5. Februar 2014
Bereits zum dritten Mal präsentieren Studierende des Studiengangs Bachelor of Education an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ihre Forschungsprojekte. Am Tag der Bachelorarbeit vermitteln sie Lehrenden und Studierenden, Lehrerinnen und Lehrern einen Eindruck von der Vielfalt der aktuellen Themen, mit denen sich die Bildungswissenschaften beschäftigen. Das JGU Magazin stellt eine dieser Arbeiten vor: Verena Minge hat nach dem Suchtfaktor des Smartphones gefragt.
Nein, sie selbst besaß noch kein Smartphone, als sie anfing, ihre Bachelorarbeit zu schreiben. "Ich hatte nur ein einfaches Handy", erzählt Verena Minge. "Bei einem Schulpraktikum lachte sich eine ganze Klasse darüber kaputt. Ich war die einzige mit so einem altmodischen Ding." Das hat sich mittlerweile geändert, die 24-Jährige hat kommunikationstechnisch aufgerüstet. "Ich wollte wissen, worüber ich da schreibe", meint sie.
Im Kern ging es Minge darum, ob ein Mensch, der zu einer Sucht tendiert, auch zu einer anderen Sucht neigen würde. Die Studentin fragte: "Nutzen Raucher häufiger ihr Smartphone? Oder neigen exzessive Smartphone-Nutzer eher zum Rauchen?" Die Antworten, die sie bekam, führten in eine etwas andere Richtung – und überraschten sogar die betreuende Professorin ...
Am dritten Tag der Bachelorarbeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz stellen Studierende des Studiengangs Bachelor of Education am kommenden Freitag ihre Arbeiten vor. Sie präsentieren kurz und prägnant in Posterform ihre Ergebnisse. Jeder kann sich dort einen Eindruck verschaffen, welche Themen in den Bildungswissenschaften derzeit wichtig sind.
Blick auf die digitale Nabelschnur
Das Zentrum für Bildungs- und Hochschulforschung (ZBH) und das Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) organisieren den Tag. Prof. Dr. Margarete Imhof, Sprecherin des ZBH und Professorin für Psychologie in den Bildungswissenschaften, sieht darin ein gute Gelegenheit, auf das hohe Niveau der Bachelorarbeiten aufmerksam zu machen.
Imhof leitete auch die Arbeitsgruppe "Digitale Nabelschnur", aus der Minges Arbeit "Leg doch mal dein Handy weg! Wie hängen exzessive Smartphone-Nutzung und Rauchen zusammen?" hervorging. Und sie war jene betreuende Professorin, die über die Ergebnisse ihrer Studentin staunte.
"Ich hatte einen ganz konkreten Anlass für mein Thema", erzählt Minge. "Ich bin mit dem Flugzeug aus dem Urlaub heimgeflogen und da war dieses Pärchen. Die beiden haben sich nicht unterhalten, jeder hat für sich auf seinem Smartphone rumgedrückt. Nach dem Start, als die Handys ausgeschaltet werden mussten, saßen sie nebeneinander und sprachen kein Wort. Noch während der Landung hatten sie dann wieder ihre Smartphones an."
Auch im Umfeld der Studentin sind Smartphones gang und gäbe. "Ich habe einen Bekannten, der sogar während eines Gesprächs auf sein Smartphone schaut. Er sagt, wenn er sich nur mit einer Person unterhält, bekommt er zu wenig Infos. Auf WhatsApp kann er mit vielen Leuten gleichzeitig chatten."
Die Kategorien der Sucht
Minge entwickelte einen Fragebogen. Darin sollte es nicht nur um das Smartphone gehen. Sie wollte das Nutzerverhalten mit irgendeiner anderen Sucht in Beziehung setzen. "Ich wählte das Rauchen aus, weil das eine Sucht ist, die gesellschaftlich nicht so geächtet ist." Hier hatte sie die größte Chance, offene Antworten zu bekommen.
