So sieht die Welt die Geburt Jesu

12. Dezember 2017

Eine der größten Krippensammlungen Deutschlands findet sich im Kellergewölbe des Instituts für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) im Schönborner Hof am Schillerplatz. Sie umfasst rund 170 Krippen aus aller Welt, die im Jahr 2006 als Schenkung an die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität gingen. Prof. Dr. Wolfgang Zwickel gewährt Einblick in die Schätze, die hier ruhen.

Prof. Dr. Wolfgang Zwickel greift tief in die Umzugskiste. Vorsichtig zieht er die Nachbildung eines Affenbrotbaums hervor und befreit sie vom schützenden Zeitungspapier. "Sie ist aus Bananenblättern", erläutert der Theologe und stellt das Stück ins Regal. "Hier ist noch mehr." Es folgt eine betende Figur aus Ebenholz: ein kniender Hirte mit fein gelocktem Bart. Als nächstes fördert der Theologe eine stehende Person mit bekröntem Haupt zutage. Sie hält ein Geschenk in Händen. "Das ist einer der Heiligen Drei Könige, der gemeinsam mit weiteren Figuren zu einer Weihnachtskrippe aus Nigeria gehört. Das sind sehr schöne Stücke."

Tatsächlich strahlen die Figuren ihre ganz eigene Eleganz aus – und sie zeugen von der Verlegung der Geburt Jesu in einen anderen Kulturkreis. Die Kleidung, die Haare, die Gesichtszüge, der Baum im Hintergrund, alles weist auf das Herkunftsland Nigeria hin. Die Krippe ist nicht nur die Darstellung einer biblischen Szene, sie ist auch ein Spiegel der Lebenswelt ihres Schöpfers. Sie ist Zeugnis einer Interpretation der christlichen Botschaft.

Ein Keller voller Krippen

Zwickel steht in einem Kellerraum des Schönborner Hofs in der Mainzer Innenstadt. Das Adelspalais am Schillerplatz beherbergt unter anderem das Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dessen Vor- und Frühgeschichtliche Lehrsammlung sich hier über mehrere Kellerräume verteilt. Daneben befindet sich diese Nische für die Krippensammlung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der JGU. Auf hohen Regalen und auf dem Boden stapeln sich Kisten, dazwischen stehen einige größere Stücke, darunter eine Darstellung der Kreuzigung aus Peru. Das Holzkreuz gewährt einen Blick in die Andenwelt: In fröhlichen Farben ist ein peruanisches Dorf dargestellt, ein Lama steht in der Landschaft.

"Dies ist eine der größten Krippensammlungen Deutschlands", erzählt Zwickel. "In Telgte, in München und an einigen wenigen anderen Orten gibt es noch größere." Rund 170 Krippen ruhen in den hiesigen Kisten. Mal bilden wenige Figuren ein kleines Ensemble, mal fügen sich um die 100 Einzelstücke zu einer komplexen Szenerie zusammen. "Vieles stammt aus Peru, aber im Grunde haben wir Stücke aus aller Welt."

Die Sammlung stammt von der Frankfurterin Brigitte Becker. In den 1980er-Jahren begann sie damit, auf ihren zahlreichen Reisen Krippen zu kaufen. Zwickel hat einen umfangreichen Katalog erstellt, der unter anderem zeigt, zu welchen Preisen Becker welche Kunstwerke erstand: Mal ist von da 20 Mark die Rede, mal von 400. "Ihre gesamte Wohnung stand voll damit", erinnert sich Zwickel. "Sie zeigte die Krippen immer wieder auf Ausstellungen." Vieles war im Jahr 2000 auf der Expo in Hannover zu sehen.

Drei Könige aus Tansania

Vor elf Jahren entschied sich die alte Dame dazu, Zwickel als Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der JGU einen großen Teil der Sammlung zu übergeben. Er setzte die Tradition fort, die Krippen zumindest ausschnittsweise zu präsentieren. Unter anderem waren sie bereits in Bad Kreuznach im Museum zu sehen.

"Schauen wir mal hier." Er hievt eine weitere Kiste aus dem Regal und macht sich ans Auspacken. Zum Vorschein kommen handspannengroße Krippenfiguren aus beigefarbenem Speckstein. "Sie stammen aus Tansania. Diesmal haben wir auch die Heiligen Drei Könige komplett." Die Formen sind klar, die dargestellten Gewänder von fließender Eleganz – und ganz dem afrikanische Kulturkreis verpflichtet. Dies ist nicht nur für Theologen eine Fundgrube.

"Krippen gab es früher vor allem an Adelshöfen und Klöstern", erläutert Zwickel. Nonnen bekamen oft ein gewickeltes Jesuskind aus Wachs oder Metall, das sie sich als himmlischen Bräutigam in ihre Kammer stellen konnten. Das war einer der Anfänge von Krippen." Mit der Französischen Revolution gerieten die Krippen in Ungnade, schienen sie doch Ausgeburt der beiden Sphären zu sein, die die Revolution bekämpfte: Adel und Kirche.

Kreuzweg in Ton

"Sie galten bestenfalls als Kinderkram. Es waren dann die Bayern, die meinten: Wir lassen uns die Krippen nicht verbieten. In der Folge entstanden sehr wertvolle und kunstvolle Stücke." Die Krippen stellten nicht nur Jesu Geburt nach. "Oft gab es einen Schaukasten in der Kirche, in dem die Szene aus dem Text der aktuellen Predigt nachgestellt wurde. Als Kind habe ich diese Krippen erlebt und bin mit Begeisterung in die Kirchen gegangen", erinnert sich Zwickel lächelnd, während er einen dritten Karton öffnet.

Diesmal kommen Figuren aus gebranntem Lehm zum Vorschein. Auf einer runden Basis ist jeweils eine ganze Gruppe zu sehen: Zwei Personen laden dem erschöpft daliegenden Jesus das Kreuz auf. Alles ist in hellem Weiß und Braun gehalten. Auch die Kreuzigung selbst ist dargestellt: Zwei Frauen stehen trauernd am Fuß des Kreuzes. Große, klare Augen schauen hinauf zu Jesus. "Diese Darstellungen stammen aus Peru. Nicht nur dort ist die Herstellung solcher Figuren ein echtes Arbeitsbeschaffungsprogramm. Es ist eine wichtige Finanzierung für die Künstler." Sie produzieren bewusst für ausländische Märkte, für Touristen, aber immer in ihrem landeseigenen Stil.

Der Katalog zur Sammlung lässt die Vielfalt dessen, was in den Kisten schlummert, erahnen. Da ist die vielteilige Krippe aus Ägypten, die Bambuskrippe aus Nigeria, die japanische Krippe aus Porzellankugeln, die Krippe eines bedeutenden tschechischen Künstlers und dazwischen auch eine deutsche Krippe mit Stoffpuppen. "Leider konnte ich all das in den letzten Jahren nicht mehr umfassend zeigen", meint Zwickel. "Es fehlt einfach die Zeit. Aber im Moment bin ich wieder mit Bad Kreuznach im Gespräch. Vielleicht ergibt sich da etwas ..."