Wenn Patientendaten ins Netz geraten

10. März 2014

Die Kommunikation über Social Media-Plattformen ist längst zum Alltag geworden. Das gilt auch für Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflege. Die Welt dieser "Neuen Medien" bietet viele Chancen und Vorteile, doch sie birgt auch Gefahren: Schnell können sensible Daten in falsche Hände geraten.

Als Tobias Hartz im vorigen Jahr auf der Konferenz "Medicine 2.0" in London von seinen Erkenntnissen zum Schutz persönlicher Daten in Facebook berichtete, erntete er reichlich Aufmerksamkeit. "Die Leute standen nach meinem Vortrag Schlange", erzählt der Diplom-Mathematiker. "Damit hatte ich nicht gerechnet."

Als Mitarbeiter der Abteilung Medizinische Informatik am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wollte Hartz wissen: "Kann ich bestimmte Patientengruppen über die Kommunikation in sozialen Medien identifizieren und welche konkreten Informationen bekomme ich dort über sie?" Die Antworten, die er fand, überraschten nicht nur ihn.

Unbedarft im Netzwerk unterwegs

Alles begann bereits in Münster. Am dortigen Universitätsklinikum arbeitete Hartz daran, mittels der "Neuen Medien" die Kommunikation in der Kinderonkologie zu verbessern. "Ziel war es, die neuen Möglichkeiten, die uns das Internet bietet, für die Kommunikation in einem geschützten Rahmen zu nutzen, in einer Art speziellem Facebook für die Kinderonkologie."

Die entwickelte Plattform PIPO – Portal für Informationen in der Pädiatrischen Onkologie – konnte trotz des guten Zuspruchs aufseiten der Betroffenen und vieler zusätzlicher Maßnahmen keine eigenständige aktive Web-Community erzeugen. "Wir mussten das Angebot einstellen und unseren Fokus im Projekt ändern", schildert Hartz.

Eine Mitarbeiterin aus der Pflege wies darauf hin, dass die kleinen Patienten zwar intensiv kommunizierten, jedoch über die großen etablierten sozialen Netzwerke, denn in denen war entschieden mehr los. Hartz fand sie bei Facebook und bei studiVZ, wo Krebspatienten aus der Pädiatrischen Onkologie Münster auch eine Gruppe gegründet hatten.

"Wir waren überrascht, wie viel Patienten freiwillig über ihren Gesundheitszustand in sozialen Netzwerken preisgaben", erinnert sich Hartz. Er sah neben den Gefahren dieser ungeschützten Selbstoffenbarung aber auch, wie die Chancen und Vorteile, die diese Portale bieten, genutzt wurden. "Patienten können sich über ihre Erfahrungen austauschen, sich über neue Entwicklungen informieren. Und sie bleiben oft auch nach ihrem Klinikaufenthalt mit anderen Gleichgesinnten in Kontakt."

Was Patienten in Facebook verraten

Da die Bereitstellung einer gesicherten Plattform nicht angenommen wurde, richtete sich der Blick nun auf mögliche Gefahren. "Was ist denn mit den Einträgen, die Leute in Facebook-Gruppen machen? Inwieweit kann ich auf diese Einträge zugreifen? Was kann ich für Informationen herausziehen? Wie kann ich mich vor Datenmissbrauch schützen?"

Um exemplarisch aufzuzeigen, wie einfach es ist, Informationen aus sozialen Netzwerken zu sammeln, programmierte der Mathematiker mit seinen Kollegen eine kleine Anwendung, einen Crawler, mit dem er öffentliche Einträge aus dem Netzwerk ziehen konnte. "Problemlos konnten wir mit unserem Skript Einträge in öffentlichen Gruppen, auf den Pinnwänden und so weiter als strukturierte Daten ausgeben lassen", erzählt Hartz.

