Ägyptologie macht Schule

31. Mai 2018

Das Alte Ägypten soll mehr Raum in den Schulen bekommen. Ein Studierendenteam um Dr. Nadine Gräßler und Dr. Sandra Sandri vom Arbeitsbereich Ägyptologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Unterrichtsmaterialien rund um Pyramiden und Pharaonen, um Kultur, Alltag und Religion zu erstellen.

Mahsa Öztürk knetet ein Uschebti. Die Konturen stimmen soweit schon, nun geht es an die Details, an das Gesicht, die über Kreuz gehaltenen Arme, die Schriftzeichen auf dem Torso. Die Studentin ist mit Elan bei der Sache. Als sie auf die Uhr schaut, stellt sie allerdings fest: "Das wird deutlich länger dauern als 15 Minuten."

"Uschebti heißt so viel wie: der, der antwortet", erklärt Dr. Nadine Gräßler. "Die Ägypter nahmen solche kleinen Figuren mit ins Grab. Sie glaubten, dass die Toten im Jenseits zum Arbeitsdienst gerufen würden. Dann sollte der Uschebti für sie antworten und die Aufgaben erledigen." – "Wir haben bereits mit Schülerinnen und Schülern Uschebtis gebastelt", meint Dr. Sandra Sandri. "Sie begreifen das Konzept sehr schnell. Sie fragen, ob die Uschebtis ihre Hausaufgaben übernehmen könnten."

Seminar zum Projektunterricht

Überall im Seminarraum sind Studierende zugange: Ein dreiköpfiges Team überträgt eine gerasterte Zeichnung Quadrat für Quadrat vom Groß- ins Kleinformat. Ähnlich gingen altägyptische Maler vor, wenn sie den Bildschmuck für die Grabkammern schufen. Mit dem Halm einer Binse schreibt eine Studentin die Namen ägyptischer Pharaonen auf Papyrus: "Cheops, Pepi, Ptolemaios ..." Ein Seniorstudent hat gerade die Figuren für sein Senet-Brettspiel aufgestellt, nun grübelt er über die dazugehörigen Regeln. "Hier steht, dass ein Spieler seinen Gegner zum Rückwärtsgehen zwingen kann. Müsste es nicht eher heißen, dass er ihn rauswerfen darf?"

Sandri und Gräßler bieten in diesem Semester erstmals das Seminar "Ägyptologie macht Schule – Konzeption von Projektunterricht zum Alten Ägypten" an. So etwas gab es zuvor noch nicht am Arbeitsbereich Ägyptologie der JGU.

"Allerdings hatte sich bereits vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe aus Studierenden gebildet, die sich fragte, wie man Inhalte unseres Fachs für die Schule aufbereiten kann", erzählt Sandri. Vor etwa einem Jahr entstanden die Vorläufer zu dem Unterrichtsmaterial, das nun von den Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern einem genaueren Test unterzogen wird: Ist alles gut verständlich? Lassen sich eventuell noch mehr Fachbegriffe durch einfache Worte ersetzen? Sind die Arbeitsanweisungen eindeutig? Im Idealfall soll jede der Stationen in 15 Minuten zu schaffen sein, aber funktioniert das?

Wenig Platz für Geschichte

Jene Arbeitsgruppe, die für die Anfänge von "Ägyptologie macht Schule" verantwortlich zeichnet, löste sich nach einiger Zeit auf. "Wir fanden das sehr schade", erzählt Gräßler, "schließlich waren alle mit sehr viel Enthusiasmus dabei." Also riefen die beiden Ägyptologinnen eine neue Arbeitsgruppe ins Leben. "Wir wollten auf keinen Fall, dass die Arbeit im Sande verläuft, deswegen suchten wir nach Möglichkeiten, das Projekt zu verstetigen."

Der Verein der Freunde der Universität Mainz e.V. und der Arbeitsbereich Ägyptologie am Institut für Altertumswissenschaften der JGU stellten Mittel zur Verfügung. "Damit können wir nun eine Hilfskraft beschäftigen und Material anschaffen", freut sich Gräßler. "Wir bekommen außerdem viel Unterstützung von den Professorinnen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier." Selbstverständlich kann es sich ein kleiner Arbeitsbereich wie die Ägyptologie nicht leisten, zwei Lehrende für solch ein Projekt komplett freizustellen. "Wir machen weiter unsere reguläre Arbeit, das hier ist teilweise auch unser Hobby."

