Wie wirken Eiswolken auf das Klima?

19. Dezember 2020

Dr. Martina Krämer vom Forschungszentrum Jülich ist eine der renommiertesten Expertinnen im Bereich der Wolkenphysik. Sie untersucht die Struktur von Eiswolken und deren Einfluss auf das Klima. Krämer studierte und forschte 17 Jahre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), nun kehrt sie als Fellow des Gutenberg Forschungskollegs (GFK) an ihre Alma Mater zurück.

Die Meteorologin schaut aus dem Fenster hinauf in den Himmel. "Die dicken, niedrigen Wolken dort enthalten flüssiges Wasser", erklärt Dr. Martina Krämer. Sie deutet auf Wolken, die mächtig über der Landschaft stehen. Sie wirken wie Gebirge aus Zuckerwatte, ihre Grenzen sind deutlich auszumachen. "Vom unteren Bereich kommen wir in den mittleren: Sehen Sie die Wolke mit den ausgefaserten Rändern? Die könnte bereits aus einer Mischung von Wasser und Eis bestehen." Krämers Blick gleitet weiter zu einem nur noch undeutlich erkennbaren, nebelhaften Gebilde. "Das wird eine Eiswolke im oberen Bereich sein, eine Zirre."

Zirruswolken sind das Spezialgebiet der Meteorologin vom Forschungszentrum Jülich. Dort leitet sie die Arbeitsgruppe "Wasserdampf und Wolken" und dort ist es ihr gelungen, eine neue Klassifikation für die Entstehung von Eiswolken zu entwickeln. Damit können unterer anderem präzisere Klimamodelle erstellt werden.

"Ich habe die Einteilung eigentlich nur verfeinert", meint die gebürtige Koblenzerin bescheiden. "Bei Klimavorhersagen gibt es immer einen Fehlerbalken. Wenn wir zum Beispiel prognostizieren, dass die Temperatur um zwei Grad steigen wird, dann liegen unsere errechneten Ergebnisse in einem Bereich von ungefähr ein bis drei Grad. Zirren sind seit Jahrzehnten ein besonderer Unsicherheitsfaktor in unseren Modellen, weil wir relativ wenig über sie wissen. Mit der genaueren Einteilung können wir den Fehlerbalken um ein gutes Stück verkürzen."

Saurer Regen und Klimawandel

Anfang 2019 wurde Krämer zum Fellow des Gutenberg-Forschungskollegs der JGU ernannt. Damit intensivierte sich ihre Kooperation mit den Mainzer Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Physik der Atmosphäre. "Wir arbeiten bereits seit längerem zusammen, aber nun bin ich jeweils drei Monate im Jahr hier zu Gast." Sie lächelt. "Für mich ist das eine Rückkehr, über die ich sehr glücklich bin."

1979 kam Krämer zum Studieren nach Mainz. "Bereits damals hatte das Institut für Physik der Atmosphäre einen sehr guten Ruf. Wer hier seinen Abschluss machte, kam später garantiert gut unter." Für Wetter, Klima und Wolken interessierte sie sich schon früh. "Meine erste Lieblingssendung war die Wettervorhersage", erinnert sie sich. "Zum vierten Geburtstag bekam ich einen Regenschirm geschenkt. Ich habe mich wahnsinnig gefreut und zum Glück spielte das Wetter mit: Ich konnte ihn gleich ausprobieren."

Das Ozonloch und der saure Regen machten gerade Schlagzeilen, als Krämer ihr Studium der Meteorologie absolvierte. "Die Klimaproblematik trieb mich schon früh um. Meine Diplomarbeit handelte vom sauren Regen in Mainz. Ich bekam dafür sogar einen Forschungspreis der Stadt." Heute freut es sie, dass mit "Fridays for Future" Schülerinnen und Schüler vor dem Klimawandel warnen und entschiedene Maßnahmen fordern. "Im Grunde war ich schon immer eine Klimaaktivistin."

17 Jahre bliebt Krämer am Institut: als Studentin, als Doktorandin, als forschende Wissenschaftlerin. "Das prägt: Im Fahrstuhl der NatFak drücke ich blind den Knopf, um in den fünften Stock ins Institut zu kommen – und lande prompt im vierten, weil die Fahrstühle mittlerweile saniert wurden."

