Lehramtsausbildung in Zeiten der Pandemie

30. Juni 2022

Im Zentrum für Lehrerbildung laufen die Fäden für die Lehramtsausbildung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zusammen. Auch in diesem Bereich gab es in den vergangenen zwei Jahren angesichts der Corona-Pandemie viele Veränderungen, wie der geschäftsführende Leiter, Prof. Dr. Markus Höffer-Mehlmer, berichtet. Schwerpunkte verschoben sich, Projekte bekamen frische Impulse oder wurden überhaupt erst ins Leben gerufen, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden.

Prof. Dr. Markus Höffer-Mehlmers Büro hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Im Regal stehen weiter Klassiker neben neuesten Veröffentlichungen. Und der alte Holztisch, den Höffer-Mehlmer mitbrachte, als er 2016 zum geschäftsführenden Leiter des Zentrums für Lehrerbildung (ZfL) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) berufen wurde, lädt immer noch zu Besprechungen im engeren Kreis. Dieser Raum wirkt wie ein Ruhepol, während der Pädagoge von den rasanten Entwicklungen der jüngsten Zeit berichtet.

"Die Corona-Pandemie hat uns sehr geprägt – aber ich will nicht klagen: Die vergangenen zwei Jahre waren für die gesamte Universität eine Herausforderung. Wir haben einige Einschränkungen hinnehmen müssen, aber daraus hat sich auch viel Gutes entwickelt. Im digitalen Bereich sind wir ungeheuer vorangekommen, davon werden wir auch in Zukunft profitieren."

Hohe Erwartungen an Lehrerbildung

Veränderungen und Herausforderungen prägen die Geschichte des ZfL von Beginn an. 2005 stand eine grundlegende Reform der Lehrerbildung ins Haus: Einerseits stellten die ersten PISA-Studien deutschen Schulen ein schlechtes Zeugnis aus. Mancherorts war sogar von einer "Bildungskatastrophe" die Rede. Andererseits kamen im Zuge des Bologna-Prozesses alle Studiengänge auf den Prüfstand. Die Universitäten reagierten auf diese Entwicklungen mit der Gründung von neuen zentralen Einrichtungen. "An der JGU sollte das ZfL als Vermittler fungieren, als Brücke zwischen Schulen, Studienseminaren, Ministerium und Universität", erzählt Höffer-Mehlmer. "Tatsächlich verbinden wir heute alle Institutionen, die mit der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern zu tun haben."

Die JGU bietet 22 Fächer, die sich für ein Lehramtsstudium frei kombinieren lassen, gekoppelt mit den Bildungswissenschaften, deren Studienbüro Teil der Geschäftsstelle des ZfL ist. "Wir müssen die Anforderungen jedes einzelnen Fachs und die Bedürfnisse der jeweiligen Studierenden unter einen Hut bringen."

Doch das ist nicht alles. Auch von anderer Seite werden Ansprüche an das Zentrum herangetragen: "Mittlerweile gehört es beinahe schon zum Mainstream, dass man Reformen in der Lehrerbildung fordert. In der Politik wird intensiv diskutiert, etwa zu Themen wie der Inklusion oder – bereits vor der Pandemie – der Digitalisierung." Immer wieder kämen zudem Forderungen nach neuen Schulfächern auf: Zur ökonomischen Bildung oder zur Gesundheitsvorsorge müsse es dringend eigene Angebote geben, hieß es in den letzten Jahren vor der Pandemie wiederholt. "Und die Frage nach einer adäquaten Berufs- oder Studienorientierung bleibt ebenfalls aktuell", ergänzt Höffer-Mehlmer.

"Es werden in hohem Maße Erwartungen an Schule und Lehrerbildung gestellt", konstatiert er – und betont zugleich: "Das ist auch gut so. Schließlich existieren sie nicht jenseits der Gesellschaft. Sie sollen sich in und mit ihr verändern. Aber das birgt die Gefahr, dass man einfach immer noch etwas draufsattelt auf die Ausbildung unserer Lehrerinnen und Lehrer. Auch der Lehrerberuf funktioniert nur bei lebenslangem Lernen. Wichtig ist, dass unsere Absolventinnen und Absolventen bereit und in der Lage sind, sich den Herausforderungen zu stellen, die in den Jahrzehnten ihrer Berufstätigkeit auf sie zukommen. Gerade die Digitalisierung zeigt, wie schnell aus Zukunft Vergangenheit wird."

