Wenn die Wahl zum Problem wird

2. Januar 2013

Prof. Dr. Thorsten Faas ist neu in Mainz. Der Politikwissenschaftler kam im September 2012 von der Universität Mannheim an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Im Gespräch reißt er gleich eine ganze Reihe von Themen an. Ob Wahlrecht, Bürgerbeteiligung oder der tiefere Sinn der Statistik: Dieser Mann hat einiges zu erzählen.

Die Medien beschwören einen aufgeblähten Bundestag herauf: Mit dem neuen Wahlrecht soll es mehr Abgeordnete geben als je zuvor. Das koste viel zu viel Geld in Zeiten knapper Kassen. Die Politiker hätten sich einmal wieder selbst ein Geschenk gemacht, heißt es hämisch.

Prof. Dr. Thorsten Faas vom Institut für Politikwissenschaft der JGU nervt diese Diskussion. "Da reden wir jahrelang über einen Nebenaspekt des Wahlrechts. Jetzt haben die Verantwortlichen eine passablen Vorschlag vorgelegt und bekommen dafür Prügel."

Die Kosten seien ungeheuer hoch, kritisiert der Bund der Steuerzahler. Von 60 Millionen Euro ist die Rede. In einem Artikel für ZEIT ONLINE rät Faas mit leiser Ironie: "Um das Ganze ein wenig in Relation zu setzen, sei ein Blick auf die Visualisierung des Bundeshaushalts unter bund.offenerhaushalt.de empfohlen. Kleiner Tipp dazu: Die Kosten für den Bundestag verstecken sich in dem Eckchen rechts unten."

Jahrelange Diskussion um Kleinigkeiten

Tatsächlich ist auf der Grafik ein kleines blaues Kästchen auszumachen, eine Nichtigkeit gemessen an dem großen roten Kasten, der die Ausgaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales darstellt. Dort fließt mehr als ein Drittel des Bundeshaushalts hin. In den Bundestag tröpfeln 0,19 Prozent.

Thorsten Faas ist neu an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Am 1. September 2012 wechselte er von der Universität Mannheim nach Mainz. Bis auf den Campus hat er es noch nicht ganz geschafft – sein neues Heim, der Neubau Sozialwissenschaften, befindet sich noch im Bau. Derzeit sitzt er in einem Bürogebäude außerhalb. Immerhin hat er einen guten Blick auf die Coface-Arena des 1. FSV Mainz 05. Wenn das neue Gebäude der Sozialwissenschaften zwischen Universitätsbibliothek und Philosophicum fertig ist, wird er wieder umziehen. Faas ist also auf dem Sprung.

Als Professor für Politikwissenschaft im Bereich "Methoden der empirischen Politikforschung" beackert er mit seinen Studierenden nicht unbedingt ein Thema, das von vornherein begeistert. "Man kann es aber so vermitteln, dass es ankommt", ist Faas überzeugt. "Ich versuche klarzumachen, dass es nicht um Statistik um ihrer selbst willen geht. Ob Polit-Barometer oder OECD-Statistiken, da steckt überall viel Statistik dahinter."

Bürgerbeteiligung im Fall Stuttgart 21

Selbst wenn den Politikwissenschaftler hier und da das ein oder andere nervt, im Gespräch setzt sich bald der Eindruck fest: Dieser Mann geht Probleme mit einem gewissen Optimismus, vielleicht sogar mit leisem Humor an – und er hat er eine ganze Palette von Themen parat. Das spiegelt sich auch in seiner Internet-Präsenz: Faas twittert, ist auf Facebook vertreten und betreibt unter www.thorstenfaas.de eine eigene Homepage mit dem Untertitel "Wahlen, Wahlkämpfe, Wahlforschung, Wahlstudien".

