Universität im Umbau

20. September 2021

Ende der 1990er-Jahre begann der große Umbau der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU): Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wandelten sich von Bittstellern zu Kunden, Verwaltung wurde zur Dienstleistung. Mehr Autonomie brachte mehr Verantwortung, marktwirtschaftliche Aspekte hielten Einzug in die Verwaltung. Mit ihrem "Neuen Steuerungsmodell" (NSM) veränderte sich die Universität von Grund auf und alle Gruppierungen waren eingeladen, daran mitzuwirken.

Eines stellt Dr. Bernhard Einig gleich zu Beginn klar: "Die Studierenden standen für uns im Fokus. Ihre Situation sollte sich durch die Umgestaltung der Universität grundlegend ändern." Dafür setzte sich der damalige Leiter der Abteilung Studium und Lehre mit viel Leidenschaft ein.

"Ich weiß noch, wie Ihr seinerzeit das Studentensekretariat übernommen habt", meint Götz Scholz mit Blick auf sein Gegenüber. "Vorher war es ziemlich abgeschottet. Es sollte möglichst wenig durch seine Kunden – die Studierenden – belastet werden. Ihr habt für einen angemessenen, auf die Interessen und Bedürfnisse der Studierenden ausgerichteten Zugang zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesorgt, zusätzlich eine Telefon-Hotline und drei Jahre später auch noch das Studierenden-Service-Center eingerichtet. An all das war zuvor überhaupt nicht zu denken."

Scholz brachte als Kanzler der JGU einen umfassenden Reformprozess in Gang, der beinahe ein Jahrzehnt andauerte und von allen Beteiligten viel forderte. "Als du 1997 dein Amt antratest, schautest du dich erst mal nur um", erinnert sich Einig. Scholz wollte die Universität genau kennen lernen. "Du bist von Fachbereich zu Fachbereich, von Abteilung zu Abteilung gewandert und hast einfach nur zugehört." Danach nahm er die große Aufgabe in Angriff. Dabei konnte er in der ersten Phase vor allem auf die tatkräftige Unterstützung von Claudia Knoth-Weiler und Wiebke Koerlin zurückgreifen, bevor dann Felicia Lauer und Thomas Vogt die Gesamtprojektleitung übernahmen.

Forderung nach mehr Autonomie

Sowohl Einig als auch Scholz befinden sich mittlerweile im Ruhestand. Der eine lebt in Wiesbaden, der andere im rheinhessischen Köngernheim. Doch sie sind gern auf den Campus zurückgekehrt, um ein wenig davon zu erzählen, wie sich ab 1998 das Gesicht der JGU veränderte, wie die Weichen für eine moderne Universität mit einem neuen Selbstverständnis gestellt wurden.

1974 bekam die JGU ihren ersten Präsidenten. Die alte Rektoratsverfassung war abgelöst worden, eine Präsidialverfassung stattete den Leiter der Universität mit mehr Macht und mehr Entscheidungsbefugnissen aus. Der Kanzler wurde dem Präsidenten direkt unterstellt. Die Verwaltung sollte zu einer Einheit verschmelzen, was allerdings nicht ohne Reibungen vonstattenging. Die JGU befand sich um Übergang: Ihre Studierendenzahlen stiegen stark an, parallel wurden Forderungen nach mehr Autonomie laut. Zwar überließ der Staat der Universität wichtige Zuständigkeiten, ihr Haushaltsplan jedoch wurde weiterhin vom zuständigen Ministerium aufgestellt.

Das sollte sich Ende der 1990er-Jahre ändern. Die Mittel für die rheinland-pfälzischen Hochschulen wurden knapper, an der JGU standen einschneidende Einsparungen an. Kommunen und Landkreise, die sich bereits früher ähnlichen Problemen gegenübersahen, hatten in Reaktion darauf ein verändertes Verständnis von dienstleistender Verwaltung entwickelt: Mit einem Neuen Steuerungsmodell (NSM) wollte man die Herausforderungen bewältigen. In der jüngst erschienenen Jubiläums-Festschrift der JGU fasst Scholz den Kern dieses im kommunalen Bereich erprobten Modells so zusammen: "Grundgedanke war, in das staatliche Verwalten Gedanken einer marktwirtschaftlichen, wettbewerblichen und zielorientierten Steuerung einzubauen." Genau dies sollte auch der Kurs der JGU sein. Das NSM machte Schule: Es kam an die Universität, die sich von nun an wirklich selbst verwalten sollte.

Gewachsenes Unrecht über Bord werfen

"Von Beginn an hatten wir ein grundlegendes Prinzip im Blick", sagt Einig. "Wir wollten alle Gruppen einbeziehen, sowohl Professorinnen und Professoren, akademische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch das Verwaltungspersonal und die Studierenden. Sie alle brachten ihre Ideen und Erfahrungen mit. Jede Abteilung war auf die ein oder andere Weise involviert, auch die einzelnen Fachbereiche." Interessierte trafen sich zuerst zu einer Ideenwerkstatt, aus der dann mehr als 30 Einzelprojekte entwickelt wurden.

