Wenn die Freunde weniger werden

5. Juni 2014

Wie entwickeln sich Freundschaften und soziale Netzwerke im Laufe des Lebens? Dieser Frage ist Juniorprof. Dr. Cornelia Wrzus vom Psychologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) nachgegangen. Zusammen mit drei Kolleginnen und Kollegen hat sie 277 Untersuchungen dazu analysiert. Sie sind zu erwartbaren, aber auch zu überraschenden Ergebnissen gekommen.

Anfang Oktober 2013 ist Cornelia Wrzus als Juniorprofessorin für Persönlichkeitspsychologie aus Berlin nach Mainz ans Psychologische Institut der JGU gekommen – und doch sieht ihr Büro aus, als hätte sie es eben erst bezogen. Wenig weist darauf hin, woran die Wissenschaftlerin arbeitet. Es stapeln sich keine Ordner auf dem Schreibtisch, die Wände sind blank, die Auswahl der Bücher im Regal ist übersichtlich geblieben.

"Vielleicht liegt es ja daran, dass ich ein bisschen ein ordentlicher Mensch bin", meint Wrzus schulterzuckend. Kurz kommt sie auf Studien zu sprechen, die sich mit "Behavioral Residues" beschäftigen, mit den Spuren, die Menschen in ihren Lebens- und Arbeitsräumen hinterlassen.

Aus Spaßprojekt wird Meta-Studie

Dann wendet sie sich dem eigentlichen Thema des Gesprächs zu: der Meta-Studie "Social Network Changes and Life Events Across the Lifespan", die sie zusammen mit drei Kolleginnen und Kollegen in ihrer Zeit am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung verfasste. "Das war mehr oder weniger eine spontane Idee, fast ein Spaßprojekt", meint sie. "Ich dachte: 'Es müsste einen Übersichtsartikel geben, der sich mit sozialen Netzwerken im Laufe des Lebens beschäftigt.'" Den gab es nicht, also machte sich das Quartett an die Arbeit. Aus dem Spaßprojekt wurde Ernst.

Die vier schauten sich 277 Untersuchungen, in denen insgesamt 177.635 Menschen zu ihren Freundschafts- und Verwandtschaftsverhältnissen befragt wurden. "Es war besonders spannend zu schauen, wie unterschiedlich die verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihren Arbeiten vorgingen. Normalerweise haben Sie ja eine einzelne Studie und das war´s. Wir bekamen einen sehr großen Überblick." Auch wenn Wrzus gleich einschränken muss: "Die meisten Untersuchungen, die wir fanden, stammen aus Europa und aus den USA. An Arbeiten aus der übrigen Welt heranzukommen, ist schwierig."

Das Kernergebnis der Meta-Studie klingt beinahe schon banal: Das allgemeine soziale Netzwerk eines Menschen wächst in der Jugend. Mit dem Erwachsenwerden stellt sich allmählich ein Schwund an Freundschaften ein, der sich im Verlauf des Lebens kontinuierlich fortsetzt.

Familie als Lebenskonstante

Es sei oft so in der Psychologie, dass sich die Forschungsergebnisse erst mal nicht großartig anhörten, wenn sie eine verbreitete Erwartung bestätigen, räumt Wrzus ein. Aber dann geht sie etwas mehr ins Detail und lässt einige überraschende Ergebnisse Revue passieren.

"Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass die Zahl der Familienmitglieder, zu denen ein enger Kontakt besteht, über das ganze Leben hinweg konstant bleibt." In der Jugend sind es zwar eher Eltern, Onkel, Tanten oder Großeltern, im Alter Enkel, Neffen und Nichten. Aber die Zahl bleibt gleich. "Dabei haben wir kaum Unterschiede zwischen den Kulturen gefunden. Das gilt übrigens für all unsere Ergebnisse: Es gab erstaunlich wenig Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern und Kontinenten, zumindest soweit sie in unserem Material auftauchten."

Einige Veränderungen im Lebensverlauf wirken sich gravierend auf Freundschaften und auf soziale Netzwerke aus: Pubertät, Heirat, Geburt eines Kindes, Wechsel des Jobs oder des Wohnorts, Verlust eines Partners. Auch das ist für den Laien gut nachvollziehbar, ebenso wie das nächste Ergebnis: "Im Vergleich zu den Untersuchungen aus den 1970er- und 1980er-Jahren haben wir aus den Arbeiten nach 2000 gelernt: Die Menschen haben heute im Durchschnitt zwei bis drei Freunde weniger als früher."

Mobilität wirkt auf Netzwerke

Die Leute müssen mobiler sein, für den Beruf auch einen Umzug in Kauf nehmen. Das wird erwartet heute. Ist das der Grund für das Schrumpfen sozialer Netzwerke? Wrzus ist da vorsichtig. "Kausale Zusammenhänge haben wir in unserer Studie nicht untersuchen können." Aber sie greift auf verwandte Untersuchungen zurück. "Pendler etwa haben kleinere soziale Netze. Das wissen wir."

Eine Wertung der Ergebnisse haben Wrzus und Co. nicht vorgenommen. Aber es scheint doch hinter allem die Formel zu stehen: Wer mehr Freunde, mehr soziale Kontakte hat, ist besser dran. "Eigentlich sollten Psychologen keine Wertungen in ihre Arbeiten bringen. Aber aus evolutionärer Sicht wissen wir, dass der Mensch als soziales Lebewesen ein gewisses Maß an Nähe braucht. Allerdings sind manche eher Einzelgänger, da ist dieses Maß niedriger, andere sind extrovertiert. Wie viele enge Beziehungen ein bestimmter Mensch braucht, ist in der Wissenschaft schwer abzubilden."

Viele aktuelle Fragen schließen sich an die Forschung über Freundschaft an. Werden wir immer egoistischer in einer Gesellschaft von Individualisten? Wie verändert die Nutzung moderner Medien unsere sozialen Netzwerke? Auch Wrzus fragt weiter.

Persönlichkeitswandel im Alter

Im Jahr 2011 reichten sie und ihre drei Kollegen "Social Network Changes and Life Events Across the Lifespan: A Meta-Analysis" zur Veröffentlichung ein. "Das liegt jetzt schon weit hinter mir." In Mainz will sich die Psychologin mit einem Thema beschäftigen, das durchaus Verbindungen zur früheren Studie aufweist und ebenfalls von allgemeinem aktuellen Interesse ist: "Wie entwickelt sich die Persönlichkeit im Alter? Bisher ist man meist davon ausgegangen, dass sich da nur wenig ändert. Ich will verschiedene Einflussfaktoren untersuchen: Gesundheit, geistige Fähigkeiten" – und natürlich soziale Netzwerke. "Es ist zum Beispiel so, dass die Netzwerke im Alter von Person zu Person viel heterogener gestaltet sind als in der Jugend."

Wrzus hat Gelder bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beantragt. Nun ist sie gespannt, ob die Mittel für ihr neues Projekt bewilligt werden. Sie möchte richtig loslegen, sie ist gespannt, was kommt. Das ist deutlich zu spüren – selbst in ihrem etwas kühl eingerichteten Büro am Psychologischen Institut auf dem Gutenberg-Campus.