Das Feuer brachte dem Menschen umami

31. Mai 2019

Traditionell lädt der Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur renommierte Gäste ein, die besondere Aspekte seiner Forschung beleuchten oder gar über den Tellerrand seines Fachs hinausschauen: Prof. Dr. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt begrüßte in seiner Vorlesungsreihe "Die Macht der Düfte: Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt" einen Spezialisten für guten und schlechten Geschmack: Prof. Dr. Thomas Vilgis vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung sprach über "Kochen und Genießen: Das Spiel der Moleküle".

Die Begrüßung fällt herzlich aus. "Er ist schon ein bisschen der molekulare Koch in Deutschland", stellt Zellphysiologe Prof. Dr. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt seinen Gast vor, "und er beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit dem Thema." Prof. Dr. Thomas Vilgis vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI-P) musste nicht groß anreisen, um seinen Teil zur Vorlesungsreihe des 20. Trägers der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur beizutragen: Er wurde 1996 auf eine Professur für theoretische Physik an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) berufen. Seine Arbeitsgruppe am Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung beschäftigt sich mit weicher Materie, mit "Soft Matter Food Physics", den physikalischen Aspekten rund ums Essen.

"Wir stammen aus derselben Region, und wir lieben beide Herrgottsb'scheißerle", erzählt der gebürtige Schwabe Hatt. "Das sind Maultaschen, meist mit Fleisch gefüllt." Da aber ein Teig jenen fleischigen Kern umhüllt, sieht man ihn nicht, und so diente die Maultasche im katholischen Schwaben lange als kulinarische Mogelpackung. "Sie durfte auch am Freitag gegessen werden."

Grillen mit großem Gewinn

Hatt würzt seine Vorlesungsreihe "Die Macht der Düfte: Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt" gern mit solch kleinen Anekdoten. Sie machen seine Ausführungen anschaulich und lebendig. "Ich bin nun sehr gespannt, was Professor Vilgis uns zu sagen hat", meint der Stiftungsprofessor, bevor er seinen Pult im größten Hörsaal der JGU räumt. "Immer, wenn ich ihn höre, lerne ich sehr viel über das Essen."

Vilgis' Vortrag zum "Kochen und Genießen" beginnt in der Steinzeit, vor ungefähr einer Million Jahre. "Irgendwann hat der Mensch das erste Feuer angezündet", erzählt der Physiker. "Von da an konnte er braten und kochen. Das war ein Riesenfortschritt." Nun wurden Dinge genießbar, die zuvor nicht zum Essen taugten. "Man hatte einen großen Gewinn, und man kam einem neuen Geschmack auf die Spur: umami."

Die Geschmacksqualität umami entsteht überhaupt erst durch Kochen und Braten. Umami steht für "würzig" oder "fleischig". "Wenn Lebensmittel der Hitze ausgesetzt werden, passiert natürlich etwas. Wenn Sie zum Beispiel ein bisschen Brühe probieren, haben Sie plötzlich den ganzen Mund voller Geschmack. Woher kommt dieser Geschmack?"

Proteine zeichnen dafür verantwortlich. "Deren Bausteine sind Aminosäuren." Eine recht häufig vertretene ist die Glutaminsäure. Sie reiht sich im Protein mit den anderen Aminosäuren zu einem Strang. "Bei zunehmender Kochzeit wird sie freigesetzt, und dann können wir sie schmecken. Das geht tatsächlich nur, wenn sie völlig frei ist und nicht mehr in der Proteinkette gebunden. Man holt beim Kochen zwar auch andere Aminosäuren heraus, aber die sind vorwiegend bitter. Ascorbin- und Glutaminsäure sind die einzigen, die den Umami-Geschmack haben."

Plädoyer fürs Glutamat

Glutamate wiederum sind nichts anderes als Salze und Ester der Glutaminsäure. "Lang gekochte Suppen oder Soßen werden zu echten Glutamatbomben", sagt Vilgis. Für ihn ist das ein rundum positiver Begriff. "Man hört immer wieder viel Schlimmes über Glutamat, über die künstliche Variante. Aber tatsächlich sind die Moleküle exakt dieselben." Auch Hatt äußert sich später dazu: "Glutamat gilt oft als giftig und gefährlich. Es ist aber der häufigste Übertragungsstoff im Gehirn."

