Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul hat in Mainz seinen idealen Studienort gefunden

13. Oktober 2022

Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha 2019 gewann Zehnkämpfer Niklas Kaul Gold, drei Jahre später holte er bei den Europameisterschaften in München den Titel. Zugleich studiert der 24-Jährige an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Hier kann er Profisport und Studium hervorragend miteinander vereinen.

An diesem Morgen geht es auf der Sportanlage des Gutenberg-Campus recht ruhig zu. Eine Läuferin dreht ihre Runden, gänzlich unbeeindruckt von den ab und an niedergehenden Regenschauern. Niklas Kaul schaut sich um. Dieser Ort ist ihm vertraut. "Mit elf Jahren kam ich das erste Mal her um zu trainieren. Damals war die Leichtathletik beim USC Mainz noch gar kein so großes Thema. Es ist schön, dass sich das mittlerweile geändert hat." Momentan absolviert der 24-Jährige ein Praktikum: Mehrere Tage die Woche arbeitet er im Physik-Labor in der Nachbarschaft, da ließ sich das Interview gut einschieben.

"Die JGU ist eine Campusuni, das macht sie in meinen Augen zu etwas Besonderem", meint Kaul. "Alles liegt nah beieinander. Ich brauche nur ein paar Minuten in die Physik. Für mich ist das wichtig. Lange Wege würden meine Tagesplanung sehr erschweren." 2016 wurde die JGU in den Kreis der Partnerhochschulen des Spitzensports aufgenommen, auch das kommt ihm zugute. "In Deutschland ist es sehr selten, dass Sport und Studium so gut zusammengehen. Ich habe keine Probleme, in Mainz passt das hervorragend. Die Leute kommen mir sehr entgegen, auch wenn ich am Ende natürlich dieselbe Leistung bringen muss wie alle anderen."

Mit 21 Jahren an der Weltspitze

Kaul studiert Physik und Sport im Lehramt – und er gehört seit geraumer Zeit zur Weltspitze der Zehnkämpfer: 2019 erlebte er im Alter von nur 21 Jahren den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha gewann er Gold. Der Wettkampf lief ab wie ein Krimi. Zuerst sah es nicht nach einem Sieg aus. Kaul ging als Elfter in die vorletzte Disziplin, den Speerwurf. Dort erreichte er die sensationelle Weite von 79,05 Metern und zum Finale ließ er dann im 1.500-Meter-Lauf alle Konkurrenten hinter sich. Mit insgesamt 8.691 Punkten holte er den Titel. Die Presse feierte ihn als jüngsten Weltmeister in der Geschichte des Zehnkampfs.

"Gut, dass ich der Jüngste bin, ist mir nicht so wichtig", meint er schulterzuckend. "Das passiert halt. Aber es war toll, als Weltmeister nach Hause zu kommen und das mit einer solch hohen Punktzahl. Dieser Sieg war auch für mich eine große Überraschung." Dabei hatte Kaul bereits in den Jahren zuvor herausragende Leistungen gezeigt: Unter anderem wurde er 2016 U20-Weltmeister und 2018 holte er bei den Europameisterschaften in Berlin Bronze. Auch damit machte er Schlagzeilen, nach Doha allerdings war der Rummel entschieden größer.

"Diese mediale Aufmerksamkeit ist sicherlich der Aspekt, der sich am meisten geändert hat", so Kaul. "Ich musste viele Interviews geben. Aber es ist schön, mit dem Zehnkampf ein bisschen mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken." Mit Blick auf die JGU stellt er fest: "Am Umfeld hier hat sich nichts geändert. Die Leute kennen mich ja schon seit vielen Jahren, auch in den Lehrveranstaltungen läuft alles wie immer." Das ist ihm wichtig.

Durststrecke mit Corona und Verletzungen

Niklas Kaul wurde in Mainz geboren, er wuchs im nahegelegenen Saulheim auf. "Ich kenne Leitungssportlerinnen und -sportler, die zum Studieren in die USA gehen, weil sie sich davon bessere Bedingungen versprechen. Aber warum sollte ich das tun? Hier läuft alles ideal. Wir haben bisher immer Lösungen gefunden. Wenn es mir zum Beispiel wegen eines Wettkampfs nicht möglich ist, einen Prüfungstermin wahrzunehmen, darf ich ihn nachholen. Außerdem kann ich meine Trainingszeiten sehr flexibel gestalten. Vieles lege ich in die Abendstunden. Ich habe den Vorteil, dass mich meine Eltern trainieren. Sie haben beide selbst während ihres Studiums an der JGU auf dieser Anlage trainiert und wissen, worum es geht."

