Was brodelt unter der Eifel?

31. Oktober 2022

Eine für Deutschland einzigartige Messkampagne soll klären, wie es um die rund 800 Vulkane in der Eifel-Region steht. Sind sie noch aktiv? Was tut sich unter der Oberfläche? Womit müssen die Menschen rechnen? Das Projekt "Large-N" soll Antworten auf diese Fragen geben. Prof. Dr. Luca De Siena vom Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist mit von der Partie. Er wird anhand der frisch gewonnenen Daten Computermodelle erstellen und Prognosen wagen.

"Über den Weltraum wissen wir mehr als über den Boden unter unseren Füßen", stellt Prof. Dr. Luca De Siena fest. Dass er mit diesem Zustand alles andere als zufrieden ist, macht der Geophysiker im Gespräch nur allzu deutlich. Vulkane sind sein Spezialgebiet: "Ich verwende alle Geräusche, die ein Vulkan erzeugt, um seine tiefen Strukturen am Computer zu rekonstruieren."

Aktuell nimmt De Siena an einer Messkampagne von gewaltigem Umfang teil: Unter Federführung des Deutschen GeoForschungsZentrums in Potsdam (GFZ) wollen Fachleute der Universitäten Frankfurt, Kiel, Köln und Mainz sowie des Landeserdbebendiensts Rheinland-Pfalz dem Vulkanismus in der Eifel auf den Grund gehen. "Large-N" – "Großes N" – nennt sich das von Prof. Dr. Torsten Dahm geleitete Projekt. In den Naturwissenschaften steht solch ein "N" gemeinhin für eine Zahl und "Large" spielt in diesem Fall auf die riesige Anzahl von Messinstrumenten an, die in den vergangenen Monaten in den Landkreisen Ahrweiler und Mayen-Koblenz aufgestellt wurden: 350 Geofone sollen seismische Wellen im Untergrund messen.

Vulkanologie als Schwerpunkt an der JGU

"Es lag nahe, dass sich die Kolleginnen und Kollegen in Potsdam an die JGU wandten", meint De Siena. "Schließlich liegt die Eifel praktisch vor unserer Haustür." Doch nicht nur das: "Mainz etabliert sich gerade als Zentrum für Vulkanologie. Meines Wissens gibt es in Deutschland nur zwei Professuren zu diesem Fachgebiet und eine ist an der JGU mit Jonathan Castro besetzt. Außerdem wurde in Kollaboration mit den Universitäten Frankfurt und Heidelberg die Forschungsplattform TeMaS ins Leben gerufen." Als sogenannter Potentialbereich der JGU widmet sich TeMaS, kurz für "Terrestial Magmatic Systems", den magmatischen Prozessen in der Atmosphäre, der Erdkruste und dem Erdmantel.

Mainz ist nicht zuletzt zu solch einem wichtigen Zentrum der Vulkanologie geworden, weil Prof. Dr. Boris Kaus, Leiter der Arbeitsgruppe Geophysik am Institut für Geowissenschaften, eines der renommierten Fellowships des Gutenberg Forschungskollegs (GFK) erhalten hat. Dieses Fellowship wiederum ermöglichte die Einrichtung einer befristeten W2-Professur für Luca De Siena. "Er war sehr engagiert in dieser Sache und ich bin gern hierhergekommen." De Sienas Forschungsgruppe beschäftigt sich mit vulkanischer Seismologie. Er selbst hat mit MuRAT – Multi-Resolution Seismic Attentuation Tomography – ein Computerprogramm entwickelt, das seismische Wellen nutzt, um 3-D-Modelle von vulkanischen Vorgängen zu erstellen.

"Ich stamme aus einer Region, in der Vulkane eine sehr reale Bedrohung sind", erzählt De Siena. Er wurde in Salerno geboren. Nach seinem Physik-Diplom an der Universitá Federico II di Napoli wechselte er nach Bologna, wo er seinen Doktor in Geophysik absolvierte, bevor er nach Neapel zurückkehrte. Am Osservatorio Vesuviano forschte De Siena zu den Vulkanen in der Umgebung der Stadt. "Die Neapolitaner leben gefährlich. Immer wieder entweichen Gase, die Häuserblocks unbewohnbar machen. Man könnte sagen, das ist ein Wahnsinn. Aber die Menschen haben sich damit abgefunden."

Magma-Blase wie in Yellowstone

Der Vulkanismus in der Eifel scheint dagegen wenig aufregend. Der letzte Ausbruch wurde vor 13.000 Jahren registriert, seitdem ist es recht still, auch wenn in den vergangenen Jahren einige Beben im Untergrund gemessen wurden. "Für mich ist die Eifel dennoch hochinteressant", sagt De Siena. "Der Vulkanismus in der Eifel unterscheidet sich grundlegend von dem in Italien. Dort sind Vulkane entstanden, weil sich tektonische Platten übereinander schieben. In der Eifel dagegen haben wir es wahrscheinlich mit einem Phänomen zu tun, das dem Vulkanismus im US-Nationalpark ähnelt." Dort sammelt sich seit sehr langer Zeit unter der Oberfläche eine Art riesige, pilzförmige Magma-Blase, gespeist durch einen Kanal aus der Tiefe. Fachleute sprechen von einem "Plume". "Irgendwann wird es wohl einen Ausbruch geben, aber das kann Tausende bis Hunderttausende Jahre dauern."

