6. November 2024
Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) vereint rund 30 Sammlungen unter ihrem Dach: Hier finden sich Gesteine vergangener Erdzeitalter, alte Gesangbücher, mathematische Modelle, bedeutende Handschriften und vieles mehr. Zum "Tag der Sammlungen 2024" stellten Kurator*innen außergewöhnliche Objekte vor: Sie erzählten vom Hunsrücker Schlangenstern, von einem afrikanischen Comic und den Tieren im Alten Ägypten.
Die Landschaft, die einmal zum Gebirge werden sollte, stand unter Wasser. Im Süden ragte der Großkontinent Gondwana aus den Fluten, im Norden trafen Wellen auf die Küste Laurussias. "Das Gebiet des heutigen Hunsrücks lag südlich vom Äquator, mitten im Meer", erzählt Prof. Dr. Kirsten Grimm. "An Land war noch nicht viel los. Es gab Moose, Flechten, aber nur wenige Pflanzen – und auch Tiere nur sehr eingeschränkt: ein paar Insekten." Unter Wasser ging es lebendiger zu. Grimm hält eine Schieferplatte in Händen, auf der sich deutlich die Strukturen eines Lebewesens abzeichnen. "Dieser Schlangenstern stammt aus dem Hunsrück. Er ist circa 400 Millionen Jahre alt. Schlangensterne gehören zur Gruppe der Stachelhäuter. Diese Tiergruppe war damals besonders stark vertreten."
Bereits zum vierten Mal lud die JGU zum Tag der Sammlungen. Diesmal fand er am Sammlungsschaukasten zwischen Georg-Forster-Gebäude und Zentralbibliothek statt: einer frei zugänglichen Lounge mit Sitzecken zum Entspannen und drei großen Glasvitrinen, in denen ausgewählte Objekte der rund 30 Sammlungen der Universität zu sehen sind. Zudem finden sich hier Hörstationen des Archivs für die Musik Afrikas und Schließfächer für naturgetreue Anatomie-Modelle, die zur Ausleihe stehen.
Präsentationen im 30-Minuten-Takt
"Wir haben den Raum vor rund einem Jahr eingerichtet, und es freut uns, dass er so gut angenommen wird", meint JGU-Sammlungskoordinatorin Dr. Lisa Marie Roemer. Sie sieht den Tag der Sammlungen als Gelegenheit, einmal genauer zu erfahren, was in den Kellern, Bibliotheken und Archiven der Mainzer Universität verborgen liegt, denn das meiste davon ist öffentlich nicht zugänglich. Immerhin bieten nun die Vitrinen einen kleinen Einblick. "Diese Objekt hier sind schön anzuschauen", räumt Roemer ein. "Sie wirken aber umso interessanter, wenn man die Geschichten dahinter erfährt." Genau das soll an diesem Tag geschehen. Im 30-Minuten-Takt präsentieren sieben Kurator*innen ihre Sammlungen: Dr. Christiane Schäfer stellt das Gesangbucharchiv vor, Dr. Hauke Dorsch das Archiv für die Musik Afrikas – und Prof. Dr. Kirsten Grimm von den Geowissenschaftlichen Sammlungen erzählt die Geschichte des Hunsrück-Schiefers …
Brach ein Unwetter über die Großkontinente herein, dann ergossen sich Schlammmassen ins Meer und begruben eine Unzahl von Lebewesen unter sich, darunter auch den Schlangenstern. "Durch den Schlamm blieben viele der Fossilien aus der Zeit komplett erhalten", so Grimm. Als dann rund 100 Millionen Jahre später die beiden Landmassen aufeinanderstießen, schoben sich deren Kontinentalplatten übereinander und ein Gebirge wurde geboren. "Das Gestein erwärmte sich auf bis zu 400 Grad Celsius." Die Überreste des Schlangensterns blieben erhalten. "So entstanden 400 Millionen Jahre alte Momentaufnahmen." Davon finden sich einige in den Geowissenschaftlichen Sammlungen der JGU, doch mit dem Nachschub gibt es Probleme.
"Hunsrück-Schiefer ist teuer", sagt Grimm. Er wird praktisch nicht mehr zum Dachdecken genutzt, und auch die Schiefertafeln sind seit den 1970er Jahren aus den Schulen verschwunden. "Es gibt heute keine Steinbrüche mehr, in denen systematisch abgebaut wird. Das ist schade, denn dadurch finden wir keine neuen Fossilien."
