Translation ist allgegenwärtig, aber oft unsichtbar

5. Juli 2021

Der Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) liegt mit seinem Campus Germersheim knapp 100 Kilometer entfernt von Mainz, dennoch gehört er fest ins Gefüge der JGU. Anlässlich des 75. Jahrestags der Wiedereröffnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) lädt Dekanin Prof. Dr. Dilek Dizdar zwei Alumnae zum Gespräch ein, um einen Eindruck von der Vielfalt des FTSK zu vermitteln.

"Wenn Sie einmal bewusst durch den Tag gehen, werden Sie schnell bemerken: Es verstreichen keine zwei Stunden, ohne dass Ihnen Translation begegnet", meint Prof. Dr. Dilek Dizdar. "Nehmen Sie allein die internationalen Nachrichtenagenturen, ohne die weder Zeitung noch Tagesschau auskommen. Hier sind natürlich Übersetzende am Werk. Wenn Sie ins Internet gehen, stoßen Sie auf Übersetzungen, wenn Sie ausländische Filme schauen ebenso – oder wenn Sie die Bedienungsanleitung zu Ihrem Staubsauger lesen. Translation ist überall."

Jeder habe stereotype Bilder vom Übersetzen im Kopf, doch die deckten sich nur mit einem winzigen Ausschnitt dieses weiten Berufsfeldes. "Außerdem entwickeln sich ständig neue Dinge", stellt die Dekanin des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft fest. "Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung oder im Zuge der Migration verändert sich der Tätigkeitsbereich laufend. Wir haben es mit einem riesengroßen Gebiet zu tun."

Warschau, Hamburg, Germersheim

Zum Jubiläum des 75-jährigen Bestehens der JGU möchte Dizdar ein wenig ihren Fachbereich beleuchten, der einst als eigenständige Staatliche Dolmetscherhochschule von der französischen Besatzungsmacht gegründet wurde und dann diverse Stadien durchlief, die ihn immer enger mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zusammenbrachten. Doch will sie dies nicht mit einem Blick in die Geschichte tun, dazu lässt sich an anderer Stelle bereits einiges nachlesen. Die Festschrift zum Jubiläum etwa enthält einen informativen Beitrag ihrer Kollegin Dr. Maren Dingfelder Stone. Dizdar wählt einen anderen Weg: Sie hat zwei Absolventinnen des FTSK zum Gespräch eingeladen.

Die Pandemie macht es allerdings schwer, sich persönlich zu treffen, deswegen sind die beiden Gesprächspartnerinnen digital zugeschaltet: Elvira Iannone arbeitet zurzeit in Hamburg, Ekaterini Ntouska meldet sich aus Warschau. Beide freuen sich über das Wiedersehen, denn sie kennen Dizdar persönlich. Auf dem Campus des FTSK in Germersheim mit seinen rund 1.100 Studierenden ist der Umgangston recht vertraut, auch wenn es sich um eine der größten Ausbildungsstätten für Dolmetschen und Übersetzen weltweit handelt.

Ekaterini Ntouska schloss ihr Studium 2019 mit einem Master in Translation ab. "Ich war mit der Intention an den Fachbereich gekommen, als Übersetzerin zu arbeiten. Zugleich brachte ich eine Passion für Videospiele mit." Später würde sie beides miteinander verbinden. "Germersheim erlebte ich als einen wunderbaren Standort, der es uns ermöglichte, verschiedenste Themenfelder ganz praktisch kennen zu lernen. Wir hatten zum Beispiel Zugriff auf sehr viele örtliche Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten konnten. Regelmäßig kamen auch Gäste, darunter viele Alumni, die einfach begeistert waren von ihrem Job. Das steckte an."

Berufsorientierung plus Wissenschaft

Projektbezogene Lehre ist ein wichtiger Baustein am FTSK. Unter anderem nennt Dizdar die Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Edenkoben: In der Reihe "Poesie der Nachbarn" übertragen Dichterinnen und Dichter Lyrik aus anderen Ländern. Studierende aus Germersheim liefern Rohfassungen und assistieren. "Gemeinsam mit der Universitätsmedizin Mainz bieten wir Fachdolmetschen in medizinischen Settings und spielen mit Medizinstudierenden Beratungsgespräche durch." Dieser starke Praxisbezug ist wichtig, doch dabei bleibt es nicht: "Wir koppeln Berufsorientierung immer mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch. Das mag oft eine Gratwanderung sein, gehört für uns aber unbedingt zusammen."