"Ohne die engagierte Mitarbeit einer ganzen Reihe von wichtigen Funktionsträgern hätten wir diesen Umbau niemals durchführen können", meint Scholz. "Es gab Skeptiker und Zauderer – zaudern ist ja durchaus auch typisch für eine Universität –, aber wir konnten die allermeisten überzeugen. Überhaupt war der Aufbau von Akzeptanz ein wesentlicher Aspekt. Viele der Maßnahmen stellten schließlich die Fachbereiche und die Verwaltung vor vorher nicht gekannte Herausforderungen."

So war bisher der Universitätshaushalt eher überkommenen Traditionen als tatsächlichen Leistungen oder Bedürfnissen verpflichtet. Nun wurden objektive Bemessungsgrundlagen eingeführt. Scholz zitiert Prof. Dr. Jürgen Zöllner, der 1991 nach einer kurzen Phase als JGU-Präsident zum rheinland-pfälzischen Bildungs- und Wissenschaftsminister ernannt wurde: "Er meinte, durch die Reform im Bereich der Ressourcenverteilung werde gewachsenes Unrecht über Bord geworfen." – "Natürlich war das für all jene, die nach dem Zöllnerschen Modell zuviel Geld bekommen hatten, eine Herausforderung", ergänzt Einig. "Dramatisch vernachlässigte Bereiche wie die Geisteswissenschaften gewannen, die Naturwissenschaften mussten Einschnitte hinnehmen. Aber wir hatten unsere Parameter vorher gemeinsam im Haushaltsausschuss des Senats erarbeitet, alles war transparent. Sachlich begründete Argumente zählten plötzlich."

Strategien für zukünftige Herausforderungen

Auch ein Leitbild für die JGU sollte entstehen und wieder ging der Aufruf zur Mitarbeit an alle Gruppierungen der JGU. "Als Auftakt luden wir zu einem Wochenend-Workshop ein, bei dem wir die ersten Grundsätze entwickelten", erzählt Scholz. "Natürlich gab es Skeptiker. So meinte ein Wissenschaftler: 'Da mache ich nicht mit. Das ist doch alles blödes Zeug. Wozu brauchen wir ein Leitbild?' Doch am Schluss konnten wir fast alle überzeugen. Am Ende des Workshops schwärmte ein gestandener Professor: 'Das habe ich noch nie erlebt, dass man sich so zusammensetzt und frei diskutiert.'" Einig ist sich sicher: "Unser Leitbild ist immer noch eine sehr interessante Lektüre." Tatsächlich entstand eine Grundsatzerklärung, ein Programm, das sich mit allen wichtigen Aspekten rund um die Universität beschäftigt. Zu Studium und Lehre etwa findet sich unter anderem das kurze, sehr klare Leitprinzip: "Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist ihren Studierenden verpflichtet."

Nicht nur die Universität wurde umgebaut, auch eine neue Diskussions- und Entscheidungskultur hielt Einzug. "Wir haben damals überhaupt erst gelernt, Prozesse nach bestimmten Methoden zu gestalten", sagt Einig. "Jedes unserer Teilprojekte wurde beispielsweise durch Workshops begleitet und die Leiterinnen oder Leiter der Projekte hatten sich in Seminaren zum Projektmanagement weitergebildet." – "Zusätzlich holten wir uns Expertise von außen", so Scholz. Als Beispiel nennt er den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Schott AG, Helmut Fahlbusch. "Von ihm habe ich den Leitsatz 'Subjektiv schlägt objektiv': Ein Projekt mag noch so großartig sein, bei der Akzeptanz ist letztlich die subjektive Einschätzung entscheidender als objektive Tatsachen. Ehrgeizige Vorhaben können wir nur durchbringen, wenn wir die Leute auf dem Weg dorthin mitgenommen haben."

Am Ende wurden die Studierenden sowie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu "Kunden". "Einige störten sich zu Beginn an diesem Begriff, also mussten wir ihn erklären", meint Scholz. "Zuvor waren Studierende allzu oft Antragssteller oder Bittsteller. Wir wollten hin zu einer Dienstleistung – und das in jedem Bereich. Einem Mitarbeiter der technischen Abteilung erklärte ich: 'Wenn du ein Rohr reparierst, dann tust du das, damit ein Wissenschaftler arbeiten kann.'" Für Einig ist klar: "Mit der Implementierung des Neuen Steuerungsmodells stellten wir unter Beweis, dass wir der Verantwortung, die uns mit der Autonomie der Universität zukam, wirklich gewachsen waren." Die Universität hatte sich nicht nur verändert, sie hatte gelernt, mit welchen Strategien sie zukünftigen Herausforderungen begegnen könnte.

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