Ursprünglich hatte der Geschmackssinn eine ganze Reihe nützlicher Funktionen. "Er gab sogar überlebenswichtige Hinweise", sagt Vilgis. "Alles, was süß ist, signalisiert, dass es nicht giftig ist. Es gibt keine süßen giftigen Lebensmittel. Außerdem liefert der Zucker sofort Energie. Salziges enthält wichtige Mineralien. Saures regt den Speichelfluss an, und ohne Speichel geht gar nichts beim Essen. Lebensmittel mit milder Säure wie etwa Sauerkraut sind sicher: Sie können nicht verderben." Bitter dagegen ist ein Alarmzeichen für Gift.

Das Essen setzt ein ganzes Orchester an Sinnen in Gang. Neben den nasalen und den oralen Chemorezeptoren spielen Sehen, Hören und Fühlen eine Rolle. Das Mundgefühl etwa sagt viel über ein Lebensmittel. "Und die Zunge ist einer der feinfühligsten Messapparate, die man kennt." Hinzu komme, dass beim Kauen Aromen durch den Mundraum retronasal zu den Riechkolben gelangen. Das sei noch mal ein ganz anderer Geruch als der orthonasale, der beim Einatmen durch die Nasenlöcher in die Nasenhöhle aufgenommen wird. "Wir sollten auf die große Welt der retronasalen Gerüche achten. Wenn Sie eine Gewürzmischung kaufen, sollten Sie erst mal probieren. Das wird den Gewürzhändler zwar ärgern, aber da muss er durch."

Warum schmecken Lebensmittel, warum riechen sie? Der Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck bezeichnete einst den Kohl als ordinären Stinker. Vilgis spürt diesem Gestank nach: "Glucosinolate sind schweflige Stoffe, die sich in allen Kohlsorten finden. Sie werden gebildet, wenn wir die Kohlzellen verletzen. So etwas baut die Natur ein, weil es Pflanzenfresser gibt, und gegen die kann sich der Kohl mit dieser chemischen Keule wehren."

Duell der chemischen Keulen

Doch auch der Mensch hat sich chemische Keulen zurechtgelegt. "Man kann im Kohl durch Hinzugabe von Säure oder Natron unterschiedliche Gerüche betonen." Je nach pH-Wert ändert sich dann einiges: "Ist er größer als sieben, schmecken wir Fruchtiges." Bei milder Säure zwischen fünf und sieben tritt das Kohlartige hervor, und ein Wert zwischen zwei und fünf bringt Knoblauchnoten zum Tragen. "Auch mit Braten lassen sich die Aromen steuern: Legen Sie den Kohlkopf bei 300 Grad in den Grill und verbrennen Sie die äußeren Blätter. Das Innere riecht dann so, dass Sie gar keine Gewürze mehr brauchen."

Vilgis schrieb Bücher über "Die Kunst des Würzens", über "Koch- und Gartechniken", über "Die Molekül-Küche". In seinen Forschungen am Max-Planck-Institut ist er den Molekülen und Prozessen auf der Spur, die Kochen und Genießen ausmachen. Beides fließt in seinen Vortrag ein. Die Physikstunde verbindet sich mit dem Kochkurs. Entsprechend gestaltet sich das Gespräch im Anschluss: Hatt fragt nach Tipps, wie sich Karottenkraut verarbeiten lässt, das Publikum erfährt viel über die Qualitäten von pflanzlichem Fleischersatz und die Aromen des Weins.

Auch das steinzeitliche Grillen kommt noch mal zur Sprache: "Umami ist der komplizierteste Geschmack", gibt Vilgis seinem Auditorium mit auf den Weg. "Deswegen war umami entscheidend für die Evolution. Hätte es schlecht geschmeckt, hätten wir die Feuer einfach wieder gelöscht." Dann wäre einiges anders verlaufen.