Über Facebook konnte sie 225 junge Erwachsene zwischen 19 und 25 Jahren befragen. "Ein Problem war allerdings, dass ich nur etwa 30 Raucher erreichte."
Zwei Thesen stellte die Studentin auf den Prüfstand: Die Britin Anne Charlton geht davon aus, dass die zunehmende Nutzung von Mobiltelefonen zu einem Rückgang des Rauchens bei Teenagern führen wird. Das Handy löse die Zigarette als "Tor zum Erwachsensein" ab. Die Finnin Leena Koivusilta dagegen sagt, dass Rauchen wie die Mobiltelefon-Nutzung Teil eines rebellischen "street culture"-Lifestyles sind, mit dem Jugendliche ihre Individualität ausdrücken wollen.
"Mich interessierten ganz unterschiedliche Kategorien zur Sucht", sagt Minge. "Wird der Alltag durch die Sucht beeinflusst? Wie steht es mit der Erwartungshaltung oder mit Entzugserscheinungen?" Und besonders in Bezug auf das Smartphone: "Gibt es virtuelle Beziehungen, zum Beispiel Freunde, mit denen man nur chattet, die man gar nicht mehr persönlich kennt?"
Ihr Fragebogen fußte auf einem koreanischen Vorbild. "Ich habe ihn für meine Bedürfnisse modifiziert." Er enthielt Aussagen, denen die Befragten in mehreren Abstufungen zustimmen konnten – oder eben nicht.
Mit dem Handy auf die Toilette
"Ich nehme das Handy selbst dann mit, wenn ich auf die Toilette gehe." Diesem Satz stimmten erstaunlich viele Befragte zu. "Das hätte ich nicht gedacht", kommentiert Minge. Auch gaben einige an, schon Nackenschmerzen nach der Benutzung des Smartphones bekommen zu haben.
"Für die statistische Auswertung holte ich mir Rat bei Prof. Dr. Margarete Imhof. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gemacht. Dann guckten wir auf die Zahlen und staunten." Koivusiltas These von den "street culture"-Lifestyles konnte Minge mit der Umfrage widerlegen. Charltons Annahme dagegen, dass das Smartphone die Zigarette als "Tor zum Erwachsensein" ersetzt, schien bestätigt. "Früher war es cool zu rauchen, heute ist es cool, ein Smartphone zu haben", bringt Minge es auf den Punkt.
Das allerdings war es nicht, was Studentin und Professorin nicht nur zum Staunen brachte, sondern sogar beunruhigte. "Ich hätte nie gedacht, dass der Suchtcharakter des Smartphones so hoch ist." In jeder abgefragten Kategorie spiegelte sich das.
Ein wenig kann Minge es ja verstehen. "Mein Smartphone hat alle Funktionen. Ich brauche keinen Computer mehr und keinen Wecker, keinen Fotoapparat und keinen Fahrplan. Aber man muss gut überlegen, wie man damit umgeht. Smartphone-Nutzung hat eindeutig einen Suchtcharakter. Ich habe Leute mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren befragt. Viele sind Studierende. Von denen kann man annehmen, dass sie reflektieren können, was sie tun. Aber wie sieht das mit jüngeren Schülern aus?"
Die übersehene Sucht
Übermäßige Internet-Nutzung wird vereinzelt schon als Sucht gesehen und behandelt, doch Smartphone-Nutzung? "Darauf müssten wir viel mehr achten. Man könnte es zum Beispiel in der Schule in der Medienpädagogik behandeln."
Minge hat ein Thema aufgetan, das mehr und mehr in den Fokus rückt. So haben Wissenschaftler der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Anfang 2014 vor der Suchgefahr des Smartphones gewarnt und eine App vorgestellt, mit der Nutzer ihren Umgang mit dem Handy messen können. Die Meldung ging durch die Presse und stieß auf ein großes Echo.
Die Arbeit Minges ist also hoch aktuell. Nun darf man gespannt sein, was der Tag der Bachelorarbeit noch an spannenden Themen bereithält.