Zirrhosen live und zellgenau messen

21. Dezember 2011

Detlef Schuppan und seine Mitarbeiter entwickeln eine revolutionäre Methode, die es ermöglichen wird, den Verlauf von Fibrosen und Zirrhosen zellgenau zu messen und sichtbar zu machen. Dafür bekam der Mediziner und Chemiker die höchstdotierte Forschungsförderung des Europäischen Union, den ERC Advanced Grant.

Sein Büro wirkt nicht allzu repräsentativ. Neulich erst ist das Regal umgekippt, nun stapeln sich die Fachbücher an der Wand. "Eine Überganglösung", meint Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan lakonisch. Gerade kommt der Mediziner von einer Endoskopie, der nächste Termin ist auch schon in Sicht. "Es geht um die Einwerbung von Drittmitteln", deutet der 57-Jährige an. Doch dazwischen erzählt er gern etwas von seiner Forschung, von den umwälzenden Methoden, für die er 2011 den Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten hat. "Das sind 2,5 Millionen Euro auf fünf Jahre, damit können wir schon was machen." Tatsächlich ist dies die höchstdotierte Forschungsförderung der Europäischen Union.

Grundlagenforschung schnell in Praxis umsetzen

Im Dezember 2010 ist Schuppan nach Mainz an die I. Medizinische Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz gekommen. Fibrose- und Zöliakieforschung sind die Schwerpunkte des Professors für Molekulare und Translationale Medizin. "Am besten beginne ich damit, Ihnen 'translational' zu erklären", meint Schuppan. "Es geht darum, Grundlagenforschung möglichst schnell in die Praxis umzusetzen." Gerade in der Medizin sei das wichtig. "Davon profitieren die Patienten und alle anderen Beteiligten."

Zu diesen Beteiligten gehören auch die Pharmakonzerne. "Die verfügen über immer mehr interessante Wirksubstanzen, doch die Entwicklung bis zur Marktreife ist ungeheuer kostspielig." Das gilt besonders für Erkrankungen, bei denen sich die Effekte einer verabreichten Substanz nur schwer messen lassen.

Die Organfibrose ist so ein Fall. Am bekanntesten ist die Leberfibrose und im fortgeschrittenen Stadium die Zirrhose. Die Mediziner zählen in Europa auf 100.000 Personen mindestens 250 Fälle pro Jahr. An der Leber entstehen knotige Veränderungen. Es bildet sich Narbengewebe, wo keines hingehört. Auch andere Organe wie Lunge, Nieren oder Haut können von Fibrosen betroffen sein.

Diagnose bei Fibrosen und Zirrhosen

Deren Verlauf allerdings lässt sich nicht sehr genau diagnostizieren. Bei der Erprobung eines Medikaments sieht es so aus, dass allein in der ersten Phase der klinischen Prüfung Hunderte von Patienten nötig sind. Es kann Jahre dauern, bis klar ist, ob und wie eine Substanz bei ihnen anschlägt. "Das ist natürlich mit einem hohen Risiko für die Patienten verbunden", gibt Schuppan zu bedenken.

Zwar sei es auch möglich, Proben aus der Leber entnehmen. "Doch wir können nur ganz kleine Proben nehmen, und die Stichprobenfehler sind dadurch so groß, dass Sie wieder viele Patienten brauchen."

Aufwand um Faktor 100.000 reduzieren

Schuppan und seine Mitarbeiter arbeiten nun an einer Methode, die auf diesem Gebiet revolutionär wirken wird. "Wir werden den Aufwand etwa um den Faktor 100.000 reduzieren. Wo früher 500 oder 1000 Patienten über Jahre behandelt wurden, reichen uns fünf Patienten für drei, vier Tage."

Der Professor verwendet kleinste Mengen radioaktiv markierter Substanzen. "Sie hängen sich an kleine Moleküle auf der Oberfläche spezifischer Zellen." Solcher Zellen nämlich, die an der Bildung des unerwünschten Narbengewebes beteiligt sind. Nun werden Fibrosen und Zirrhosen quasi molekülgenau und live messbar. Was vorher nur umständlich zu diagnostizieren war, lässt sich nun genau beobachten. Verabreichen Mediziner einen Wirkstoff, können sie sofort nachschauen, wie er wirkt. "Und das können Sie nicht nur an der Leber, sondern auch an der Lunge oder der Bauchspeicheldrüse machen. Es ist immer dasselbe Prinzip."

Einzigartige Forschung

Weltweit ist die Forschung Schuppans und seiner Mitarbeiter einmalig. "Wenn es gut läuft, können wir in zwei, drei Jahren die ersten Substanzen an kleinen Patientengruppen testen", meint er. Doch das ist erst der Anfang. "Wir interessieren uns für Therapien, die eine Zirrhose rückgängig machen, die das Narbengewebe abbauen."

Davon abgesehen ist es in vielen Bereichen nützlich, zellgenau in den Körper zu schauen und in der Folge auch zellgenau auf ihn Einfluss zu nehmen. "Wenn Sie einen Wirkstoff nur in die Zelle geben, die sie behandeln wollen, haben Sie ein höhere Effektivität und weniger Nebenwirkungen."

Fünf Jahre also wird nun diese Forschung durch den Advanced Grant gefördert. Schuppan holt Luft und hält kurz inne. "Das ist aber nur eines von unseren vielen Projekten", meint er. Auch in Sachen Zöliakie, der Glutenunverträglichkeit, tue sich gerade einiges. Aber da wartet auch schon die nächste Verabredung vor dem kleinen Büro, ein anderes Mal also. "Ich kann Ihnen noch viel erzählen", verspricht Schuppan zum Abschied.