Wie frei ist die Entscheidung für oder gegen Kinder?

01. Dezember 2023

Dr. Laura Anna Klein, ehemaliges Juniormitglied der Gutenberg Akademie, ist mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet worden. Für ihre Dissertation "Reproduktive Freiheiten" erhielt sie den zweiten Preis in der Sektion "Geistes- und Kulturwissenschaften". Die Juristin beleuchtet darin ethisch umstrittene Fragen rund um Zeugung, Schwangerschaft und Geburt aus verfassungsrechtlicher Perspektive.

Die Auszeichnung der Körber-Stiftung bedeute ihr sehr viel, erklärt Klein, die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) promoviert hat und derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie arbeitet. "Dadurch bekommt das Thema viel Aufmerksamkeit und das freut mich insbesondere für die Menschen, die es betrifft." Ganz allgemein gehe es um die Freiheit, sich für oder gegen Kinder zu entscheiden. "Mit dieser Frage setzen sich wahrscheinlich fast alle Menschen im Laufe ihres Lebens einmal auseinander, in welcher Form auch immer", sagt Klein. Umso wichtiger sei es, eine nüchterne Position einzunehmen, sodass unterschiedliche weltanschauliche Auffassungen Platz finden und miteinander in Ausgleich gebracht werden können.

Defizite des Verfassungsrechts

Ursprünglich war Kleins Forschungsvorhaben wesentlich enger gefasst: Sie wollte das Thema Leihmutterschaft verfassungsrechtlich beleuchten. "Je tiefer ich eingestiegen bin, desto mehr habe ich gesehen, woran es eigentlich hakt", erklärt die 31-Jährige. Im Verfassungsrechtsdiskurs fehle die Perspektive des Individuums. "Lebenspraktische Dinge wie Verhütungsmethoden, Aufklärung über reproduktive Rechte oder Unfruchtbarkeit spielen bisher keine Rolle. Es hat mich überrascht, dass das Verfassungsrecht anderen Wissenschaftsdisziplinen gegenüber so wenig aufgeschlossen ist." Sie habe daher versucht, "den Diskurs vom Kopf auf die Füße zu stellen und den weiten Lebensbereich von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt aus der Perspektive der entscheidenden Individuen zu betrachten".

In ihrer interdisziplinär angelegten Untersuchung plädiert Klein für eine menschenrechtsbasierte Neujustierung des Lebensbereichs der Fortpflanzung, die auch in der Verfassungsrechtswissenschaft Erkenntnisse aus anderen Disziplinen berücksichtigt. Dabei zeigt sie gesetzgeberische Handlungsoptionen für Reformen auf. So besteht ihrer Auffassung zufolge in Deutschland zum Beispiel Nachholbedarf, was die staatliche Information und Aufklärung über reproduktive Rechte angeht, vor allem mit Blick auf Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin. Auch im Kontext der Geburtshilfe sei es dringend erforderlich, selbstbestimmte Entscheidungen besser sicherzustellen, denn: "Der Kreißsaal ist kein grundrechtsfreier Raum."

Vorliebe für kontroverse Themen

Die Notwendigkeit einer Neuregelung sieht Klein darüber hinaus beim Schwangerschaftsabbruch, der nach wie vor als Tatbestand im Strafgesetzbuch steht. "Ethisch und politisch kontrovers diskutierte Themen liegen mir besonders am Herzen", sagt sie. Gerade in der Debatte über Schwangerschaftsabbrüche oder die hierzulande verbotene Praxis der Leihmutterschaft schwingen ihrer Beobachtung nach häufig "wirkmächtige Hintergrundannahmen" mit, die die individuelle Entscheidungsfreiheit einengen. "Das Verfassungsrecht lädt dazu ein, einen kühlen Kopf zu bewahren, und ermutigt zudem, über die kulturell geprägten Bilder in unseren Köpfen offener zu diskutieren, als dies bisher geschieht", erklärt die Juristin.

Dass sie mit all dem einen Nerv getroffen hat, beweist nicht zuletzt die Reaktion der langjährigen Vorsitzenden des Forschungsausschusses im Deutschen Bundestag, Ulla Burchardt. Die frühere Parlamentarierin sagte, Kleins Arbeit biete "ein Instrumentarium, um die Defizite in der Gesetzgebung und Handlungsoptionen klarer zu sehen".

Mehrfach prämierte Dissertation

Solche Stimmen bestärken die junge Wissenschaftlerin in der Hoffnung, dass ihre Ausführungen und Erkenntnisse weiter Eingang in den politischen sowie den verfassungsrechtlichen Diskurs finden und sich bestenfalls in Reformvorhaben niederschlagen. Dazu beitragen dürften auch die Preise, die Klein für ihre Dissertation erhalten hat. Nicht nur die Körber-Stiftung würdigt die gesellschaftliche Relevanz des Themas. Die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz hat Klein den diesjährigen Sibylle Kalkhoff-Rose Akademie-Preis für Geisteswissenschaften zuerkannt. Außerdem erhielt die Juristin den Preis der Dr. Feldbausch-Stiftung, der an der JGU jährlich für herausragende Abschlussarbeiten vergeben wird.

Kleins Doktorarbeit wurde von ihrem großen akademischen Vorbild, Frau Prof. Dr. Friederike Wapler, betreut und von der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie der Gutenberg Akademie gefördert. "Für die ideelle Wertevermittlung bin ich genauso dankbar wie für die zahlreichen Denkanstöße der vielen Wegbegleiter", sagt sie. "Zudem wurde mir erst durch die finanzielle Sicherheit die Freiheit geschenkt, mich den Inhalten dieser Arbeit so tiefgehend zu widmen."

Und wo geht die Reise für sie hin? Zunächst einmal ganz konkret nach Karlsruhe: Im Frühjahr beginnt Klein als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht, und zwar im Dezernat für Familienrecht. Der JGU bleibt sie trotzdem erhalten – sie möchte ihren Wissenschaftsweg fortsetzen und in Mainz habilitieren: "Mit der akademischen Laufbahn verbinde ich das Privileg, ein Leben lang neugierig sein zu dürfen und sich selbst, das Recht und die Welt immer wieder kritisch zu hinterfragen."

Text: Alexandra Rehn