Was darf Religionskritik?

11. Juni 2015

Das 15. Mainzer Mediengespräch an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat ein hochaktuelles Thema aufgegriffen: Wie sieht es aus im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und der Verletzung religiöser Gefühle? Sollte der Staat Gläubige und Religionen besser schützen vor Herabsetzung und Beschimpfung? Oder muss ein Glaube im Interesse einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft scharfe Kritik ertragen können?

George Grosz malte Christus am Kreuz mit einer Gasmaske im Gesicht. Die russische Punkrock-Band Pussy Riot zelebrierte in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale ein höchst eigenwilliges Punk-Gebet. Das Satire-Magazin Titanic präsentierte auf seinem Titelbild den Papst mit Fäkalflecken auf der Kutte. Darf das alles sein? Wird da nicht die Religion in den Schmutz gezogen? Muss der Staat einschreiten – wie es in Russland gegen Pussy Riot geschah? Oder soll er sich heraushalten? Zählt das Recht auf Meinungsfreiheit mehr als die verletzten Gefühle einiger Gläubiger?

"Wir haben diesmal ein besonders interessantes und anspruchsvolles Thema ausgewählt", meint Prof. Dr. Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts und Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Medienrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, bei der Begrüßung zum 15. Mainzer Mediengespräch. "Ich bin gespannt, was wir über das Verhältnis von Religionsfreiheit zur Freiheit von Meinung, Medien und Kultur erfahren." Da steht er nicht allein. Der Veranstaltungstitel "Karikaturen, Kirchen und Kulturen: Was darf Religionskritik?" hat viele Neugierige ins Atrium maximum in der Alten Mensa auf dem Gutenberg-Campus gelockt.

Diskussion über Fachgrenzen hinweg

Einmal im Jahr laden der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der JGU und das Mainzer Medieninstitut zu ihren Mainzer Mediengesprächen ein. Längst hat sich die Veranstaltungsreihe einen soliden Ruf erworben. Hier wird fächerübergreifend informiert und diskutiert.

Auf dem Podium macht sich auch diesmal eine illustre Runde bereit. Doch zuerst steckt der stellvertretende Direktor des Medieninstituts das Feld ab, das es zu beackern gilt. "Die Debatte um die Freiheit der Religionskritik und ihre wie auch immer zu bestimmenden Grenzen ist in vollem Gange", konstatiert Prof. Dr. Matthias Cornils, Professor für Medienrecht, Kulturrecht und Öffentliches Recht an der JGU. Ereignisse wie der Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo seien ein trauriger Beleg für die Brisanz des Themas.

Paragraf 166 des deutschen Strafgesetzbuchs beschäftigt sich mit der "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen". Dort heißt es: "Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Dieser Paragraf biete nur einen sehr engen Spielraum für Verbote, stellt Cornils fest. Entsprechend laute der Rat vieler Juristen in Sachen Religionskritik und -beschimpfung: "Das muss man eben aushalten."

Schwert der Strafverfolgung schärfen

Nur sehr selten werde Paragraf 166 angewendet. "Die Zahl der Fälle liegt an der Wahrnehmungsgrenze, es sind vielleicht eine Handvoll pro Jahr – und das ist auch nicht angestiegen." Cornils schaut über die Landesgrenzen in Richtung Niederlande mit ihrem Blasphemieparagrafen: "Er wurde sogar seit 70 Jahren nicht mehr angewendet."

Allerdings gebe es Stimmen, die dafür plädierten, "das Schwert der Strafverfolgung zu schärfen". Cornils schaut hinüber in die Diskussionsrunde. Dort sitzt Prof. Dr. Christian Hillgruber von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. "Er hat vorgeschlagen, den Paragrafen aufzurüsten." Wer verächtlich mache und böswillig herabwürdige, was anderen heilig sei, störe den religiösen Frieden und damit den öffentlichen Frieden, argumentiert Jurist Hillgruber. Cornils stellt dazu eine Frage: "Kann das ein stabiler, ohnehin in transzendentalen Gewissheiten wurzelnder Glaube nicht einfach aushalten?"

"Kein Gläubiger hat Anspruch darauf, von massiver Religionskritik frei zu bleiben", entgegnet Hillgruber in der folgenden Diskussion. Aber wenn jemand durch Hasstiraden schutzlos in seiner Ehre angegriffen werde, sei das ein Problem. Hillgruber führt ein extremes Beispiel an: Ein Blogger bezeichnete im Jahr 2012 die katholische Kirche als "Kinderfickersekte". Das zuständige Gericht sah darin zwar eine Beschimpfung, jedoch keine Störung des öffentlichen Friedens. Der Blogger ging straffrei aus.

Kein Thema fürs Strafrecht

Hillgruber meint, dass solche Beschimpfungen Gläubige einschüchtern. "Sie bekennen sich nicht mehr in der Weise zu ihrem Glauben, wie sie es sonst tun würden." Damit sei der öffentliche Friede sehr wohl gefährdet. "Für mich liegt in jeder Beschimpfung im Sinne von Paragraf 166 eine Einschränkung des öffentlichen Friedens."

Prof. Dr. Gerhard Kruip von der Katholisch-Theologischen Fakultät der JGU fühlt sich tief getroffen von der Beschimpfung seiner Kirche. "Sie trifft in meinem Fall aber nicht auf Empörung, sondern auf Scham und Trauer." Der Vorwurf des Kindesmissbrauchs, wie polemisch auch immer verpackt, sei es, der ihn umtreibe, nicht so sehr der polemische Ausdruck selbst.

Für den Theologen gehört das gesamte Thema nicht so sehr in die Sphäre der Justiz. "Wir müssen Formen der Verständigung zwischen Gesellschaftsformen und Religionen finden. Dafür brauchen wir eine Grundströmung gegenseitiger Anerkennung. Hier ist nicht das Strafrecht gefragt." Vielmehr seien es gerade Institutionen wie die Kirchen, die sich fragen müssten, ob sie schon genug für solch eine Strömung getan hätten.

Maschinerie der Beschimpfung

Der Strafrechtler Prof. Dr. Stephan Stübinger von der FernUniversität in Hagen meint: "Kritisieren können muss man alles." Aber es gebe Formen der Beschimpfung, die eine Person verächtlich machten. Sie seien ein Angriff auf die Anerkennung des anderen. "Das ist wie Diebstahl: Wenn ich einer Person etwas wegnehme, erkenne ich sie nicht mehr als Person an."

Jürgen Kessler ist ein Fachmann, wenn es um scharfe Kritik geht. Der studierte Jurist leitet das Deutsche Kabarettarchiv. Mit Blick auf Charlie Hebdo meint er, dass viele Karikaturen die Grenze zum guten Geschmack überschreiten. Auch manche Äußerung im Kabarett hält er für unklug und geschmacklos. Vor allem aber kritisiert er eins: "Da steckt oft eine Maschinerie dahinter, ein Betrieb, der in Gang gehalten werden muss." Im Interesse des Geschäfts und des Gewinns werde kräftig beschimpft. "Das stößt mich ab."

Einfache Antworten lieferte das 15. Mainzer Mediengespräch nicht. Aber die Diskussion, an der sich auch das Publikum rege beteiligte, bot tiefe Einblicke. "Ich nehme viel Stoff zum Nachdenken mit", bekannte Dörr zum Abschluss, "und das in vielerlei Hinsicht."