"Wir schauten uns ein paar Daten an und fanden Einträge wie 'Mein Kind leidet an der und der Krankheit' oder 'Bei meinem Mann wurde diagnostiziert...' Verbunden damit hätte man zusätzlich problemlos Namen, Geschlecht und weitere Angaben abspeichern können, im Zweifel sogar noch viel mehr Infos – bis hin zu persönlichen Bildern. Da wir unser Ziel erreicht hatten und aufzeigen konnten, wie einfach sensible Informationen in strukturierter Form aus sozialen Netzwerken gezogen werden können, haben wir die Daten selbstverständlich wieder gelöscht."

Gerade wegen der Gefahr, dass Daten, wenn sie unbedarft eingestellt werden, missbraucht werden könnten, ging Hartz auch an seinem neuen Arbeitsplatz an der Universitätsmedizin Mainz dem Thema nach, wo er als Leiter der Arbeitsgruppe eHealth Chancen und Risiken der "Neuen Medien" für die Medizin ausloten möchte.

Wo das Netz nützlich wird

"Ich finde es nach wie vor super, wenn diese neuen Kommunikationskanäle benutzt werden", bekräftigt der Mathematiker. Patienten mit seltenen Krankheiten etwa vernetzten sich so weltweit. Oder konkreter: "Mir wurde auf einem Workshop vor zwei Jahren berichtet, wie an einer Klinik 'Neue Medien' als Türöffner genutzt wurden. Um in der Kinderonkologie mit den jungen Patienten ins Gespräch zu kommen, sprachen psychosoziale Mitarbeiter sie über soziale Netzwerke an. Das eigentliche Gespräch fand dann nach wie vor persönlich statt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die sogenannten Neuen Medien genutzt werden können. Als Medizininformatiker müssen wir nur schauen, dass auch die Gefahren bedacht werden und gegebenenfalls sichere Alternativen angeboten werden."

Um soziale Netzwerke sicher zu nutzen, sei Sachkenntnis dringend nötig, darauf pocht Hartz. "Es beginnt schon damit, dass Sie etwa als Pflegerin zufällig mitbekommen, dass ein Elternteil per Internet etwas über die Krankheit seines Kindes veröffentlicht, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wer alles darauf zugreifen kann. Habe ich da nicht eine Verpflichtung, zu diesem Thema aufzuklären?" Hartz und seine Mitarbeiter bieten folgerichtig vermehrt Informationsveranstaltungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege, Ärztinnen, Ärzte und andere Betroffene an.

Neuland in der Welt der Medizin

Hartz und seine AG eHealth sehen es als wichtige Aufgabe an, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätsmedizin über die Chance und Gefahren aufzuklären. Per Flyer oder per Informationsveranstaltung raten sie unter anderem, private und berufliche Accounts in sozialen Medien sauber zu trennen, Privatsphäre-Einstellungen regelmäßig zu überprüfen und im Netz zurückhaltend zu agieren, wenn es um persönliche Informationen geht.

"Ich habe den Eindruck, im Bereich Medizin sind solche Themen noch Neuland. Wir haben die Universitätskliniken in Deutschland und andere große Einrichtungen im Gesundheitswesen angeschrieben und gefragt, ob sie für ihre Mitarbeiter Richtlinien im Umgang von Social Media anbieten. Wir bekamen meist die Antwort: 'Wir haben keine Richtlinien, aber wenn sie welche ausarbeiten, wäre das prima.'"

Es gibt also noch einiges zu tun – und dass Hartz vieles davon tun will, daran lässt er im Gespräch keinen Zweifel. "Wir könnten so viele tolle Sachen mit den sozialen Medien machen. Es liegt an uns, dass wir die Chancen sinnvoll nutzen und uns vor den Gefahren schützen. Es wäre zum Beispiel reizvoll, als Klinik ein eigenes soziales Netzwerk anzubieten, das man etwa als App fürs Smartphone aufrufen kann. Damit könnte den Patientinnen und Patienten das Behandlungsteam vorgestellt oder sie könnten durch die Klinik geleitet werden. Punktuell gibt es bei uns ja schon viele Dinge im Internet, wir müssten sie nur bündeln." Und eben sicher machen – das ist besonders wichtig. Hartz und seine Arbeitsgruppe sind an der Arbeit.