Interkultureller Austausch funktioniert auch digital

16. März 2021

Das interkulturelle Training "Beyond Clichés" bringt Studierende verschiedenster Länder zusammen. Ende vorigen Jahres wurde dieses außergewöhnliche Angebot der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erstmals in die Aktivitäten der FORTHEM-Allianz eingebunden, einem Netzwerk aus sieben europäischen Universitäten. Trotz Corona war der Kurs ein großer Erfolg: Er zeigte, wie sich ein interkultureller Dialog über digitale Medien realisieren lässt.

"Klischees sind ein guter Ausgangspunkt für den interkulturellen Austausch", meint Jaakko Havela. "Sie können allerdings auch gefährlich werden, wenn wir sie zu ernst nehmen. Man sollte sie mit einem Augenzwinkern betrachten und sich immer bewusst sein, dass es eben nur Klischees sind. So funktioniert es am besten." Ein Klischee über die Finnen zitiert Havela gleich selbst. "Uns wird ein eigener Kommunikationsstil zugeschrieben: Angeblich fallen wir uns nie gegenseitig ins Wort. Wenn jemand etwas sagt, warten wir ab, ob noch was kommt. Es folgt erst mal eine Pause, bevor jemand anderes zur Entgegnung ansetzt. Wir sind also stille Menschen, die lange Pausen lieben."

"Und wir sind immer zu spät oder nur gerade mal so pünktlich", nimmt Juan Baltasar Gonzalez de Anta den Faden auf. "Wir gelten als leidenschaftlich", ergänzt er lächelnd. "Wir fallen anderen ins Wort." Für ihn ist dabei klar: "Das alles sind Stereotypen, eine Art von verallgemeinernden Ideen, die zwar schon irgendwie eine Realität reflektieren können. Aber sie sind nur dann nützlich, wenn wir sie hinterfragen."

Teilnehmende aus aller Welt

Gonzalez de Anta ist aus Valencia zugeschaltet. Er studiert Psychologie an der dortigen Universität. Der Politikwissenschafts-Student Havela sitzt in Jyväskylän vor seinem Computer. Ein digitales Videokonferenzsystem macht möglich, dass sie live an einem spanisch-finnisch-deutschen Gespräch teilnehmen – und dass sie Ende vorigen Jahres trotz Corona-Pandemie die Einladung zum interkulturellen Kurs "Beyond Clichés" an der JGU annehmen konnten.

"Wir bieten ein interkulturelles Training im internationalen Kontext an – das ist die Grundidee", erklärt Dr. Barbara Elisabeth Müller. "Wir setzen stark auf den direkten kulturellen Dialog. Die Studierenden arbeiten in kleinen internationalen Teams sehr praktisch orientiert zusammen, während sie von einer professionellen Trainerin Input erhalten." Bereits 2017 hat Müller, die sich am Fachbereich Sozialwissenschaften, Medien und Sport vor allem im Bereich Internationalisierung engagiert, das neuartige Veranstaltungsformat im Zuge des JGU-Projekts "Lehren – Organisieren – Beraten" (LOB) konzipiert. Seitdem hat sich "Beyond Clichés" als jährlich stattfindendes Internationalisierungsangebot etabliert. 2020 wurde es zum ersten Mal im Rahmen des neu geschaffenen Netzwerks FORTHEM (Fostering Outreach within European Regions, Transnational Higher Education and Mobility) angeboten. Diese Allianz will den internationalen Studierendenaustausch auf eine noch breitere Basis stellen. Neben der JGU, der Universidad de València und der Jyväskylän yliopisto sind noch die Université de Bourgogne in Frankreich, die Uniwersytet Opolski in Polen, die Università degli Studi di Palermo in Italien und die Latvijas Universitāte in Lettland beteiligt.

"Unser Training stand aber nicht nur den Studierenden der FORTHEM-Partner, sondern auch unseren Austauschstudierenden aus aller Welt offen", erzählt Müller. "Denn wir haben den großen Vorteil, dass für 'Beyond Clichés' eine sehr breite Basis an Interessierten vorhanden ist."

