10. Mai 2013
Vor 50 Jahren wurde die Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) gegründet. Die große Jahrestagung zu diesem Jubiläum hat das Institut für Publizistik des Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) organisiert: Unter dem Motto "Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis" tauschten sich rund 450 Wissenschaftler und Praktiker der Kommunikationswissenschaft aus.
Schnell wird es still im Saal, als Prof. Dr. Oliver Quiring das Podium betritt. Er schaut in Hunderte aufmerksame Gesichter und schmunzelt. "Wie schön. Wenn das in meiner Vorlesung auch so funktionieren würde ..."
Dieser Auftakt zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) sagt schon einiges aus über den Charakter der Veranstaltung im Konferenzzentrum des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in Mainz. Zwar wird hier der 50. Geburtstag der DGPuK begangen, doch der ehemalige ZDF-Intendant Prof. Markus Schächter deutet es bereits in seinem Grußwort an: "Jubiläen sind längst keine triumphalen Nabelschauen mehr." Besonders von Wissenschaftlern und Praktikern der Kommunikationswissenschaft erwarte er "einen Ton der Selbstironie und Selbstreflexion". Er wurde nicht enttäuscht.
Vor anderthalb Jahren begann im Institut für Publizistik an der JGU die Vorbereitungen auf dieses Ereignis. Unter der Leitung von Prof. Dr. Oliver Quiring, Prof. Dr. Birgit Stark und Dr. Nikolaus Jackob formierte sich ein Helferteam, das auf der Tagung selbst rund 40 Personen zählt. 30 Panels mit 90 Vorträgen wollen schließlich organisiert, rund 450 Gäste kanalisiert werden. "Es wäre für jedes Institut eine große Ehre, diese Tagung ausrichten zu dürfen“, so Quiring – und das ohne jeden ironischen Unterton.
Vom Niedergang des Journalismus
"Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Galaxis – Alte und neue Grenzvermessungen nach 50 Jahren DGPuK" lautet der vollständige Titel der Tagung. "Wir spannen den Bogen sehr weit", meint Stark. Ob Mainzer Buchdrucker oder World Wide Web: "Beide lösten eine Revolution aus. In der einen stecken wir mittendrin. Wir wissen noch gar nicht, wo sie hinführt, wann sie enden wird."
Prof. Lance Bennett hat so eine Ahnung: "Einen Niedergang des Journalismus" konstatiert er gleich in seiner einleitenden Keynote "Changing Media, Changing Societies: Changes of Communication Research". Der renommierte Kommunikationswissenschaftler von der US-amerikanischen University of Washington beobachtet, dass immer mehr Inhalte aus Quellen fließen, die von den Massen gespeist werden. Soziale Medien, Internet-Plattformen wie Facebook oder das Kurznachrichtennetz Twitter, spielten eine immer größere Rolle bei den jüngeren Menschen. "Für die meisten von uns ist das ein beunruhigender Trend."
Die moderne Gesellschaft stehe einer spätmodernen Gesellschaft gegenüber. "Für eine Postmoderne ist es meiner Meinung nach noch zu früh", feixt Bennett. Er sieht die moderne Gesellschaft noch eingebettet in institutionell geordnete Beziehungen. Das ändere sich nun in der Spätmoderne. Die traditionellen Organisationszentren des öffentlichen Lebens differenzierten sich aus, ob Kirchen, Parteien oder eben die Medien.
Von der Spaltung der Gesellschaft
In der medialen Welt der über 50-Jährigen gebe es noch klar definierte, allgemein relevante Medienkanäle. Die Abendnachrichten im Fernsehen oder die Tageszeitung seien wichtige Informationsquellen. Sie vermittelten eine gemeinsame Grundlage. Dabei seien die traditionellen Medien in der Hand von Institutionen, ob Zeitungsverlage oder Sendeanstalten. Ihr Planen und ihre Initiative wirkten als Kontrollinstanz. Ähnlich sei das bei anderen gesellschaftlichen Kräften. "Ihr Gatekeeping hielt die Gesellschaft zusammen."
Doch in Zeiten von Social Media versage dieses Gatekeeping. "Man umgeht die Zeitung zugunsten direkter Newsfeeds." Darauf stellten sich inzwischen auch diverse Organisationen ein: Längst wendeten sie sich übers Netz direkt an ihre potenzielle Klientel. Nicht nur eine Ausdifferenzierung, sondern auch eine Verschiebung der Inhalte sei die Folge.
"Die Älteren interessieren sich für das, was die Regierung tut, für Kriege", resümiert Bennett klischeehaft. "Die Jüngeren für Schießerei, Mord, Chaos." Dann zitiert er Timm Klotzek, den Begründer des Lifestyle-Magazins NEON: "Die meisten jungen Leue sind nicht mehr an Politik interessiert, aber sehr wohl an politischen Themen." Für den Kommunikationswissenschaftler ein tiefe Einsicht.
Vom Gedächtnis der Wissenschaft
"Wir leben in zwei Gesellschaften und wir wissen so wenig davon, was die andere Hälfte tut." Ist die Kommunikationswissenschaft bereit, mit diesem Problem umzugehen? "Nein", urteilt Bennett, "niemand ist dafür gerüstet. Wir müssen sehr kreativ darüber nachdenken."
Das geschah auf der Tagung – nicht nur in der prominent besetzten Podiumsdiskussion zum Thema "Die Kommunikation und ihre Wissenschaft in zehn Jahren. Blicke in die Zukunft", sondern auch in kleineren Runden, den Panels. Sie beschäftigten sich mit politischer Online-Mobilisierung, mit Kommerzialisierungstendenzen im Mediensystem oder mit den Perspektiven visueller Kommunikation. Auch ein kritischer Rückblick in eigener Sache stand auf dem Programm: Vier Wissenschaftler sondierten "Das Gedächtnis der Kommunikationswissenschaften".
"Erinnerung ist stets eine konstruktive Aktion", sagt Prof. Dr. Tilo Hartmann von der Universität Amsterdam. Diese Aktion aber sei geprägt von Auslassungen und Ergänzungen, vom Bemühen um Konsistenzbildung und von Vergessen.
Vom Charme der Selbstironie
"Niemand lässt sich gern sagen, dass er etwas vergessen hat", so Prof. Dr. Michael Meyen vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, der gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Thomas Wiedemann in "Kollektiven Gedächtnislücken" stochert. Die beiden berichten von Hans A. Münster, dem überzeugten Nazi, der im Dritten Reich die Medien auf Propaganda-Kurs bringen wollte. Oder von Horst Holzer, Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, der die Medienwissenschaften umstrukturieren wollte, aber als die "personifizierte linke Unterwanderung der BRD" stigmatisiert wurde. Von ihnen sei kaum noch die Rede. Ob zu Recht oder zu Unrecht? Das ist nicht das Thema der Wissenschaftler. Sie wollen zeigen: Auch das Gedächtnis der Kommunikationswissenschaft vergisst, homogenisiert, lässt aus.
Selbstreflexion und Selbstironie prägten die Tagung auf dem Mainzer Lerchenberg. Pompös gefeiert wurde eher weniger in den Tagungsräumen des ZDF, schließlich standen die Inhalte, die Vergangenheit und die Pläne der DGPuK auf dem Prüfstand.
"Unsere Podiumsdiskussion haben wir übrigens aufgezeichnet", erzählt Quiring am Rande, "um in zehn Jahren zu schauen, wie sehr wir daneben lagen mit unseren Prognosen."