Gerade erst hat er zusammen mit Kollegen eine Studie zu Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie in Stuttgart vorgestellt. Auch davon ist auf seiner Homepage zu lesen. Angesichts des Volksentscheids zu Stuttgart 21 resümiert er: "Das ist ein gutes Beispiel, wo so etwas funktionieren kann. Die Volksabstimmung hat für eine gewisse Akzeptanz gesorgt. Alle konnten noch einmal ihre Position zum Ausdruck bringen. Damit sind alle zufrieden, selbst die Gegner, die verloren haben."

Zugleich warnt Faas davor, Bürgerbeteiligung als Allheilmittel zu sehen. "Der Flughafen Frankfurt ist ein gutes Beispiel. Was Flughafengegner auf keinen Fall wollen, ist eine Abstimmung über die neue Landebahn. Denn wo würde die stattfinden? In Hessen. Und man kann erwarten, dass das schlecht ausginge für die Gegner."

"Reden wir doch lieber über die Wahlbeteiligung"

"Bürgerbeteiligung ist etwas Wichtiges. Aber auf der anderen Seite haben wir ein politisches System, das ganz gut funktioniert." Dieses System aber müsse man ändern, wenn man mehr Bürgerbeteiligung wolle. "Wir können nicht mehr Basisdemokratie einführen und glauben, ansonsten würde alles so laufen wie bisher. Das wäre naiv."

Zurück zum modifizierten Wahlrecht: Im Jahr 2005 wurde deutlich, dass es so etwas gibt wie ein negatives Stimmgewicht. Ein Wähler, der einer Partei seine Stimme gibt, kann ihr unter bestimmten Umständen dadurch sogar schaden. Die Direktmandate spielen in dem komplizierten Problem eine große Rolle. Das sei nicht in Ordnung, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Im neuen Wahlrecht wurde das nun geändert. Jetzt reden sich Meinungsmacher die Köpfe über das Thema heiß.

Für Faas aber ist das eine Kleinigkeit. "Reden wir doch lieber über die Wahlbeteiligung." Nichtwähler kratzten am Selbstverständnis der Demokratie. Hinzu komme, dass ein immer komplizierteres Wahlrecht nicht gerade zum Wählen motiviere. Schon mit den Grundlagen hätten viele Probleme.

Die Leute wissen zu wenig über Wahlen

"Studien haben ergeben, dass nur 50 Prozent der Bürgerinnen und Bürger die Zweitstimme für wichtiger halten als die Erststimme. Da können wir als Politikwissenschaftler nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: Warum wissen die Leute so wenig?" Es sind Belange wie diese, die Faas umtreiben, die kleine Modifikation im Wahlrecht verblasst da.

Faas hat eine Stunde Zeit für das Gespräch und in dieser Stunde fällt ihm viel ein: Eine Ursache für das schlechte Bild der Politiker in der Öffentlichkeit sei, dass die Parteien sich eben bekämpften, keiner lasse ein gutes Haar am Gegner. Die oft gescholtenen Fernsehduelle hält er für sinnvoll: "Untersuchungen ergeben, dass die Menschen danach schlicht mehr wissen." Und noch mehr zu Wahlen: "Wahlrechtsfragen sind immer Wertfragen. Wir möchten ein Wertesystem, das die Stimmen möglichst proportional in Sitze umsetzt. Die Briten dagegen wollen klare Mehrheiten."

Zum Schluss schlägt der Politikwissenschaftler ein Gedankenexperiment vor, nur ein Experiment, das betont er: "Was würde passieren, wenn wir eine Wahlpflicht einführen würden? Die Parteien würden sich zum Beispiel nicht sagen: Diesen oder jenen Bürger haben wir sowieso verloren. Sie würden versuchen, ihn zu gewinnen." Thorsten Faas hätte noch einiges zu erzählen, doch sein nächster Termin steht an. Aber der Politikwissenschaftler ist ja gerade erst angekommen in Mainz, es wird noch viele Gelegenheiten geben, ihm an der JGU zu begegnen. Und wer ihn nicht persönlich trifft, der kann per Homepage, Twitter oder Facebook verfolgen, was ihn gerade umtreibt. Es lohnt sich.