Vulkanologen rechnen in der Eifel mit einem ganz ähnlichen Phänomen. "Ich vermute ebenfalls, dass dort ein Plume existiert, aber sicher ist es nicht. Die letzten groß angelegten Messungen wurden im Jahr 1990 von der Universität Göttingen organisiert. Wenn wir schauen, welch riesige wissenschaftliche Fortschritte wir seitdem gemacht haben, ist das eine Ewigkeit her." Es war also höchste Zeit für "Large-N".

"Normalerweise sitze ich vor dem Computer, aber für dieses Projekt bin ich mit meinem Team erst mal durch die Eifel gezogen, um Geofone zu installieren." De Siena zeigt Bilder von kleinen Sensoren, die in die Erde gesteckt werden. "Sie registrieren nur einen relativ schmalen Bereich an Schallwellen, sind nicht besonders kostspielig in der Anschaffung und lassen sich leicht aufstellen. Daneben haben wir aber auch größere Breitband-Geofone verteilt. Die müssen recht genau in einem mit Sand gefüllten Loch ausgerichtet werden." Vorzugsweise geschah das auf Privatgrundstücken oder in den Kellergewölben alter Burgen. 35 der insgesamt 350 Messgeräte konnte De Siena selbst in der Eifel verteilen.

Nun wartet er auf die ersten Messdaten. Sie müssen an den einzelnen Geofonen abgelesen werden, denn selbst in Zeiten des Internet und der allgemeinen Verkabelung ist dies immer noch die preiswerteste und zugleich sicherste Methode. "Die langwelligen Schwingungen werden uns etwas über längerfristige Entwicklungen sagen. Sie sind recht stabil und nicht besonders störanfällig. Ich allerdings interessiere mich eher für die kurzwelligen Messungen." Auf ihrer Grundlage wird De Siena seine Computersimulationen erstellen. "Das sind nicht nur 3-D-, sondern eigentlich sogar 4-D-Modelle. Denn ich berücksichtige auch den Faktor Zeit. Ich schaue, wie sich die vulkanischen Aktivitäten entwickelt haben, und kann dann Prognosen erstellen, was demnächst passieren könnte. Das ist ähnlich wie mit einer Wettervorhersage, nur leider nicht so zuverlässig, denn über das Wetter wissen wir mehr." De Siena wird seine Prognosen jeweils mit den frisch hereinkommenden Datensätzen abgleichen und so zu immer präziseren Aussagen kommen.

Wirtschaft, Klima und Vulkane

"Auch wenn wir in absehbarer Zeit nicht mit einem spektakulären Ausbruch rechnen, können unsere Ergebnisse von hoher Relevanz sein. Die Wirtschaft kann stark vom Vulkanismus beeinträchtigt werden: In der Eifel wird viel Mineralwasser produziert und aus Bitburg kommt ein bekanntes Bier. Was passiert nun, wenn etwa durch magmatische Aktivitäten schädliche Substanzen ins Grundwasser geraten?"

De Siena lässt keinen Zweifel daran: Forschungen zum Vulkanismus sind wichtig, ob in der Eifel, im Yellowstone-Park oder in Italien. "Der Mensch verliert die Gefahr leicht aus den Augen, einfach, weil in seiner Lebenszeit nirgends eine wirkliche Katastrophe stattfand. Vor zehn Jahren legte ein Vulkanausbruch in Island für einige Tage den Flugverkehr lahm, aber das war eine Kleinigkeit verglichen mit dem, was in der Vergangenheit auf der Erde passiert ist. Die Dinosaurier mögen zwar ursächlich durch einen Meteoriteneinschlag ausgerottet worden sein, doch es waren vor allem vulkanische Aktivitäten, die ihren Lebensraum veränderten. Im Laufe der Menschheitsgeschichte führten Vulkanausbrüche mehrfach zu kleinen Eiszeiten in Europa: Mitte des 15. Jahrhunderts gab es schreckliche Missernten und später startete ein beispielloser Emigrationsstrom in Richtung Amerika."

De Siena mahnt: "Es ist ähnlich wie mit dem Klimawandel: Wenn die Menschen ein Phänomen nicht direkt und mit ihren Sinnen erleben, fällt es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schwer, ihnen die Relevanz der jeweiligen Forschung klar zu machen. In Italien ist die Bedrohung sichtbar und spürbar, deswegen wird dort die Vulkanforschung sehr unterstützt. Dabei spielt Vulkanismus für die gesamte Welt eine wichtige Rolle – nicht zuletzt als ein Faktor, der das Klima entscheidend beeinflussen kann."