Studierende reißen Sprachbarrieren ein

24. September 2012

Wer einen Behördengang vor sich hat, aber nicht ausreichend Deutsch spricht, kann sich in der Region Germersheim an den Dolmetscherpool wenden. Hier helfen 30 Studierende des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaften (FTSK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bei Terminen mit sozialen Diensten, dem Jugendamt oder anderen Behörden. Anfang des Jahres wurde der Pool gegründet, ab 2013 erhält er finanzielle Unterstützung durch den Integrationsbeauftragten, um seine Arbeit fortsetzen zu können.

Die Albanerin flüchtet ins Frauenhaus. Dass sie Hilfe braucht, ist klar, aber sie kann sich nicht verständlich machen. Ihr fehlen buchstäblich die Worte: Sie spricht kein Deutsch. Ähnlich geht es dem syrischen Flüchtling. Sprach- und hilflos steht er den Ämtern gegenüber, die nicht so recht wissen, wie sie seine Not verwalten sollen. Und der türkischen Frau ist es einfach peinlich, dass sie bei der Schwangerschaftsberatung nichts versteht. Sie nickt alles ab. Was folgt, ist ein Kette von Missverständnissen. Dann steht das Jugendamt vor der Tür.

In all diesen Fällen konnte der Dolmetscherpool Germersheim helfen. Seit Januar 2012 läuft das Projekt von Studierenden des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Prof. Dr. Bernd Meyer betreut die jungen Dolmetscher. Der Pool passt wunderbar in seinen Arbeitsbereich: die interkulturelle Kommunikation.

Es begann schleppend

"Wir sind auf dem Weg zu einer Marke", sagt Meyer selbstbewusst. In rund 60 Einsätzen waren die Studierenden bereits dabei und die Nachfrage steigt ständig. Dabei begann es eher schleppend. "Am Anfang haben sie uns nicht gerade die Bude eingerannt", erinnert sich Meyer. "Wir hatten zunächst nur eine Kooperation mit dem Germersheimer Jugendamt." Die Sozialarbeiter wollten wissen, ob es möglich sei, ausnahmsweise die Sprachkenntnisse der angehenden Dolmetscher zu nutzen. Das war der Anstoß, den Pool zu gründen.

"Was den Kontakt mit uns betrifft, sind die Leute in den Behörden und Beratungsstellen zuerst oft zögerlich", erzählt Feyza Evrin. Die Studierende koordiniert als wissenschaftliche Hilfskraft die Einsätze des Pools. "Die denken, das sei mit viel Bürokratie, mit Formularen und mit Kosten verbunden. Wenn sie dann merken, dass es ganz unkompliziert geht, sind sie dabei."

Es funktioniert unkompliziert

Mindestens 24 Stunden vor dem Einsatz sollten sich die Interessenten melden. Kosten entstehen nicht, denn die Studierenden engagieren sich ehrenamtlich im Pool. Nur ein Praktikumsschein winkt, den sie sich für ihr Bachelor- oder Masterstudium anrechnen lassen können.

Dieses unkomplizierte Vorgehen weckte das Interesse weiterer Institutionen. Die Caritas Speyer meldete sich und die Migrationsbeauftragte von Landau fragte an. "Eigentlich wollten wir unsere Einsätze auf die Region Germersheim/Speyer beschränken", erzählt Meyer. "Aber als der Landauer Bürgermeister zusagte, dass unsere Fahrtkosten übernommen würden, war die Sache klar."

Das Sprachenangebot der Studierenden ist umfangreich: Albanisch, Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Nordkurdisch, Polnisch, Russisch, Spanisch und Türkisch stehen auf dem Programm. Dabei kommen vor allem Muttersprachler zum Einsatz.