Elvira Iannone verließ Germersheim mit einem Dolmetschdiplom. Seit 2007 arbeitet sie als selbstständige Konferenzdolmetscherin und hat sich daneben andere, verwandte Berufsbereiche erschlossen. Im Moment ist sie für SEGEMI tätig, einen Verein, der sich um die seelische Gesundheit von Migranten und Flüchtlingen im Raum Hamburg sorgt und sich um fachgerechte psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung kümmert. "Germersheim hat mir grundlegende Strategien mitgegeben, um in meinem Beruf zu arbeiten", meint sie. "Das war mir während des Studiums nicht immer unbedingt sofort klar, wurde aber später in der Praxis sehr deutlich."

Im Nachhinein erlebte Iannone auch, wie ein großes Thema immer wichtiger wurde: "Aktuell ist Migration als Topos in unserer Gesellschaft sehr präsent. Das spiegelt sich natürlich in Germersheim – und in meinem beruflichen Engagement. Unter anderem liegt mir die Qualifizierung von Dolmetschenden am Herzen, für deren Sprache es in Deutschland keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit gibt."

Translation als Grundrecht

Landläufig habe es die Haltung gegeben, dass man Migrantinnen und Migranten helfen müsse, dass Dolmetschen und Übersetzung als gute Tat zu verstehen sei, als eine Art intellektuelles Almosen. "Längst ist uns aber klar, dass es hier um Grundrechte geht, die dieser Bevölkerungsgruppe in der Praxis nur allzu oft verwehrt werden", sagt Iannone. "Translation ist ein elementares Recht", betont auch Dizdar. "Sie verschafft Menschen Zugang zu allem, was Gesellschaft zu bieten hat. Sie haben einen Anspruch auf diese Teilhabe."

Ntouska arbeitet heute als Senior Localization Tester für ein international aufgestelltes Unternehmen. Sie testet Videospiele – allerdings weniger auf ihre Spielbarkeit: "Ich beschäftige mich sowohl mit der Ausgangskultur eines Spiels als auch mit der Kultur, in die es übertragen wird." Lange hätten die Produktionsfirmen wenig darauf geachtet, welche Wirkung ihre Produkte in den unterschiedlichen Regionen der Welt haben könnten. "Das lässt sich allein schon daran ablesen, wie spät sich Untertitel in diesem Bereich etablierten", meint sie. "Lustige verpixelte Spiele wie Minecraft für eine oft sehr junge Zielgruppe schienen kein besonderes Problem zu sein."

"Heute sehen wir das völlig anders", stellt Ntouska fest. "Ich erinnere mich an ein Spiel, in dessen deutscher Fassung von einem Arbeitslager die Rede war. Meine Aufgabe ist es, solche Dinge abzufangen. Ich prüfe dabei nicht nur den Text, achte nicht nur auf den richtigen Einsatz von Umgangs- oder Fachsprachen, sondern schaue mir auch andere Aspekte an."

Jubiläumsfeier im kommenden Jahr

Hier berühren sich zwei anscheinend sehr unterschiedliche Aspekte der Translation. Denn auf dem Videospielmarkt geht es wieder um Teilhabe, um die Berücksichtigung unterschiedlicher Sprachwelten, Kenntnisse und Prägungen – aus welchen Motiven auch immer. Die Sensibilisierung für solche Themen aber geht zwangsläufig Hand in Hand mit einem Bedürfnis nach mehr Translation.

"Wir beackern ein Riesenfeld", betont Dizdar noch einmal. "Zugleich hat die Translation diese besondere Eigenschaft, nicht sichtbar zu sein." Manch einer mag sie also übersehen, doch niemand kommt durch den Tag, ohne ihr zu begegnen. In diesem Jahr begeht die JGU ihr Jubiläum, 2022 dann tritt der FTSK in den Vordergrund. "Dann feiern wir 75 Jahre Campus Germersheim", kündigt Dizdar an. Mit ein wenig Glück könnte dies analog geschehen – ohne dass die Pandemie die Feierlichkeiten verhagelt.

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