Sport in sozialer Verantwortung

4. März 2020

Sportstudierende gehen in soziale Einrichtungen und die Sozialpädagogik hält Einzug ins Sportstudium: Dies sind die Ziele des bundesweit einzigartigen Projekts "Sport/sozial", das Anfang vorigen Jahres am Institut für Sportwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) startete.

Studierende bringen Sport in soziale Einrichtungen: Im offenen Kinder- und Jugendtreff "Blauer Elefant" in der Mainzer Neustadt etwa gibt es neuerdings ein spezielles Angebot für Mädchen. "Es war eine Herausforderung, etwas Passendes zu konzipieren", erzählt Laura Trautmann vom Institut für Sportwissenschaft der JGU. "Die motorischen Fähigkeiten der einzelnen Kinder sind sehr unterschiedlich entwickelt und die Gruppe ist auch kulturell sehr heterogen zusammengesetzt."

Ein Student führt Rollstuhlfahrer ins Tennisspiel ein, eine seiner Kommilitoninnen lädt zu speziellen Tanzkursen in den Mainzer Mädchentreff ein. "All diese Angebote konnten die Studierenden nur in enger Zusammenarbeit mit dem Personal vor Ort umsetzen", betont Trautmann. "Wir haben uns dabei schnell von der Vorstellung verabschiedet, dass es ein Grundmodell oder eine Lösung für alle Fälle gibt. Wir müssen nicht nur auf die unterschiedlichen Personengruppen, auf ihre Voraussetzungen und Bedürfnisse eingehen, sondern auch berücksichtigen, wie viel Zeit in einer Einrichtung zur Verfügung steht oder welche Räumlichkeiten vorhanden sind. Es ist spannend, gemeinsam mit den Studierenden herauszufinden, was funktionieren kann."

Sport ist mehr als nur Wettkampf

Das Anfang vorigen Jahres vom Institut für Sportwissenschaft initiierte Projekt "Sport/sozial" macht solch außergewöhnliche Aktionen möglich. Trautmann betreut das Projekt, unterstützt und begleitet von Prof. Dr. Tim Bindel, dem Leiter der Abteilung Sportpädagogik und Sportdidaktik am Institut für Sportwissenschaft.

Dass Sport eine wichtige soziale Funktion ausüben kann, ist beinahe schon eine Binsenweisheit. "Sport gilt als eines der zentralen Themen in der Sozialarbeit", sagt Bindel. Ob in der Flüchtlingshilfe oder im Jugendstrafvollzug, in Kindergärten oder in Seniorenheimen: Sport steht überall auf dem Programm. Oder zumindest sollte es so sein. "Was oft fehlt, sind die passenden Konzepte, die es einer ganz bestimmten Klientel ermöglichen, am Sport teilzuhaben", meint Trautmann. Sie selbst arbeitete als Referentin für Inklusion beim Landessportbund Rheinland-Pfalz und machte dort einschlägige Erfahrungen. "Es geht um Gerechtigkeit: Wie schaffen wir es, wirklich allen die Chance zu geben, Zugang zum Sport zu bekommen? Wir brauchen hier mehr partizipative Ansätze."

"Sport/sozial" führt Studierende des Bachelor-Studiengangs "Sport und Sportwissenschaft" an diese Problematik heran. 2018 wurde das Projekt vom Gutenberg-Lehrkolleg (GLK) der JGU als herausragendes innovatives Lehrprojekt ausgezeichnet und mit 60.000 Euro unterstützt.

"Wir wollen unseren Studierenden ganz früh zeigen, dass Sport größer und vielseitiger ist, als sie denken", erklärt Bindel. "Wir sagen ihnen: Ihr könnt kreativ damit umgehen, Ihr könnt neue, eigene Formen entwickeln. Wir wollen grundlegende Dinge aufbrechen: Fußball muss nicht auf einem ebenen Spielfeld stattfinden, Sport muss kein Wettkampf sein. Wir sollten uns umorientieren und nicht mehr so sehr die traditionellen, leistungsorientierten Angebote im Blick haben. Gerade Jugendlichen fehlen häufig Räume, die ohne eine Verbesserungslogik funktionieren."

Evaluation und wissenschaftliche Begleitung

In einem ersten Schritt wandte sich Trautmann an diverse soziale Einrichtungen und gewann recht schnell 15 von ihnen als Kooperationspartner: "Wir rannten offene Türen ein. Die Einrichtungen sind froh, wenn wir sie mit unserem Projekt unterstützen. Sie haben Vertrauen zu uns. Es hat sich eine sehr schöne Zusammenarbeit entwickelt."

Die Studierenden gehen nicht mit fertigen Plänen in die Kindergärten, Jugendtreffs oder Mädchenhäuser – im Gegenteil: "Uns ist es wichtig, dass sie die Tagesabläufe mitbekommen: Wie läuft es vor Ort? Was fehlt vielleicht? Was können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeweils vorstellen? Wie bewegt man ganz bestimmte Menschen zum Sport? Erst danach entwickeln die Studierenden passende Angebote, die sie in einem sechswöchigen Praktikum anwenden und danach wissenschaftlich auswerten."

Diese Auswertung ist ein weiterer Schwerpunkt des Projekts: "Es gibt viele ähnliche Initiativen, die sich mit Sport in sozialen Einrichtungen befassen", sagt Bindel, "aber es gibt kaum Evaluationen dieser Projekte und nur ganz wenige wissenschaftliche Begleitungen und Befunde. Hier wollen wir eine Lücke füllen." Trautmann ergänzt: "Im letzten Seminar entstand ein Projektkatalog, den wir den Einrichtungen für ihre weitere Arbeit zur Verfügung stellen konnten."

Sozialpädagogischen Schwerpunkt setzen

"Sport/sozial" startete mit einer Gruppe von 20 Studierenden. "Etwa jeder Dritte in unserem Bachelor-Studiengang 'Sport und Sportwissenschaft' interessierte sich dafür", erzählt Bindel. "Bisher spielt soziale Arbeit im Sportstudium eine eher marginale Rolle. Doch unsere Studierenden können nun einen sozialpädagogischen Schwerpunkt setzen. In dieser Form gibt es das bundesweit sonst nirgends." Ein eigenes Prädikat "Sport/sozial" soll den Einstieg in soziale Berufe erleichtern. "Wir bringen Lehre, Forschung und Gemeinwohlorientierung zusammen. Ich denke, das ist ein gelungenes Beispiel für Service Learning." Für die Zukunft schwebt Bindel sogar ein eigener Master-Studiengang "Sport und soziale Verantwortung" vor.

Das Projekt "Sport/sozial" soll möglichst vielen offenstehen, darauf legen Trautmann und Bindel besonderen Wert. "Die Teilnahme ist nicht unbedingt an ein Prädikat gebunden", sagt Bindel. "Im Grunde kann jeder mitmachen und jeder soll für sich entscheiden, ob dies etwas für ihn ist oder nicht." – "Auch Einrichtungen können gern auf uns zukommen, wir freuen uns über weitere Kooperationen", meint Trautmann. "Sport/sozial" steht noch am Anfang. Das Projekt soll in den kommenden Jahren weiter wachsen.