Vor Gericht in Hongkong und in Wien

20. März 2024

Herausforderung, Begeisterung und Internationalität: Fünf Studentinnen der JGU nehmen am renommierten Willem C. Vis Moot teil, einem internationalen Spitzenwettbewerb für Studierende der Rechtswissenschaften in Hongkong und Wien.

Gerade noch Studentin im Hörsaal, plötzlich Top-Anwältin in einem internationalen Schiedsgerichtsverfahren: Diese faszinierende Erfahrung machen im März 2024 Leonie Kleemiß, Marlene Parschau, Katharina Sattler, Rebecca Schöpsdau und Henriette Vaupel. Die fünf jungen Frauen studieren Rechtswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und bilden in diesem Jahr das Mainzer Team für den Vis Moot.

Dieser prestigeträchtige Wettbewerb wird jährlich in Hongkong und in Wien ausgetragen. Das Mainzer Team ist an beiden Orten mit dabei – auch wenn nur wenige Tage zwischen den Wettbewerben am Perlfluss und der Donau liegen.

Marlene Parschau (l.) und Rebecca Schöpsdau sind Teil des fünfköpfigen Vis-Moot-Teams 2023/2024 der JGU. (Foto: Peter Thomas)
Marlene Parschau (l.) und Rebecca Schöpsdau sind Teil des fünfköpfigen Vis-Moot-Teams 2023/2024 der JGU. (Foto: Peter Thomas)

 

"Die Vorbereitung auf den Wettbewerb hat für uns ein halbes Jahr lang einen Vollzeitjob bedeutet", sagt Rebecca Schöpsdau. Die 20-Jährige kommt aus der Nähe von Darmstadt und studiert Jura im 5. Semester. Gemeinsam mit Marlene Parschau aus der Eifel – ebenfalls 20 Jahre alt und im 5. Semester – erzählt sie im Februar 2024 von Begeisterung und Vorfreude auf das Finale, von der Herausforderung und der Leidenschaft am Argumentieren.

Den ersten Teil des Wettbewerbs haben sie zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich: das Erstellen der beiden Schriftsätze für Kläger und Verteidigung. In Hongkong und in Wien folgen nun die mündlichen Verhandlungen – beide Male auf Englisch. "Das ist noch einmal viel spannender, wenn wir dort persönlich unsere Sache vertreten, ganz ohne Notizen und vor einer internationalen Jury", sagt Marlene Parschau.

Drei Jahrzehnte Vis Moot

Seit 1994 bereits gibt es den Wettbewerb, der mit vollem Titel "Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot" heißt: In Wien findet 2024 die 31. Ausgabe statt. Die Schwesterveranstaltung – Vis (East) Moot – in Hongkong ist etwas jünger, sie wird in diesem Jahr zum 21. Mal ausgetragen. Der Vis Moot in der österreichischen Hauptstadt hat sich in drei Jahrzehnten als eine der bedeutenden rechtswissenschaftlichen Veranstaltungen etabliert, er wird von einem Rahmenprogramm aus Tagungen und Konferenzen begleitet. Fast 400 Teams kommen 2024 in die Donaumetropole, dazu rund 1.200 Schiedsrichter von rechtswissenschaftlichen Fakultäten und aus Kanzleien. Etwas kleiner ist das Teilnehmerfeld in Hongkong mit 150 Teams.

Für die Studierenden aus aller Welt stellen die mündlichen Verhandlungen das Finale einer monatelangen Vorbereitung dar. Insbesondere wer auf die Schriftsätze den gleichen Wert legt wie auf das persönliche Auftreten vor der Jury, beginnt jeweils im Oktober des Vorjahres mit der intensiven Arbeit. Dann nämlich wird von den Ausrichtern des Wettbewerbs die Akte hochgeladen, die den fiktiven Streitfall im Detail beschreibt. "Das umfasst einen Kaufvertrag und Zeugenaussagen, E-Mails und Zeitungsartikel, schließlich Schriftsätze der beteiligten Anwälte und eine Niederschrift der Kerndaten des Prozesses", erklärt Parschau.

Fiktiver Fall mit Realitätsnähe

Auch wenn es sich um einen akademischen Wettbewerb handelt, ist das Thema ziemlich realitätsnah gehalten: Im Jahr 2024 geht es um den Streit zwischen einem Hersteller von Sensoren für Anwendungen des autonomen Fahrens und seinem Kunden, der die entsprechenden Systeme für die Automobilwirtschaft baut. Dem Lieferanten ist eine Zahlung in erheblichem Umfang entgangen, weil nach einem Cyberangriff auf den Kunden die Kontodaten verändert wurden. Nun klärt das Schiedsgericht die Frage, wer die Verantwortung trägt und wer welchen Anteil der Kosten übernimmt.

