Zukunft mit Herkunft

13. September 2024

Vor 75 Jahren etablierte die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) das Studium generale als Angebot für alle Studierenden. Seither ist es kontinuierlich weiterentwickelt worden. Zu seinen renommiertesten Programmen zählen die Mainzer Universitätsgespräche und die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur. Immer wichtiger wird zudem die Integration in zahlreiche Bachelor- und Masterstudiengänge.

Fragen zur Zukunft von Urbanität und ethische Aspekte in der modernen Medizin: Mit diesen hochaktuellen Themenfeldern startete das Studium generale ins Jubiläumsjahr 2024. Hinzu kamen zusätzliche Angebote für Studierende, unter anderem eine Vorlesung zum Thema Wissenschaftsreflexion. "Hier ging es um Schlüsselfragen der Wissenschaft", fasst Prof. Dr. Cornelis Menke, der das Studium generale der JGU seit 2018 leitet, kurz zusammen.

Das Mainzer Studium generale wurde in den Grundzügen seiner heutigen Form vor 75 Jahren an der JGU eingerichtet. Nach wie vor trifft es auch heute mit seinen Angeboten immer wieder den Nerv der Zeit. Dafür spricht die erhebliche Reichweite: Die Auftaktvorlesung einer Reihe zum Thema Klimawandel im Jahr 2020 zählte 900 Teilnehmer*innen im digitalen Stream. "Felder wie Klimawissenschaften haben ein großes Potenzial für unser Format", betont Menke, der selbst Physik, Altgriechisch und Philosophie in Berlin studierte, bevor er zur Promotion in Wissenschaftsphilosophie und schließlich zur Habilitation nach Bielefeld wechselte. Durchschnittlich liegt die Zahl der angemeldeten Teilnehmenden je Vorlesung bei 100 bis 200. Insbesondere digitale Angebote haben die Reichweite seit der Corona-Pandemie erheblich erweitert. Im YouTube-Kanal zur Stiftungsprofessur gibt es Videos von Veranstaltungen mit mittlerweile mehreren Zehntausend Aufrufen.


Prof. Dr. Cornelis Menke leitet seit 2018 das Studium generale der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. (Foto: Peter Thomas)
Prof. Dr. Cornelis Menke leitet seit 2018 das Studium generale der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. (Foto: Peter Thomas)

"Mit seiner Gründung im Wintersemester 1949/1950 vor 75 Jahren ist das Studium generale der JGU eine der Institutionen mit besonders langer Tradition an unserer Universität. Es zeichnet sich im Vergleich mit ähnlichen Einrichtungen an anderen Hochschulen durch seine frühe Gründung aus", unterstreicht JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch. "Als interdisziplinäres Angebot setzt das Studium generale Maßstäbe der Wissenschaftsvermittlung in die Universität hinein sowie nach außen in die Stadt- und Regionalgesellschaft.  Zudem steht die immer stärkere Einbindung in unsere Bachelor- und Masterstudiengänge für eine starke Zukunft des Angebots."

Interdisziplinarität steckt in den Genen des Studium generale

Ab dem Wintersemester 1948/1949 gab es einen Vorläufer des Studium generale als wissenschaftliches Propädeutikum. 1949/1950 für alle Studierenden freigegeben, verlagerte sich der Schwerpunkt dann hin zum Programm, das verschiedene Einzelfächer durch übergreifende Angebote erweiterte. "Ähnliche Formate gab es damals an Universitäten in verschiedenen Ländern, vor allem die beiden Aspekt der Allgemeinbildung und der politischen Bildung waren von zentraler Bedeutung – das kann man als einen Beitrag zur Friedensertüchtigung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehen", erläutert Menke diesen interdisziplinären Ansatz.

Geboren aus dieser Idee der Offenheit und Vermittlung, ist das Studium generale in Mainz nie stehen geblieben, sondern hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. Im Jahr 1958 wurden die Mainzer Universitätsgespräche etabliert, die einen Fokus auf Wissenschaftsreflexion setzen. Eine zweite Vorlesungsreihe entstand Anfang der 1960er-Jahre, die sich stärker einer breiteren Öffentlichkeit zuwandte. Damals nahm die Bedeutung des Studium generale für die städtische Öffentlichkeit deutlich zu. Vor 25 Jahren wurde dann die beim Studium generale angesiedelte Stiftungsprofessur von den Freunden der Universität Mainz e.V. zum anstehenden 600. Geburtstag Johannes Gutenbergs ins Leben gerufen.