"Wir wollen mit unserem Projekt den Geschichtsunterricht nicht ersetzen", stellt Sandri klar. "Wir wollen den Unterricht ergänzen." Das allerdings hält sie für nötig und wichtig, denn: "Das Thema Altes Ägypten wird an den weiterführenden Schulen sehr eingedampft – wenn es überhaupt im Geschichtsunterricht vorkommt." Innerhalb von drei Jahren geht es von der Prähistorie bis in die jüngste Gegenwart und das bei gerade mal zwei Wochenstunden. "Da lässt sich vielleicht etwas über die Herrschaftsverhältnisse im Alten Ägypten unterbringen. Viel mehr ist nicht möglich."

Aktiv werden statt büffeln

Das Projekt "Ägyptologie macht Schule" widmet sich den Facetten, die im Unterricht oft nicht zur Sprache kommen. "Wir beschäftigen uns mit den fünf Themenbereichen Schrift und Text, Pyramiden und andere Bauten, Alltag und Umwelt, Mumien und Totenkult, Religion und Götter", erzählt Gräßler. "Wir erstellen einzelne Stationen, die von den Schülerinnen und Schülern selbstständig erarbeitet werden können." Es wird nicht stumpf gebüffelt, sondern geknetet und gebastelt, gemalt und gespielt. "Jeder soll etwas mit nach Hause nehmen können, wenn wir einen Projekttag anbieten", meint Sandri.

Im März richtete das Team von "Ägyptologie macht Schule" die KinderUni in Hanau aus, organisiert von der Familienakademie der Kathinka-Platzhoff-Stiftung. Diese Zeitreise ins Alte Ägypten fand viel Anklang. "Es kamen Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren", erzählt Sandri. "Die Stationen haben sehr gut funktioniert. Aber es war für uns auch anstrengend, wir waren völlig geschafft."

Die ausgearbeiteten Stationen sind im Grunde für die Klassenstufe 7 konzipiert. "Am Ende wollen wir eine Box zusammenstellen, die Handreichungen und Materialien enthält", erklärt Gräßler. "Damit können wir dann unsere Studierenden zu Projekttagen an Schulen schicken." Sie ist überzeugt, dass gerade jüngere Leute noch mal einen besonderen Draht zu Schülerinnen und Schülern entwickeln. "Außerdem vermitteln wir den Studierenden damit zusätzliche Kompetenzen, die ihnen später von Nutzen sein werden."

Projekttage mit 125 Schülern

Das eben begonnene Seminar ist ein Meilenstein in der Entwicklung von "Ägyptologie macht Schule". "Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sehr kreativ und kommen jetzt schon mit vielen Ideen", freut sich Sandri. "Sie würden gern eine ganze Nillandschaft aufbauen und Pyramiden, Tempel oder Pflanzen hineinsetzen."

Nun geht es in einem eigenen Tutorium erst einmal darum, den bestehenden Materialien auf den Zahn zu fühlen. Ein wichtiges Ergebnis: Die angepeilten 15 Minuten pro Station scheinen nicht nur fürs Uschebti-Kneten etwas knapp bemessen. Vielleicht ließe sich einiges vereinfachen – beim gerasterten Bild für die Grabbemalung etwa, auf dem der Thebanische Bürgermeister Sennefer und seine Frau zu sehen sind? Die Ägyptologin in Sandri sträubt sich sichtbar. "Wir mussten schon so viel weggelassen."

Im Juni stattet das Ägyptologie-Projekt dem Stefan-George-Gymnasium in Bingen einen Besuch ab. Zwei Projekttage sind angesetzt, 125 Schülerinnen und Schüler werden erwartet. "Das ist eine schöne Herausforderung", sagt Sandri. Und 2019 soll dann die Materialbox fertig sein. "Wir denken daran, die Box auch für andere Altersgruppen zu überarbeiten", verrät Gräßler. "Aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik."