11. Februar 2020
Der Arbeitsbereich Turkologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) befindet sich im Umbruch: Es gilt, eine zweite Professur zu besetzen, außerdem steht der Start neuer, eigenständiger Studiengänge an. Prof. Dr. Julian Rentzsch, im Jahr 2017 an den Arbeitsbereich berufen, gestaltet und begleitet diesen Prozess.
Prof. Dr. Julian Rentzsch mag es ordentlich in seinem Büro. Selbst die Papiere auf seinem Schreibtisch sind akkurat ausgerichtet: exakt ein Stapel pro Thema. "Ich versuche alles abzuarbeiten, aber irgendwas kommt immer dazu", meint der 44-Jährige. Er zuckt die Schultern, dann wendet er sich der türkischen Teemaschine neben seinem Telefon zu. "Möchten Sie?", fragt er und schwenkt die kleine Kanne. Zwei Teegläser stehen schon bereit.
Im Juli 2017 wurde Rentzsch auf eine Professur für Turkologie an die JGU berufen. Im Moment ist er der Einzige mit einer Vollzeitstelle am Arbeitsbereich, doch das soll sich demnächst ändern. Die Mainzer Turkologie befindet sich im Aufbruch und um den voranzutreiben, tut er viel. "Zahlenmäßig sind wir sehr klein aufgestellt", räumt er ein, "aber vom Inhalt her sind wird ein großes Fach. Es gibt immerhin an die 40 Türksprachen." Und die werden nicht nur in der Türkei, sondern auf dem Balkan, in Zentralasien bis nach China und bis ans nördliche Eismeer gesprochen. "Das ist ein riesiges Gebiet."
Hauptstadt der Turkologie
Die Turkologie hat Tradition an der JGU. Bereits 1946, im Jahr der Wiedereröffnung der JGU, kam Prof. Dr. Helmuth Scheel als erster Direktor des Seminars für Orientkunde nach Mainz. "Einer seiner Schwerpunkte war die Turkologie", erzählt Rentzsch. Auf ihn folgte Prof. Dr. Johannes Benzing, der vor allem den sprachwissenschaftlichen Aspekt des Fachs betonte. "Er machte Mainz zu einem der bedeutendsten Standorte der Turkologie in Deutschland." Danach kamen mit Prof. Dr. Dr. h.c. Lars Johanson und Prof. Dr. Hendrik Boeschoten wiederum zwei international anerkannte Kapazitäten nach Mainz. "Erst seit Johanson gibt es tatsächlich eine Professur für Turkologie an unserer Universität." Bei ihm studierte Rentzsch. Der Ruf an die JGU war für den gebürtigen Mainzer nun also eine Heimkehr nach Aufenthalten im schwedischen Uppsala, im ungarischen Szeged und an der Universität Skopje in Mazedonien.
Wie Benzing und Johanson beschäftigt sich Rentzsch vor allem mit der Sprachwissenschaft. "Wir werden noch eine zweite Professur für Literaturwissenschaft hinzubekommen. Mit dieser Berufung bin ich seit beinahe zwei Jahren befasst. Ich bin aber optimistisch, dass wir bald eine geeignete Kandidatin oder einen geeigneten Kandidaten finden werden." Insgesamt gibt es in Deutschland gerade mal 13 Professuren für Turkologie an zehn Standorten. "Mainz ist mit seinen zwei Professuren eine Rarität", meint Rentzsch.
"Wir sind dabei, unser Fach zu konsolidieren, sowohl personell als auch von der Forschung und vom Studienangebot her." Das allerdings ist mit einigem administrativen Aufwand für den derzeit einzigen Mainzer Turkologie-Professor verbunden. "Die Forschung kommt bei mir momentan etwas zu kurz, aber ich hoffe, das wird sich bald ändern."
Aktuell lässt sich Turkologie an der JGU nur als Bachelor-Beifach oder als Wahlschwerpunkt für die Fächer Linguistik und Weltliteratur im Masterbereich studieren. Außerdem ist eine Promotion möglich. Das ist Rentzsch aber noch zu wenig. "Es schadet der Sichtbarkeit unseres Fachs. Kaum jemand kommt nach Mainz, um ausdrücklich Turkologie zu belegen. Erst wenn sich die Studierenden nach Nebenfächern umschauen, entdecken sie uns. Viele kommen also eher zufällig auf die Turkologie."