Dennoch muss Kaul Zugeständnisse machen: "Außerhalb der Saison hole ich vieles an Lehrstoff nach und ohne ein genaues Zeitmanagement komme ich nicht klar." Sein Studium dauert auch etwas länger als ursprünglich vorgesehen. "Im kommenden Jahr will ich aber meinen Bachelor angehen. Zum Glück konnte ich in Physik einiges vorziehen, sodass mir danach für den Master nicht mehr allzu viel fehlt. Mit dem Referendariat allerdings werde ich bis zum Ende meiner Sportkarriere warten. Das wird wahrscheinlich etwa mit 30 sein. Dann will ich mich voll auf den Lehrerberuf konzentrieren. Wenn ich etwas tue, dann tue ich es richtig."

Nach der Weltmeisterschaft in Doha erwartete Kaul eine Durststrecke – sowohl im Sport als auch im Studium: "Die Uni lebt sehr davon, dass man anderen Studierenden begegnet, zusammen in die Mensa geht, gemeinsam Dinge erlebt, dass eben nicht alles zweckgebunden ist. Durch Corona änderte sich das. Ich habe zumindest den Vorteil, dass ich noch vor der Pandemie mit meinem Studium begonnen hatte und viele Leute kennenlernen konnte. Aber wer online einsteigen musste, hat viel verpasst."

2020 war kein gutes Jahr für Kaul. "Ich musste am Ellenbogen operiert werden und es dauerte lange, bis ich wieder werfen konnte." Im Folgejahr reiste er dann zu den Olympischen Spielen nach Tokio, die wegen Corona weitgehend ohne Publikum stattfinden mussten. "Damit fehlte schon etwas, auch wenn es manchen jüngeren Sportlerinnen und Sportlern vielleicht half, ihre Nervosität zu überwinden." Dann verletzte sich Kaul beim Hochsprung. "Ich musste aufgeben, das war bitter."

Großer Jubel in München

Umso hoffnungsvoller blickte Kaul in diesem August auf die Europameisterschaften in München. "Meine Freunde haben sich gewundert, wie sehr ich mich darauf freute. Sie meinten, es sei doch viel spannender, durch die Welt zu reisen als einfach nur nach München. Aber ich war mir sicher: Mit dem wieder zugelassenen Publikum erleben wir ein Volksfest. Tatsächlich war die Stimmung im Olympiapark toll, der unglaubliche Jubel hat mir sehr geholfen und es hat alles Riesenspaß gemacht. Wir Zehnkämpfer haben zwei aufregende Tage erlebt, die spannend für alle Beteiligten waren." Mit 8.545 Punkten holte Kaul den Titel. "Doha war eine Überraschung, München war hart erarbeitet", sagt er.

Was aber kann er jetzt sportlich noch erreichen? "Zuletzt in München dachte ich: Was die Punktzahl angeht, hätte noch mehr drin sein können. Also werde ich daran arbeiten." 2024 stehen wieder Olympische Spiele an, dann in Paris. "Darauf trainiere ich bereits hin. Mit Olympia habe ich ja gewissermaßen noch eine Rechnung offen." Eine Medaille dort wäre noch mal etwas ganz Außergewöhnliches für ihn.

"Als ich mit der Leichtathletik begann, hätte ich nicht daran gedacht, Geld damit zu verdienen. Dafür hätte ich eher Fußball spielen müssen. Nun kann ich mein Studium mit meinem Sport finanzieren. Das ist einfach schön." Für dieses Studium geht es nun wieder nebenan ins Physik-Labor. Doch bevor Kaul sich endgültig verabschiedet, schaut schnell noch die unermüdliche Läuferin vorbei. Sie nickt ihm zu: "Tolle Leistung in München." Kaul lächelt: "Danke." Das war's.