Abstand halten und doch in Verbindung bleiben

14. April 2020

Die Corona-Pandemie wird das Lehren und Lernen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) grundlegend verändern. An volle Hörsäle und Seminarräume ist in Zeiten von Kontaktsperren nicht zu denken. Deswegen setzt die Hochschulleitung auf digitale Angebote: Seit dem 16. März arbeitet ein neu zusammengestelltes Kompetenzteam daran, das umfangreiche Lehrangebot in neue Kanäle zu leiten.

Der Vizepräsident der JGU findet klare Worte. "Ich bin mir nicht sicher, ob es bereits bei all unseren Lehrenden und den Studierenden, bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angekommen ist: Angesichts der Corona-Pandemie rechnen wir im Moment damit, dass in diesem Sommersemester eine physische Präsenz auf dem Campus kaum möglich sein wird", sagt JGU-Vizepräsident Prof. Dr. Stephan Jolie. Zugleich bekräftigt JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch: "In einer Woche soll es losgehen. Allerdings muss bis dahin noch viel geschehen."

Kaum ein Lebensbereich bleibt von der COVID-19-Pandemie unberührt. Auch die JGU ist massiv von all jenen Maßnahmen betroffen, die eine Ausbreitung des Virus verlangsamen sollen. Seit dem 24. März ist der Betrieb an der Universität weitgehend eingestellt. Doch das heißt nicht, dass nichts passiert. Im Gegenteil: Die Vorbereitungen für das kommende Semester laufen auf Hochtouren – nur eben völlig anders als in den Jahren zuvor. Ein frisch gegründetes Kompetenzteam um den Vizepräsidenten für Studium und Lehre stellt die Weichen für die kommenden Monate. Es arbeitet an einem Lehrbetrieb, der weitgehend unter dem Motto "Wir halten Abstand und bleiben digital in Verbindung" stehen wird.

Kompetenzteam Digitale Lehre

Das Gespräch zu diesem ambitionierten Vorhaben findet per Konferenzschaltung statt. Ein persönliches Treffen wäre zurzeit unmöglich. Krausch ist aus seinem Büro zugeschaltet, Jolie meldet sich aus dem Homeoffice, ebenso Dr. Sandra Sandri und Dominik Schuh, die zum Kompetenzteam gehören.

"Digitale Lehre ist für uns kein neues Thema", betont Jolie. "Wir haben auf dem Gebiet bereits viel geleistet und einige Erfolge zu verbuchen. Doch nun erlangt sie durch die Krise eine ungeahnte Aktualität." Plötzlich stelle sich für alle Lehrenden sehr konkret die Frage: Wie können sie eine Vorlesung, ein Seminar oder gar einen Workshop in digitale Formate überführen? "Kaum jemand wird es schaffen, sein vollständiges Deputat innerhalb von wenigen Wochen digital anzubieten, darüber sind wir uns klar. Aber wir wollen mit unserem Kompetenzteam eine möglichst breite Unterstützung bieten und ein Umfeld schaffen, das den Kolleginnen und Kollegen die Umstellung erleichtert."

Am 16. März nahm das Kompetenzteam Digitale Lehre seine Arbeit auf. "Wir haben versucht, ein möglichst breites Spektrum an Kompetenzen zusammenzuziehen", erklärt Jolie. "Es ging uns dabei zwar auch um Skills rund um Soft- und Hardware, vor allem aber brauchen wir Kräfte, die sich mit dem anwendungsorientierten Umgang auskennen. Wir wollen das Thema aus der Perspektive der Lehrenden denken. Vor allem müssen wir denen helfen, die noch relativ neu sind auf dem Gebiet der digitalen Medien und die bisher noch wenig Umgang damit hatten."

14 Fachleute aus den zentralen Einrichtungen der JGU fanden zusammen, darunter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums für Datenverarbeitung (ZDV), des Zentrums für Audiovisuelle Produktion (ZAP), des Zentrums für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) sowie des Internationalen Studien- und Sprachenkollegs (ISSK), aber auch einzelne Lehrende. "Ihre Freistellung verlief völlig unproblematisch und das Team ist hoch motiviert", freut sich Jolie. "Dinge, an denen wir im normalen Alltag vielleicht immer ein wenig zu knabbern gehabt hätten, funktionieren nun sehr schnell und wunderbar. Wahrscheinlich auch, weil wir wissen: Das hat jetzt Priorität, das wird dringend gebraucht."