Zwei Eiswolkentypen

Krämers Forschung zu den Eiswolken begann damit, dass sie systematisch Daten von Messflügen zusammentrug. "Leute, die Forschung betreiben, konzentrieren sich oft auf Einzelstudien. Ich bin mehr der Sammler. Schon vor 20 Jahren habe ich immer alles sofort bearbeitet und abgespeichert. Das ist durchaus nicht üblich. Im Bereich der atmosphärischen Messungen gibt es viele Datenfriedhöfe: Manch einer bleibt auf seinen Ergebnissen sitzen, bis er etwas dazu veröffentlicht, und dann sind sie irgendwann nicht mehr verfügbar." Mehrfach flog Krämer bei Messkampagnen mit. Manchmal allerdings war es zu aufwändig oder schlicht nicht möglich, etwa, wenn umgebaute russische und amerikanische Spionageflugzeuge bis in 20 Kilometer Höhe vorstießen. Auf jeden Fall aber entstand eine umfangreiche Datenbank.

"Man hatte bereits gewusst, dass bei speziellen Wetterereignissen, zum Beispiel in Konvektionen bei Gewittern, Wolken nach oben steigen. Aber es war nicht bekannt, dass es sich um einen generellen Prozess handelt. Wir konnten Luftpakete durch Rückwärtstrajektorien am Computer zurückverfolgen und nachweisen, dass sie im großen Stil von unten heraufkommen und dabei quasi Wolken mitbringen."

Diese Wolken beginnen ihre Karriere als Wasserwolken: Flüssige Tropfen steigen in der Atmosphäre nach oben und vereisen ab einer Höhe von circa fünf Kilometern. Dies sind die "liquid origin"-Zirren. Die "in situ"-Zirren hingegen entstehen direkt in großer Höhe als Eiswolken. "Ihre Eispartikel sind in der Regel kleiner, da so weit oben weniger Wasser vorhanden ist. Die Partikel haben auch eine ganz andere Form." Wichtig werden diese Erkenntnisse, wenn es darum geht, wie viel Sonnenstrahlung die jeweiligen Eiswolken reflektieren. Dabei spielt nicht nur die Größe der Partikel, sondern auch die Dicke und der Eiswasser-Gehalt der Wolken eine Rolle: Mehr Eis reflektiert mehr. "Insgesamt haben Wolken einen kühlenden Effekt", sagt Krämer. "Aber die kalten Zirren wirken wärmend, vor allem die in situ gebildeten. Kühlung durch Zirren könnte durch 'liquid origin'-Zirren geschehen. Dies zu untersuchen ist eine der Aufgaben hier an der JGU."

Kooperation mit Institut für Physik der Atmosphäre

Vor diesen Erkenntnissen wurden Eiswolken in Klimamodellen in einen Korb geworfen. "Man versuchte, Äpfel und Birnen in einer Kategorie zu fassen." Das hat sich mit Krämers Forschung geändert: "in situ"- und "liquid origin"-Zirren werden nun in all ihren Spielarten unterschieden. Damit lassen sich präzisere Klimaprognosen erstellen.

Krämer blätterte während des Gesprächs immer wieder in einem wissenschaftlichen Artikel. Unter anderem zeigte sie Grafiken daraus, die sich mit den Eispartikeln in Zirren beschäftigen. "Das hier ist alles ganz frisch und noch nicht veröffentlicht", erzählt sie. Die Meteorologin verfasste den Beitrag gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Peter Spichtinger vom Institut für Physik der Atmosphäre. Er steht stellvertretend für das Projekt, das Krämer als GFK-Fellow in den kommenden fünf Jahren an der JGU realisieren will.

"Professor Spichtinger und ich ergänzen uns hervorragend. Er ist mehr der Theoretiker und befasst sich vor allem mit Computermodellierungen, ich stehe an der Grenze zwischen Praxis und Theorie, mache also auch Messungen und Experimente. Nun wollen wir eine Strahlungsrechnung für 'liquid origin'- und für 'in situ'-Zirren aufstellen. Damit werden wir genauere Aussagen über den Einfluss der Eiswolken auf das Energiebudget der Erde und deren Klimaeffekt treffen können."

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