Winnetou auf dem Prüfstand

13. März 2012

Im Fokus der Forschung von Prof. Dr. Mita Banerjee stehen indigene Völker. Sie untersucht, wie Maori, Inuit, Aborigines oder Indianer in der heutigen Gesellschaft leben. Die Amerikanistin hinterfragt dabei Klischees und verbindet in ihren Projekten unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen.

Der Indianer an sich trägt Federschmuck, er wohnt in einem Tipi und ist ausgesprochen naturverbunden. Sein Draht zu Mutter Erde glüht heiß, während dem modernen Menschen eine solch innige Verbindung völlig abgeht. "Mit solchen Vorstellungen kamen viele Leute voriges Jahr in unsere Ringvorlesung", erinnert sich Prof. Dr. Mita Banerjee. "Sie wollten einen richtigen Indianer sehen." Die Amerikanistin fand diese Einstellung gar nicht mal so schlimm. "Damit lässt sich arbeiten", meint sie. "Wir können gut das Romantisierende dieses Bildes hinterfragen."

Genau das geschah in der Reihe "Vanishing Indians and Disappearing Inuits? Envisioning Comparative Indigenous Studies" des Center for Comparative Native and Indigenous Studies (CCNIS) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Unter anderem ging es seinerzeit um Karl Mays berühmte Romangestalt Winnetou. "Nichts von dem, was Sie da lesen, stimmt. Aber Karl May hat immerhin den Indianer auf die Landkarte der Deutschen gebracht." Das sei schon mal was. "Der nächste Schritt allerdings ist schwer, denn wir wollen die Leute ja auch nicht zu sehr enttäuschen."

Karl May lag völlig falsch

Enttäuschen will Banerjee vielleicht nicht, doch das Bild verändern sicher. "Ob Indianer, Maori oder Aborigines, in unserer Wahrnehmung sind ihre Communities immer irgendwie vormodern. Uns interessiert aber: Wie leben diese indigenen Völker heute? Sie haben zwar eine bestimmte Geschichte, ihre besonderen Wurzeln, aber zugleich leben sie in unserer Gesellschaft."

2010 kam Banerjee, gebürtige Mainzerin, von der Universität Siegen zurück nach Mainz. Eines ihrer Ziele war die Gründung des CCNIS. Dieses Zentrum erforscht über die Fachgrenzen hinweg die Geschichte und Kultur indigener Völker wie der Aborigines in Australien, der Maori Neuseelands oder eben der Indianer Nordamerikas. "Wir wollen untersuchen, welche Gemeinsamkeiten es zwischen diesen Völkern gibt, wobei wir andererseits ihre Eigenständigkeit nie in Frage stellen."

Sehnsucht nach dem Unberührten

Ihnen allen gemeinsam ist zum Beispiel, dass sie von eindringenden Siedlern ihrer Existenzgrundlage beraubt, über die Jahrhunderte unterdrückt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Erst danach, als sie beinahe verschunden waren, setzte eine Romantisierung ein. "Man entdeckte plötzlich: 'Mensch, der Indianer ist richtig toll'!", erzählt Banerjee nicht ohne ein gewisses Maß an bitterer Ironie. Man setzte sich ein Bild zusammen, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatte. "Dieses Bild sagt mehr über unsere Sehnsucht aus als über die Realität. Wir wollen, dass noch irgendwas unberührt ist, es ist dieser Wunsch nach Flucht aus der Zivilisation."

Banerjee bleibt nicht lange bei solch philosophischen Erwägungen, sie erzählt lieber von Menschen. Von einer Studentin etwa, deren Vater Hopi-Indianer und deren Mutter Deutsche ist. "Sie sieht sich als bikulturell. Sie geht gern in Schulen und stellt sich in Jeans als Indianerin vor." Dort fragen die Schüler natürlich nach Pferd, nach Federschmuck - und erleben eine Indianerin, die so gar nicht ihrem Klischee entspricht.

Prominente Gäste

In seinen Forschungen geht das CCNIS selbstverständlich noch tiefer. Kulturelle Äußerungen verschiedenster Art werden unter die Lupe genommen, ob Tanz, Theater, Musik, Film oder Literatur.

Immer wieder lädt Banerjee prominente Gäste an die Universität. So kamen zur Ringvorlesung Prof. Robert Warrior und Prof. John Gamber aus den USA. "Beide spielen gern mit der Tatsache, dass sie als Akademiker privilegiert und zugleich Teil der indigenen Kultur sind", erzählt Banerjee. Auch Kim Scott, der vielfach ausgezeichnete australische Schriftsteller, war zu Gast. Er gewann als erster Aborigine den renommierten Miles Franklin Award.

Grenzerfahrungen menschlichen Lebens

"Er kommt im Sommer wieder", freut sich Banerjee. Dann berichtet er nicht etwa über seine schriftstellerische Arbeit, sondern über ein Projekt mit Medizinern: Ein Aborigine mit Alkoholproblem ist in Australien ein Stereotyp. Ärzte nehmen das ohne Nachfrage hin. Das will Scott ändern. Er hat Interviews mit traumatisierten Aborigines aufgenommen. Da entpuppt sich das Trinken womöglich als Reaktion auf die Ermordung der Eltern.

"Medizinstudenten sollen sich das angucken", erzählt Banerjee. "Plötzlich nehmen sie ihr Gegenüber als Menschen wahr, als jemanden, der zufällig auch ein Aborigine ist." Scotts Arbeit ähnelt einem aktuellen Vorhaben Banerjees, einem Graduiertenkolleg, das die Mainzer Amerikanistik gemeinsam mit dem Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, betreibt: "Grenzerfahrungen des menschlichen Lebens zwischen Life Sciences und Life Writing."

Viel Austausch mit anderen Fächern

"Wir bringen verschiedene naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Disziplinen zusammen. Für Mediziner und Biowissenschaftler kann es sehr interessant sein, was Menschen über ihr Leben, ihre Krankheiten schreiben." Dabei stehen nicht nur Autobiografien im Blickpunkt. Auch Tagebücher, Blogs im Internet oder andere künstlerische Verarbeitungen der Lebenssituation interessieren. Ein Antrag auf Unterstützung ging an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die Zusammenarbeit mit anderen Fächern ist Banerjee wichtig. Sie erzählt viel vom Austausch mit Kollegen aus der Geografie, der Medizin oder der Pharmazie. "Leute zusammenzuführen, die unterschiedlich denken und forschen, das bringt mich weiter", sagt sie. Das könnte ein Motto für ihre gesamte Forschung sein.