Viel Engagement und Experimentierfreude

Auf der Website lehre.uni-mainz.de/digital können sich Lehrende orientieren und informieren. Unter anderem bietet sie einen "Wegweiser zur digitalen Lehre", in dem Grundlegendes angesprochen wird. Wer darüber hinaus Fragen hat, kann sich an digitale-lehre@uni-mainz.de wenden.

"Wir haben ein Ticketsystem aufgebaut, über das wir die eingehenden Mails möglichst schnell beantworten", erklärt Schuh. "Es kommen vielfältige Mails herein. Einige Lehrende haben bereits digitale Erfahrungen und stellen sehr spezifische Fragen. Andere zweifeln, ob sie überhaupt fähig sind, digital etwas anzubieten. Wir machen dann klar, dass sie keinen Riesenaufwand betreiben müssen, dass sie kein Filmteam brauchen, um eine Vorlesung aufzunehmen. Wir halten die Hürden möglichst niedrig und ermutigen zur Improvisation. Bereits mit minimalen Mitteln lässt sich Lehre aufrechterhalten."

"Wir stellen eine große Bereitschaft fest, das Sommersemester digital zu gestalten", fasst Sandri ihre Eindrücke zusammen. "Kolleginnen und Kollegen aus der Philosophie schalten ein Skype-Meeting, eine Professorin aus der Anglistik bietet an, einen Moodle-Kurs für weniger erfahrene Kolleginnen und Kollegen zu veranstalten. Wir spüren durch die Bank weg ein großes Engagement. Es muss schließlich nicht alles gleich hundertprozentig funktionieren. Wir setzen auf Experimentierfreude."

Für vieles reicht bereits der Zugang zu einem aktuellen Rechner. Einfache Ton- oder Filmaufnahmen lassen sich über die integrierten Mikrofone oder Kameras realisieren. Daneben stehen speziellere Systeme zur Verfügung: Die Lernplattform Moodle etwa, Panopto für Ton- und Videoaufzeichnungen oder der JGU-Reader zum Dateiaustausch und für Foren.

"Zugleich entwickeln wir Neues", sagt Krausch. "Der JGU-Reader funktioniert zwar, ist aber sehr statisch. Darum werden wir auf eine neue Moodle-Installation wechseln, die speziell auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist, die mehr synchrone und asynchrone Möglichkeiten bietet. Außerdem werden wir auf unserer zentralen Plattform JOGU-StINe einen Marker einführen, der anzeigt, ob eine Lehrveranstaltung tatsächlich digital stattfindet."

Herausforderung ins Positive wenden

Der Aufwand ist groß, das Kompetenzteam Digitale Lehre hat reichlich zu tun. Doch die Verantwortlichen der JGU haben es bisher ganz bewusst vermieden, sich dafür um zusätzliche Gelder beim Land zu bemühen. "Wir tun uns schwer, im politischen Raum nach Mitteln zu fragen angesichts der Tatsache, dass gerade Menschen sterben und viele um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen", sagt Krausch. "Es hat etwas mit der Ernsthaftigkeit der Krise zu tun, dass wir uns hier zurückhalten."

Jolie ergänzt: "Wir sollten diese Herausforderung für uns ins Positive wenden. In der jetzigen Situation sind Kreativität und Spontaneität gefragt wie selten zuvor. Es wird sehr viele neue und gute Erfahrungen geben." Der JGU-Präsident sieht es ähnlich: "Ich denke, dies wird ein Semester sein, in dem wir alle sehr viel lernen. Das gilt nicht nur für unsere Lehrenden und Studierenden, sondern auch für unsere Verwaltung – und zwar für die verschiedensten Bereiche: Ich habe mich selbst zum Beispiel schon gefragt, ob bestimmte Dienstreisen tatsächlich unerlässlich sind oder ob wir sie nicht dauerhaft durch Videokonferenz ersetzen könnten."

Niemand weiß, was das Sommersemester 2020 bringen wird. Könnte es eine Lockerung der Kontaktsperren geben? Könnte noch ein Teilbetrieb auf dem Campus möglich sein? Darüber will der JGU-Präsident nicht spekulieren. Doch was immer passiert, Krausch ist überzeugt: "Wir werden in diesen Zeiten lernen, was wirklich nötig ist und was nicht."