COVID-19 allerdings verhinderte, dass der Kurs wie üblich auf dem Mainzer Campus stattfand. Müller und ihr Team mussten auf digitale Kanäle umschalten. "Ich war positiv überrascht, wie gut das funktionierte", meint Gonzalez de Anta. "60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten per Videoplattform kommunizieren und trotzdem gelang es, viel Reflexion und Interaktion einzubauen." Havela sieht das ähnlich: "Vor einigen Jahren war ich als ERASMUS-Student in Berlin zu Gast. Dort staunte ich, wie oft in Deutschland immer noch auf Papierformulare zurückgegriffen wird." Jenes Klischee, dass die Bundesrepublik in Sachen Digitalisierung tüchtig hinterherhinkt, schien sich zu bestätigen. "Beyond Clichés" jedoch bot ein ganz anderes Bild: "Alles war hervorragend organisiert und lief wirklich reibungslos."

12 wunderbare Videos

Umso erstaunlicher, da gerade solch ein Training von der spontanen Interaktion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer lebt: In Kleingruppen sollen sich die Studierenden kennenlernen, sich mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen vertraut machen und am Ende gemeinsam ein Video konzipieren, das auf die ein oder andere Weise Interkulturalität spiegelt. "Tatsächlich geschah im Wesentlichen alles im Dialog", so Gonzalez de Anta. "Das war eine sehr intensive Arbeit."

Havela fand sich in einer Gruppe mit Studierenden aus Italien, Taiwan und Deutschland wieder. "Die praktische Arbeit am Video brachte uns schnell zusammen. Unsere taiwanesische Kommilitonin erzählte eine Legende, wie die einzelnen Tiere in den chinesischen Tierkreis kamen. Damit hatten wir unseren Stoff." Havel übernahm das Schreiben der Storyboards. Gonzalez de Antas Gruppe wählte ein lettisches Märchen um eine Prinzessin auf einem Glasberg. "Es enthält typische Zutaten wie Magie, Abenteuer und Liebe. So etwas in einem Video umzusetzen, ist nicht einfach. Aber der gesamte Kurs war so strukturiert, dass er uns sehr darin unterstützte."

Das "Beyond Clichés"-Team übernahm die Endbearbeitung. Es holte sich dafür sachkundige Unterstützung beim Zentrum für Audiovisuelle Produktion (ZAP) der JGU. "Ich war überrascht von dem hohen Niveau der einzelnen Filme", sagt Selina Beckmann, die als wissenschaftliche Hilfskraft mit von der Partie war. "Wir hatten im Vorfeld damit gerechnet, dass sich ein oder zwei Beiträge nicht realisieren lassen würden, weil die Qualität nicht stimmt. Aber ich finde alle 12 Videos wunderbar."

Auch in den Jahren zuvor hatten Studierende für "Beyond Clichés" kleine Filmsequenzen und Blogs erstellt. Doch mussten sich Müller und ihre Kolleginnen immer wieder mit Fragen um Datenschutz, Copyright oder Ähnlichem beschäftigen. Letztendlich waren die Arbeiten einem eher kleinen Publikum zugänglich. Das sollte sich diesmal ändern: Alle 12 Videos wurden über Instagram veröffentlicht. "Wir hatten in diesem Zusammenhang noch nie einen solchen Account genutzt", erzählt die JGU-Studentin Samantha Deutesfeld, die den Online-Auftrittt auf Instagram organisierte. "Doch es war klar, dass wir so viel mehr Menschen erreichen würden." Die Beiträge erschienen als eine Art besonderer Adventskalender in der Vorweihnachtszeit, wurden viel beachtet und sind immer noch zugänglich.

Durchweg positive Rückmeldungen

"Ich bin sehr froh über den Verlauf des gesamten Trainings", resümiert Müller. "Zu Beginn hatte ich noch meine Befürchtungen, ob das alles über das Internet funktionieren könnte. Aber ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Die bisherigen Rückmeldungen unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind durchweg sehr positiv und speziell unsere digitale Weihnachtsfeier zum Abschluss kam hervorragend an: Wir haben tatsächlich gemeinsam gefeiert."

"Trotzdem würde ich das nächste Mal gern persönlich nach Mainz kommen", wirft Havela ein. "Ich würde die Leute gern vor Ort kennenlernen und vielleicht neue Freundschaften schließen." Wie schwer dies in Zeiten von Corona sein kann, weiß auch Müller sehr genau. "Sicher werden wir einiges von dem beibehalten, was wir nun mit so viel Erfolg ausprobiert haben", meint sie. Vieles werde zukünftige "Beyond Clichés"-Kurse oder andere Angebote bereichern. "Doch das persönliche Treffen ist durch nichts zu ersetzen."

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