Das Vis-Moot-Team 2023/2024 der JGU (1. Reihe v.l.n.r.: Leonie Kleemiß, Marlene Parschau; 2. Reihe v.l.n.r.: Rebecca Schöpsdau, Henriette Vaupel, Katharina Sattler) mit zwei der Coaches (3. Reihe v.l.n.r.: Sarah Fait, Elisabeth Neufeldt) (Foto: privat)
Das Vis-Moot-Team 2023/2024 der JGU (1. Reihe v.l.n.r.: Leonie Kleemiß, Marlene Parschau; 2. Reihe v.l.n.r.: Rebecca Schöpsdau, Henriette Vaupel, Katharina Sattler) mit zwei der Coaches (3. Reihe v.l.n.r.: Sarah Fait, Elisabeth Neufeldt) (Foto: privat)

 

Im vergangenen Jahr ging es um einen Fall, in dem die Anwendung von Drohnen eine wichtige Rolle spielte – ebenfalls ein Verfahren mit großem Realitätsbezug. Bei diesem Wettbewerb legte das Mainzer Team auch gleich die Messlatte ziemlich hoch für die fünf jungen Frauen, die 2024 für die JGU antreten: Platz acht im Viertelfinale der mündlichen Plädoyers in Wien, außerdem drei "Honourable Mentions" für einen Platz unter den besten 15 Prozent der Teilnehmenden in den Wettbewerben von Wien und Hongkong bei den Schriftsätzen.

Weckt der Erfolg des letztjährigen Teams Konkurrenzdruck? Im Gegenteil, sagen Marlene Parschau und Rebecca Schöpsdau. Der Austausch mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern von 2023 habe ihnen bei der Vorbereitung geholfen. Überhaupt sei die Unterstützung am Fachbereich enorm wichtig. Da stünden die fünf Coaches im Vordergrund, die das Quintett über den gesamten Zeitraum hinweg betreuen. "Ohne unsere Coaches würde das Ganze nicht funktionieren", betont Schöpsdau. Und Prof. Dr. Peter Huber, in dessen Team die Organisation der Vis-Moot-Teilnahme an der JGU verankert ist, bringt sich ebenfalls intensiv ein. Das reicht bis zur Begleitung zu einem Pre-Moot in London und zum Wettbewerb in Wien.

Zusammengefunden hat sich das Team durch die Einzelbewerbungen der fünf jungen Frauen am Fachbereich. Für jede Einzelne war es keine ganz einfache Entscheidung – schließlich muss man sich ein Semester lang fast ausschließlich auf den Vis Moot konzentrieren. Das sei ein Unterschied zu anderen Hochschulen und Ländern, wo die Vorbereitung auf den Wettbewerb neben dem Studium stattfinde, erklären die jungen Rechtswissenschaftlerinnen. Aber der in Mainz etablierten Kultur mit ihrem starken Fokus auf die Projektarbeit stellt das Team ein exzellentes Zeugnis aus.

Über die Aufnahme ins Team wurde für den Vis Moot 2024 nach Vorstellungsgesprächen mit Coaches und Prof. Huber entschieden – auch das gehört zur bewährten und etablierten Vorgehensweise. Nach dem Start im Oktober letzten Jahres begann das Projekt erst einmal mit dem detaillierten Studium der 60-seitigen Vorlage: "Wie ein Richter, der eine Akte bekommt und sich damit auseinandersetzt", lacht Marlene Parschau. Darauf folgte die Recherche in der Bereichsbibliothek Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der JGU: "Wir haben zwei Wochen lang alles durchgelesen, was wir an Informationen bekommen konnten", sagt Rebecca Schöpsdau.

Ein Semester lang haben sich die beiden Jura-Studentinnen zusammen mit ihren Kommilitoninnen intensiv auf den Vis Moot vorbereitet. (Foto: Peter Thomas)
Ein Semester lang haben sich die beiden Jura-Studentinnen zusammen mit ihren Kommilitoninnen intensiv auf den Vis Moot vorbereitet. (Foto: Peter Thomas)

 

Juristischer Wettstreit mit Teams aus Teheran und Hongkong

Die Recherche war auch eine wichtige Basis für die Erstellung der beiden eigenen Schriftsätze. Diese teilen sich auf in einen prozessualen Teil und einen materiellen zum internationalen Kaufrecht. Um die Arbeit im Projekt realistischer zu machen, setzen sich die Studierenden mit Schriftsätzen von zwei anderen Hochschulen auseinander. Das Mainzer Team bekam in diesem Jahr Dokumente aus Teheran und Hongkong. "Wir hatten Glück, zwei so gute Schriftsätze zu erhalten", sagt Marlene Parschau. "Damit kann man einfach besser arbeiten", bestätigt ihre Kommilitonin.

Bestehen die Wochen und Monate vor den Vor-Ort-Wettbewerben denn vor allem aus Schreibtischarbeit? Ganz im Gegenteil, erklärt das Team: Die jungen Frauen waren sehr viel unterwegs. So nahmen sie an Vorwettbewerben, sogenannten Pre Moots, teil, um Erfahrungen zu sammeln. Und sie besuchten zahlreiche Kanzleien in ganz Deutschland. Diese unterstützen die Vis-Moot-Teams auch finanziell – schließlich ist gerade der Wettbewerb in Hongkong teuer. Vor allem aber vermitteln die Profis wichtige Erfahrungen aus ihrer Praxis in Übungsrunden.

Langfristig profitieren die Teilnehmenden auch durch die Kontakte zu den Kanzleien, wenn es um Praktika oder Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen geht. Und die Vernetzung spielt auch bei den beiden Wettbewerben eine entscheidende Rolle. Der Vis Moot richtet sich schließlich besonders an Studierende, die bereits eine internationale berufliche Ausrichtung im Blick haben. Da können in Hongkong und in Wien wertvolle Kontakte geknüpft werden. Für die Teams aus aller Welt heißt das: Allein bei den renommierten Veranstaltungen dabei sein zu können ist schon ein echter Gewinn.

Text: Peter Thomas