Neuer Master Turcology
Rentzsch hat lange am Konzept für einen Master Turcology gefeilt, nun steht das neue Studienangebot. "Wir werden es ab dem Sommersemester 2020 anbieten. Als Unterrichtssprache haben wir Englisch gewählt, weil wir auch internationale Studierende ansprechen möchten." Der Master wird literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche Komponenten verbinden. Daneben ist noch ein eigenständiger Bachelorstudiengang in Arbeit. "Außerdem plane ich gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Dr. László Károly von der Universität Uppsala einen binationalen Studiengang Turkologie. Diese Kooperation ermöglicht es uns, neben unserem eigenen Programm, das sowohl sprach- als auch naturwissenschaftliche Module umfasst, dezidiert linguistisch und philologisch interessierten Studierenden eine speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Alternative anzubieten."
Mit Károly kommt ein Thema aufs Tapet, das die Turkologie prägt: Es gibt kaum ein Fach mit einer derart guten Vernetzung. Károly etwa lehrte und forschte in Mainz, Rentzsch wiederum unterrichtete türkische Sprachen an der Universität Uppsala. "Da wir an den meisten Standorten jeweils nur wenige sind und niemand alle Aspekte unseres Fachs abdecken kann, halten wir enge Kontakte." Für das Wintersemester 2019/2020 lud Rentzsch Karóly auf einen Gastvortrag beim "Mainzer Kolloquium zur Turkologie und Orientalistik" ein. "Über diese Veranstaltungsreihe habe ich in den ersten zwei Jahren meiner Professur viele Leute nach Mainz geholt, die wichtig für unser Fach sind. Das fördert die Zusammenarbeit und ergänzt unser Angebot für die Studierenden."
Im Jahr 2018 rief Rentzsch eine neue Reihe ins Leben, die "Mainzer Tage der türkischen Literatur": "An zwei Tagen begrüßen wir im Sommersemester Gäste, die auf Türkisch über türkische Literatur reden. Dort ist also Türkisch auf akademischem Niveau zu hören. Das zieht die Leute an." Und vom 16. bis 18. September 2020 findet der "Vierte Europäische Turkologentag" an der JGU statt. "Wir rechnen mit rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Das ist ein weiterer Höhepunkt für uns."
Turkologie ist kein einfaches Fach, dessen ist sich Rentzsch bewusst. "Das beginnt bereits mit der Sekundärliteratur. Je nachdem, um welche Türksprache es geht, sind Fachaufsätze neben Deutsch und Englisch vielfach auch in Französisch, Russisch oder anderen Sprachen abgefasst. Je nach Forschungsschwerpunkt muss man also die eine oder andere dieser Sprachen beherrschen." Im Studium steht zuerst das zeitgenössische Türkisch auf dem Programm, doch bald schon weitet sich der Blick. "Ich selbst begebe mich immer noch auf Entdeckungsreisen", erzählt Rentzsch. "Ich kenne zwar das Kasachische, das Neu-Uigurische oder das Usbekische, aber es gibt immer noch so viele Türksprachen, die ich nur mit Mühe verstehe."
Türkischer Hip-Hop
Jenseits davon gilt es, verschiedenste literarische und kulturelle Aspekte kennenzulernen. "In diesem Semester halte ich zum Beispiel eine Vorlesung über türkische Pop-Kultur. Unter anderem geht es um den türkischen Hip-Hop, der interessanterweise maßgeblich in Berlin entwickelt wurde."
Rentzsch schneidet noch eine ganze Reihe Themen an. Er spricht vom guten Ruf der europäischen und speziell der deutschen Turkologie in der Türkei. "Gerade in der Sprachwissenschaft oder in der Methodologie haben wir viel zu bieten.“ Er streift das angespannte deutsch-türkische Verhältnis und die Probleme türkischer Akademiker. "Es macht mir Sorgen, wenn eine Kollegin oder ein Kollege plötzlich nicht mehr lehren darf und vor Gericht gestellt wird. Da schauen wir, wo wir helfen können."
Am Ende kehrt er zurück nach Mainz und zu seinen Plänen für die Turkologie an der JGU: Wenn die zweite Professur besetzt ist, wenn die neuen Studiengänge laufen, dann kann er endlich wieder mehr in die Forschung gehen. Denn auch für ihn gibt es noch viel zu entdecken auf dem riesigen Gebiet der Turkologie.