28. Oktober 2013
Wie steht es um die europäische Idee in Deutschland, Frankreich oder in Griechenland? Sehen Engländer oder Portugiesen sich als Teil Europas? Und welche Aspekte beeinflussen ihre Einstellung? Diesen Fragen geht Stephanie Bergbauer vom Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in ihrer Dissertation "European identity in context: individual and country-level determinants of a mass European identity" nach..
Eine Europakarte an der Wand wäre nicht schlecht. Aber noch sieht Stephanie Bergbauers Büro im nagelneuen Georg-Forster-Haus eher kahl aus. Sicher, es reihen sich Ordner und Bücher im Regal. Aber auf den ersten Blick gibt nichts so recht Auskunft über den genauen Inhalt der Forschungsarbeit der Sozial- und Politikwissenschaftlerin.
Bergbauer hat die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit Europa im Blick. "Was bringt die Leute in Deutschland, England oder Griechenland dazu, sich mit etwas zu identifizieren, mit dem sie im Alltag doch so wenig zu tun haben?", fragt sie. "Die allerwenigsten haben ja Kontakte zur europäischen Institutionen oder zu Menschen aus anderen europäischen Ländern."
Europäische Idee auf dem Prüfstand
Wie ist das also mit der europäischen Idee? Weht sie nur als laues Lüftchen durch die Mitgliedsstaaten oder ist sie doch eine bedeutende Strömung auf dem Kontinent? Oder bläst den Europa-Enthusiasten angesichts der Euro-Krise gar eine eisige Brise ins Gesicht? Und vor allem: Was sind die Einflussfaktoren, die eine Identifikation mit Europa fördern oder mindern?
"European identity in context: individual and country-level determinants of a mass European identity" lautet der Titel von Bergbauers Dissertationsprojekt, an dem sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der JGU arbeitet. "Was auf diesem Gebiet bislang gemacht wurde, ist fast nur Individualforschung", betont sie. Wissenschaftler betrachteten Faktoren wie soziale Klasse, Alter oder Bildung und kamen etwa zu dem Ergebnis, dass Bürger mit hohem Bildungsniveau sich eher mit Europa identifizieren als wenig gebildete Kreise.
"In diesem Bereich wissen wir ganz gut Bescheid. Aber ich will diese Erkenntnisse mit verschiedenen Makrofaktoren kombinieren." Bergbauer, Juniormitglied der Gutenberg-Akademie, die seit dem Jahr 2006 herausragende Doktorandinnen und Doktoranden sowie Künstlerinnen und Künstler der JGU fördert, schaut auf die Variablen, die eine Gesellschaft auf breiter Basis beeinflussen.
Wenn Parteien über Europa reden
"Das ist zum einen der politische Kontext. Wie stehen die Parteien in einem Land zu Europa und wie wirkt sich das aus? In Deutschland etwa haben wir den Tenor: Wir wollen der europäische Motor sein. Das gilt noch viel stärker für Frankreich." In England dagegen sei das Europa-Thema eher ein Spielball im Gerangel der Parteien. "Früher waren die Konservativen dafür, Labour war dagegen, heute ist es umgekehrt."
Natürlich interessiert Bergbauer auch der wirtschaftliche Kontext. "Ist ein Zusammenhang zwischen materieller Situation und der Einstellung zu Europa abzuleiten? Die Euro-Krise macht gerade diese Fragestellung spannend."
Und dann ist da noch das soziale Umfeld. "Wie viele Kontaktmöglichkeiten haben Menschen in EU-Staaten zu Menschen in anderen EU-Staaten?"
EU-Umfragen als Forschungsbasis
Um Antworten zu finden, stützt sich Bergbauer insbesondere auf Datensätze der Europäischen Union: Seit den 1970er Jahren werden jährlich rund 1.000 Personen aus jedem Mitgliedsland zu ihrer Einstellung befragt. Die Ergebnisse dieser Erhebungen kombiniert Bergbauer mit Ergebnissen aus anderen Bereichen. "Es gibt zum Beispiel Datensätze zu Parteiprogrammen, die Aussagen darüber machen, wie politische Parteien über Europa sprechen." Und natürlich gibt es jede Menge Wirtschaftsdaten.
"Es ist zugleich das Schwierige und das Spannende an meiner Arbeit, das alles aufzudröseln und zu strukturieren. Dabei liegt mein Fokus nicht auf der Frage: Wollen die Leute mehr oder weniger europäische Integration? Ich will wissen: Wie fühlen sie sich als Europäer?"
Bergbauer hat in ihrem akademischen Werdegang selbst europäische Erfahrungen gesammelt. Sie absolvierte an der Universität Stuttgart und am Institut d'Etudes Politiques de Bordeaux in Frankreich einen integrierten deutsch-französischen Studiengang Sozialwissenschaften und beschäftigte sich in ihrer Diplomarbeit mit dem Thema "Nation first, but Europe too? Nationale Identität, nationales Umfeld und die Identifikation mit Europa in Deutschland und Großbritannien". Es folgte ein Aufbaustudium an der renommierten britischen University of Oxford mit einem Master-Abschluss in Politikwissenschaft, bevor sie 2009 an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz kam.
Die Idee von der großen Gemeinschaft
Sie weiß also viel Anekdotischen über Einstellungen zu Europa zu erzählen. "Frankreich ist noch viel stärker als Deutschland pro-europäisch. In England dagegen herrscht die Einstellungen vor, dass das Land nicht wirklich zu Europa gehört."
Doch in Bergbauers Dissertation geht es eben nicht um Anekdoten oder um persönliche Erfahrungen, sondern um Zahlen- und Datensätze, um belastbare statistische Ergebnisse. "Sie sollen auch einen Hinweis darauf geben, was zu tun ist, um die europäische Integration zu fördern. Was ist nötig, um dieses Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern, diese Idee, dass wir alle eine große Gemeinschaft sind?"
Erst im kommenden Jahr wird Bergbauer ihre Ergebnisse präsentieren können. Mit Aussagen vorab ist sie eher vorsichtig, aber einige Punkte kann sie schon jetzt ansprechen: "In der Eurokrise sehen wir einen starken Abfall in Griechenland, Spanien und Portugal in Sachen Zustimmung zu Europa. In Deutschland hat die Krise dagegen weniger Einfluss auf die Einstellung zu Europa. Aber die Krise hat uns eben auch nicht so stark getroffen."
Nichts lässt sich generalisieren
Es sieht so aus, als müsse die materielle Existenz der Bürgerinnen und Bürger im europäischen Raum gesichert sein, damit sie sich mit der Idee eines geeinten Europa anfreunden können. Das ist sicherlich eine Erkenntnis, auf die nicht wenige getippt hätten.
Aber es gibt noch viele andere Faktoren, etwa die nationale Identität. "Dieser Aspekt wird in der Forschung bisher sehr generalisiert. Ich habe aber festgestellt, dass der Einfluss in jedem Land sehr unterschiedlich ist."
Wie all die unterschiedlichen Größen von der Politik über die Wirtschaft bis hin zum sozialen Umfeld in den einzelnen EU-Ländern zusammenspielen, wird Bergbauer nach Abschluss ihrer Dissertation im kommenden Jahr genauer wissen. Dann kann sie Antworten auf viele Fragen geben. Vielleicht hängt in ihrem Büro bis dahin auch eine Karte von Europa.