Es geht oft um Missverständnisse

Derya Karadal stammt aus der Türkei. Drei Einsätze hat die Studierende hinter sich, zwei davon fürs Jugendamt. "Ein Kind, das eingeschult werden sollte, hatte den Termin beim Schularzt nicht wahrgenommen." Ein Mitarbeiter des Jugendamts machte einen Hausbesuch, unterstützt von Karadal. "Das ist ja schon eine Intervention, jemanden in seinem Zuhause aufzusuchen", meint die Studierende.

"Ich musste der Familie die Bedeutung des Arztbesuchs deutlich machen." Mehr war kaum nötig. Karadal mit ihrem Kopftuch beseitigte nicht nur die Sprachbarriere, auch ihre Herkunft spielte eine Rolle. "Die Familie hat sich sehr gefreut, dass ich dabei war."

In einem ähnlichen Fall ging es wieder um einen nicht wahrgenommenen Arztbesuch. "Da stellte sich schnell heraus, dass es sich um einen Kommunikationsfehler zwischen Behörden handelte. Die Betroffenen selber konnten gar nichts dafür."

Es fehlt die richtige Einstellung

Angesichts solcher Erfahrungen ist Karadal von der Wichtigkeit ihrer Arbeit überzeugt. "Es ist eine tolle Erfahrung, zu helfen – und es ist ein Gewinn für mich. In einem anderen Praktikum hätte ich vielleicht Kaffee gekocht und Dinge getan, die nichts mit meinem Studium zu tun haben."

"Es ist schon merkwürdig", sinniert Meyer. "Vor Gericht haben sie ein Recht auf einen Dolmetscher, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Bei vielen anderen wichtigen Terminen ist das gar nicht vorgesehen. Viele vertreten den Standpunkt: 'Die Leute sollen gefälligst Deutsch lernen.'"

Das sei eine Einstellung, die Missverständnisse und Konflikte begünstige. "Und sie wird oft von Menschen vertreten, die selbst nie richtig eine Fremdsprache lernen mussten. Wenn Sie einen harten Job haben und nebenher noch Deutsch lernen sollen, ist das keine Kleinigkeit."

Es tut sich was bei der Caritas

"Bei den Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten, erleben wir eine andere Haltung", stellt Evrin klar. "Die machen sich Gedanken über die Problematik." Und sie buchen die Helfer des Dolmetscherpools. "Bei der Caritas Speyer geht das sogar so weit, dass sie ein neues Terminvereinbarungssystem eingeführt haben."

Vor einem Besuch füllt der Mitarbeiter jeweils einen Bogen aus, in dem er auch ankreuzt, ob Bedarf an einem Dolmetscher besteht oder nicht. "Das ist ganz klar ein Effekt unseres Pools", sagt Meyer, "so ein Vorgehen wäre ja ohne unsere Hilfe gar nicht möglich." Die Caritas könnte normalerweise nicht in diesem Maße auf Dolmetscher zurückgreifen, das gibt ihr Budget nicht her. "Wie nehmen also nicht etwa professionellen Dolmetschern die Arbeit weg. Das ist uns wichtig."

Es mangelt an Geld für 2013

30 Studierende gehören zurzeit zum Pool. Sie werden auf vielfältige Weise geschult: Mitarbeiter vom Jugendamt und der Caritas sind regelmäßig zu Gast, es gibt Gesprächssimulationen und vieles mehr. Die JGU hat bis September 2012 Mittel zur Verfügung gestellt, damit Evrin als wissenschaftliche Hilfskraft die Termine koordiniert. "Mit etwas Improvisation können wir bis Ende des Jahres so weitermachen. Dann brauchen wir Unterstützung", mahnt Meyer an.

Und mit etwas Glück wird die kommen: Der rheinland-pfälzische Integrationsbeauftragte hat dem Projekt für das Jahr 2013 rund 10.000 Euro in Aussicht gestellt. "Ich finde, das sollte der Gesellschaft unsere Arbeit wert sein", sagt Meyer. Die Studenten sind bereit, Meyer auch. Fast alles geschieht hier ehrenamtlich. Mit etwas Unterstützung kann der Dolmetscherpool weiterarbeiten.