Lehr-Lern-Forschungslabore

2016 bekam die Lehrerausbildung an der JGU einen frischen Impuls, der bis heute nachwirkt und immer Neues anstößt: Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Qualitätsoffensive Lehrerbildung brachte das Projekt "Lehr-Lern-Forschungslabore als Orte vertieften Lernens: Das Mainzer Modell kooperativer Lehrerbildung" hervor. Anfangs bauten die Didaktiken der Fächer Englisch, Geschichte und Physik in Kooperation mit den Bildungswissenschaften ihre Lehr-Lern-Forschungslabore auf: Dort können Lehramtsstudierende eigene Konzepte in realen Klassen erproben. Der Unterricht wird aus unterschiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen, die Aufzeichnungen stehen für ausführliche Reflexionen und Analysen zur Verfügung. Praxis und Theorie, Lehre und Wissenschaft gehen Hand in Hand.

Das Projekt wuchs über die Jahre, die Fächer Französisch, katholische Religion, Musik und Spanisch kamen hinzu: Insgesamt nahmen bisher rund 700 Studierende an mehr als 50 Lehr-Lern-Forschungslaboren teil. Ein großer Fundus an Unterrichtsmaterialien und digitalen Aufzeichnungen entstand, die sowohl die Studierenden als auch die Forschung voranbringen.

Mit Einsetzen der Corona-Pandemie macht Höffer-Mehlmer zwei Entwicklungsstränge aus: "Die Entwicklung digitaler Formate und Ansätze beschleunigte sich. Wir selbst haben viele unserer Aktivitäten umgestellt, beispielsweise auf Online-Beratung und -Tutorien sowie -Schulungen, etwa im Buddy-Projekt mit geflüchteten Schülerinnen und Schülern der Geschäftsstelle des ZfL. Und wir haben in dieser Zeit viele Angebote gemacht, auch im Bereich Homeschooling. Aber unsere Projekte in Schulen wurden stark beeinträchtigt. Das betraf auch die Lehr-Lern-Forschungslabore mit ihren Unterrichtsaufzeichnungen."

Höffer-Mehlmer verdeutlicht an einem Beispiel, welche Spuren die außergewöhnliche Situation am ZfL hinterließ: "2020 starteten wir gemeinsam mit den Universitäten Kassel und Darmstadt sowie der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd ein Großprojekt zu Medienpaketen mit Erklärvideos, Lehrtexten und interaktiven Aufgaben für den Bereich der Berufsschulen, auch das im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung." Zwar steht an der JGU die Lehrerausbildung für Gymnasien im Mittelpunkt, aber auch für die Arbeit an Berufsschulen wird in Wirtschaftspädagogik und allgemeinen Fächern wie Deutsch und Sozialkunde ausgebildet. Für diese drei Fächer werden im Projekt TWIND (Technik und Wirtschaft. Integrierte Didaktik) die Medienpakete entwickelt. "Als wir mit TWIND begannen, war die Pandemie gerade ausgebrochen. Normalerweise hätte es wegen der doch recht großen Entfernungen zwischen unseren Hochschulen zwei, drei Treffen im Jahr gegeben und fertig. Stattdessen trafen wir uns nun alle zwei Wochen per Videokonferenz. Das war eine viel intensivere Zusammenarbeit." Die Früchte dieser Zusammenarbeit, die neuen Medienpakete, passten eigentlich hervorragend in eine Zeit der Quarantänebestimmungen und Kontakteinschränkungen. "Je länger aber die Kontaktbeschränkungen und die digitale Lehre dauerten, desto mehr machte sich eine gewisse Sättigung bemerkbar. Das Digitale wurde manchem zu viel."

Profitieren von frischen Impulsen

Im vorigen Jahr startete das Projekt "DigitalManufaktur" (DiMa) am ZfL: Hier sollen digitale Lehr-Lern-Formate und Unterrichtsmethoden entwickelt, in der Praxis erprobt und ins Lehramtsstudium integriert werden. Neben der Medienpädagogik und dem ZfL selbst sind die Didaktiken der Fächer Biologie, Informatik, Sport und Deutsch beteiligt. "Wir arbeiten sehr praxisbezogen. Die künftigen Lehrerinnen und Lehrer brauchen in Sachen Digitalisierung Handfestes für ihr Fach, aber auch grundlegende Kenntnisse und Sicherheit, wenn es etwa um IT-Technik oder Datenschutz geht."

Für Höffer-Mehlmer ist klar: "Die Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen, nicht nur im digitalen Bereich, auch wenn das in unserer Arbeit den größten Batzen darstellte. Die vorläufige Bilanz ist zwiespältig. Manches, wie die Zusammenarbeit mit Schule und Studienseminaren, hätten wir ohne Pandemie sicher extensiver entwickelt. Gleichzeitig wurden einige Kooperationen intensiver, wenn man etwa an Angebote fürs Homeschooling oder an die Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen denkt. Nun müssen wir schauen, was wir nachholen können, und auswählen, welche der digitalen Neuerungen uns weiterbringen. Wir können uns das Beste herausgreifen. Diese Chance sollte wir unbedingt wahrnehmen."