Janheinz Jahn im Comic
Die Jahn-Bibliothek für Afrikanische Literaturen trägt den Namen einer außergewöhnlichen Persönlichkeit: "Janheinz Jahn verliebte sich in die afrikanische Literatur, als er in Frankfurt einen Vortrag darüber hörte", erzählt Dr. Anja Oed. "Dieser Vortrag änderte sein Leben." Jahn nahm Kontakt zu Schriftsteller*innen auf, lernte sie und ihre Werke kennen, schrieb darüber, gab Anthologien heraus und sammelte unermüdlich. Jahn trug dazu bei, dass afrikanische Literaturen in einem neuen Licht gesehen wurden. "Er schuf den Grundstock zu unserer Jahn-Bibliothek, in der heute Werke in nahezu hundert unterschiedlichen Sprachen, ehemaligen Kolonialsprachen, aber auch afrikanischen Sprachen, vertreten sind." Gedichtbände und große Literatur sind ebenso zu finden wie Krimis oder Comics.
2018 wäre Jahn 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass organisierte Oed eine Comic-Ausstellung. Zu Gast war der Comic-Künstler Ib Zongo von der Elfenbeinküste. "Ich fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, einen Comic zu Jahn zu machen. Er war ganz angetan von der Idee. Ich habe ihm dann einen Haufen Fotos, Texte und Zeitungsartikel zu Jahn geschickt."
Das Ergebnis hält Oed nun in Händen: Mit "Janheinz Jahn. Eine kurze Biografie" entführt Ib Zongo an eine fiktive "Universität der Weisen Afrikas"“, wo ein Dozent zu Studierenden spricht. "Die Rahmenhandlung ist mehrfarbig, die biografischen Rückblicke sind in Schwarzweiß gehalten." Auf die Wand im Hörsaal ist ein Porträt Jahns projiziert, daneben hängen Konterfeis großer afrikanischer Dichter. Ib Zongo lässt den Dozenten über die Bedeutung Jahns für die Rezeption afrikanischer Literaturen referieren, über seine Relevanz bis in heutige Tage. Doch am Ende verblasst die Projektion seines Fotos, es bleiben die Köpfe der großen Dichter. "Ib Zongo ist ein sehr vielschichtiger Comic gelungen", sagt Oed.
Von Mäusen und Menschen
Von der Lounge mit ihren Vitrinen geht es zum Forum universitatis, wo Lena Scheibinger von der Ethnografischen Sammlung zu einer Kongo-Expedition einlädt. Dann führt der Tag der Sammlungen zum Institut für Altertumswissenschaften in die Hegelstraße. Dort stellt Jonas Klöker die Altorientalische Lehrsammlung vor, und Dr. Monika Zöller-Engelhardt erzählt "Von Mäusen und Menschen – Interaktion von Mensch und Tier im Alten Ägypten".
Die Ägyptologische Studiensammlung enthält rund 50 originalgetreue Gipsabgüsse. Sorgfältig bemalt kommen sie den Jahrtausende alten Originalen sehr nahe. "Abgüsse haben den Vorteil, dass wir sie auch mal in die Hand nehmen können", sagt Zöller-Engelhardt. Aus dem Alten Ägypten sind eine Vielzahl von Tierdarstellungen bekannt. "Einerseits waren Tiere schlicht Nutztiere, aber sie spielten auch eine Rolle im Kultgeschehen, zum Beispiel wurden sie im Tempel als Opfergaben dargebracht." Es gab Haustiere im herkömmlichen Sinn, zugleich aber wurden Tiere mit den Göttern in Verbindung gebracht. "Paviane galten als Verkörperung des Gottes Toth. Sie stehen für Weisheit, Wissen und Bewahrung. Das Nilpferd wiederum steht in Verbindung mit der Göttin Taweret, es steht für Fruchtbarkeit und Schutz bei der Geburt. Außerdem gilt es als sehr gefährliches Tier." Auf Nilpferde wurde Jagd gemacht, ihre mächtigen Zähne wurden wie Elfenbein verarbeitet.
Zöller-Engelhardt präsentiert eine reiche Auswahl an Skulpturen: Ein Nilpferd steht zwischen einer Maus und einem Krokodil, daneben hocken Pavian, Igel und Ichneumon, ein afrikanischer Mungo. Aber auch auf Reliefs tauchen Tiere auf. Dort dienen sie sogar als Elemente der Hieroglyphenschrift: "Die Kaulquappe etwa steht für die Zahl 100.000." Tiere scheinen allgegenwärtig im Alten Ägypten. "Doch leider ging es ihnen oft nicht allzu gut." Zöller-Engelhardt nennt ein Beispiel: "Auf dem Friedhof in Hierakonpolis wurden zahlreiche Tierskelette untersucht, die zeigen, dass die Tiere, darunter auch Affen, in Gefangenschaft häufig geschlagen wurden."
Nach dem Tag der Sammlung wandern diese Tiere wieder in ihre Vitrine am Arbeitsbereich Ägyptologie. Dort bleiben sie sichtbar – auch über diesen besonderen Tag hinaus.
Text: Gerd Blase