater in der "SPIEL BAR"-Ausstellung. Das Feedback der Besucherinnen und Besucher, festgehalten auf Notizzetteln und an die Wand gepinnt, liest sich wie eine spezielle Art von Applaus. "Coole Geschichte" steht dort. "Spannend." "Sehr schön." "Super gespielt." Die interaktive Werkschau kommt an, ihre Spiele sind ein Gewinn.