Neben Angeboten für Studierende hat das Studium generale der JGU jedes Semester auch eine Reihe öffentlicher Veranstaltungsreihen für die interessierte Stadtgesellschaft im Programm. (Foto: Peter Thomas)
Neben Angeboten für Studierende hat das Studium generale der JGU jedes Semester auch eine Reihe öffentlicher Veranstaltungsreihen für die interessierte Stadtgesellschaft im Programm. (Foto: Peter Thomas)

Zur selben Zeit begann im Zuge der Bolognareform die Integration von Angeboten des Studium generale in die Lehrpläne der einzelnen Fächer. "Das ist derzeit in 10 Bachelor- und 21 Masterstudiengängen der Fall", zeigt sich Menke zufrieden. Diese sogenannten Exportmodule haben den wissenschaftlichen Blick über den Tellerrand fest als Möglichkeit in den jeweiligen Curricula verankert. "Von der Interdisziplinarität mit ihrem großen wissenschaftlichen Wert sollten spätestens im Masterstudium so viele Studierende wie möglich profitieren", so der Leiter des Studium generale. Es gehe darum, mit anderen Fächern in Kontakt zu kommen, aber auch grundsätzliche wissenschaftstheoretische Fragen mit hohem Praxisbezug zu erörtern – zum Beispiel, was ein erstrebenswerter wissenschaftlicher Output ist.

Reflektion durch Neues

Die interdisziplinären Module sind wissenschaftlichen Grundlagen und Grundkompetenzen zugeordnet. "Die inhaltliche Ausformung entspricht der spezifischen Ausrichtung des Studium generale in Mainz", erläutert Menke. Angesprochen werden mit den Angeboten Studierende in fortgeschrittenen Phasen ihres Studiums. Schließlich sollen die Teilnehmenden nicht nur Inhalte und Fragestellungen anderer Fächer kennenlernen, sondern "auch einen reflektierenden Blick werfen auf das eigene Studium", betont der Wissenschaftsphilosoph. Er selbst forscht unter anderem zu Allgemeiner und Vergleichender Methodologie in einem Fächerspektrum von der Physik über Geowissenschaften und Statistik bis zur Indoeuropäistik.


Seit 1975 finden die "Mainzer Universitätsgespräche" des Studium generale im Hörsaalgebäude "Muschel" auf dem Gutenberg-Campus statt. (Foto: Peter Thomas)
Seit 1975 finden die "Mainzer Universitätsgespräche" des Studium generale im Hörsaalgebäude "Muschel" auf dem Gutenberg-Campus statt. (Foto: Peter Thomas)

Um konkrete Kompetenzen geht es schließlich bei zwei weiteren Angeboten: Das Studium generale Data Lab vermittelt gemeinsam mit Partnern aus der Universität und darüber hinaus Wissen und Fähigkeiten in Data Literacy, also dem reflektierten, kritischen Umgang mit digitalen Daten. Dazu gehören Themenfelder wie  Informationsbeschaffung, Grundlagen der Programmiertechnik und ethische wie rechtliche Datenreflexion. Das entsprechende Zertifikatsprogramm "Daten und Information", das in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Mainz erarbeitet wird, soll noch 2024 für Masterstudierende starten. Ein weiteres interdisziplinäres Zertifikat zur "Wissenschaftsreflexion" soll ab dem kommenden Jahr angeboten werden.

Außerdem gibt es das Zertifikat "Event Management in Science and Research". Dabei werden den Teilnehmenden Fähigkeiten und Erfahrungen vermittelt, um Veranstaltungen von der wissenschaftlichen Konferenz bis zum Science Slam auszurichten. Die Idee dazu ist aus der internationalen Studierendenkonferenz des Studium generale entstanden. "Hier wird ein sehr hoher Praxisbezug mit Blick auf heutige akademische Karrieren geboten", so Menke. Auch die gesamtgesellschaftliche Relevanz des interdisziplinären Angebots ist groß. Denn Kommunikation zu aktueller Forschung ist in den Zeiten von Fake News und Wissenschaftsverdrossenheit besonders wichtig. Das Studium generale der JGU leistet hier auch 75 Jahre nach seiner Gründung einen wichtigen Beitrag.

Text: Peter Thomas