Die Macht der Düfte

2. Mai 2019

Der Zellphysiologe Prof. Dr. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt ist der 20. Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur. An zehn Abenden erzählt er im größten Hörsaal der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) von der "Macht der Düfte: Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt". In seinem ersten Vortrag nahm er das "Wunderwerk Nase" unter die Lupe.

Zuerst war das Riechen. "Im Urozean, in der Dunkelheit, mussten Einzeller nicht sehen und hören können", erklärt Stiftungsprofessor Hatt. "Der chemische Sinn war der entscheidende, um Essen und Partner zu finden. Als dann die ersten Tiere vor rund 400 Millionen Jahren an Land kamen, hatten sie natürlich schon Augen und Ohren. Trotzdem entwickelte sich der Geruchssinn in enormer Breite und mit vielen Spezialisierungen weiter ..."

In wenigen Sätzen lässt der 20. Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur die Erdzeitalter Revue passieren, um zu erklären, wie grundlegend der Geruchssinn für die Entwicklung des Lebens war. Nach wenigen Minuten ist er bereits bei den Wirbeltieren und den Säugetieren angelangt: Auf der Leinwand hinter ihm sind riesengroß der Rüssel eines Hausschweins und das überlange Riechorgan eines Elefanten zu bewundern. "Die Säugetiere haben zwar sehr unterschiedliche Nasenformen, aber im Inneren schauen all diese Nasen gleich aus. Die Grundprinzipien bleiben dieselben." Ihnen widmet sich Hatt in seinem ersten Vortrag: "Wunderwerk Nase: Wie wir riechen, was wir riechen."

Riechen bestimmt das Leben

Im Jahr 2000 rief der Verein der Freunde der Universität die Gutenberg-Stiftungsprofessur ins Leben. Seitdem lockt sie Jahr für Jahr prominente Forscherpersönlichkeiten an die JGU, die in ihrer Disziplin Großes leisten, aber auch über den Tellerrand ihres Faches hinausschauen und mit einem besonderen Talent ihre Erkenntnisse an eine breitere Öffentlichkeit bringen. "Interdisziplinarität ist zum Modewort geworden", bemerkt JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch bei der Begrüßung von Hatt als Stiftungsprofessor. "Aber fruchtbare Interdisziplinarität setzt Disziplinarität voraus. Man muss ein Fach durchdrungen haben, um mitreden zu können." Hatt sei die ideale Besetzung für die Stiftungsprofessur, da er gleich in mehreren Fächern zu Hause sei: Er studierte Biologie, Chemie, Humanmedizin und Philosophie.

Aktuell lehrt und forscht Hatt als Zellphysiologe an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Spezialgebiet ist der Geruchssinn, dazu lieferte er bahnbrechende Erkenntnisse. An zehn Abenden wird er nun im größten Hörsaal der JGU von der "Macht der Düfte" erzählen: "Alles über das Riechen und wie es unser Leben bestimmt."

Riechen dient der Nahrungssuche. Selbst seine eigene Katze traue ihm nicht, wenn er ihr eine Mahlzeit vorsetze, sagt Hatt. Erst wird daran gerochen. "Das ist mein Hinweis an Sie", wendet er sich an das Mainzer Publikum: "Bevor Sie aufs Haltbarkeitsdatum schauen, sollten Sie erst einmal riechen." Der Geruchssinn warnt vor Feinden, und er hilft bei der Navigation. Zugvögel reagieren zwar auf das Magnetfeld der Erde und auf optische Marken, "aber inzwischen weiß man auch, dass sie nach Duftmarken fliegen." Bei der Suche nach Partnern geht es immer der Nase nach. "Schmetterlinge haben sehr komplizierte Duftmechanismen. Wenn einer nicht über den richtigen Duftschlüssel verfügt, wird er aussortiert. Man kann offensichtlich die Gene des anderen riechen." Kommunikation läuft ebenfalls über Geruch. "Wenn ein Hund an den Baum pinkelt, transportiert er so viele Duftinformationen, dass er ein Plakat damit füllen könnte." Hunde schnüffeln überall. "Wir selbst trauen uns ja kaum noch, an anderen zu schnüffeln – oder haben Sie das heute schon mal gemacht?"

Menschen wurden hochnäsig

Der Mensch habe sich irgendwann entschieden, dass die Nase nicht so wichtig sei. "Das war wahrscheinlich ein großer Fehler." Wer am Boden rumschnüffele, wirke eben tierisch und primitiv. "Und wir wollten ja nicht verwandt mit den Tieren sein. Wir sind hochnäsig geworden." Auch die Religion misstraue dem Geruchssinn. "Düfte verführen Menschen. Sie zwingen Menschen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht wollen. Damit scheint natürlich der freie Wille in Frage gestellt – und ich muss Ihnen sagen: Das ist auch so!"

Hatt legt die Grundlagen für die folgenden neun Abende: Er rückt die Nase in den Fokus. "Sie ist so ähnlich gebaut wie ein Kamin: unten eine Tür, oben ein Abzug." Dieser Kamin ist in drei Etagen unterteilt. "In der obersten Etage sitzen die Riechzellen. Der Vorgang des Riechens spielt sich in einem kleinen Kaminzimmer ab, dessen Tür nur einen Spalt weit offen ist. Gerade einmal fünf Prozent der eingeatmeten Luft werden über die Riechschleimhaut geleitet."

Diese Schleimhaut besteht aus drei Zelltypen: Die Stützzellen geben Halt. "Die Basalzellen sind echte neuronale Stammzellen, sie erneuern Ihre Nase alle vier Jahre." Und die Riechzellen registrieren die Düfte. "Der Mensch hat 20 bis 30 Millionen solcher Riechzellen auf zwei etwa ein Euro großen Flächen." Deren Nervenfortsätze reichen bis ins Hirn hinauf. Am anderen Ende ragen ihre Riechköpfchen mit den fingerförmigen Zilien in die Nasenschleimhaut hinein. "Die Zilien sind völlig bedeckt von Wasser und Schleim. Das heißt: Riechen funktioniert unter Wasser." Duftmoleküle werden im Wasser gelöst, und sind sie mal nicht wasser-, sondern fettlöslich, werden sie durch speziell dafür vorgesehene Proteine gebunden.

Doch wie funktioniert Riechen auf molekularer Ebene? Klar ist: Die Riechzelle übersetzt den Duftreiz fürs Hirn in einen elektrischen Impuls. Wird sie von einem Duftmolekül stimuliert, verändert sie sich: "Im Ruhezustand enthält sie kaum Calcium, in Aktion plötzlich sehr viel Calcium. Doch niemand wusste in den 1980er-Jahren, wie das wirklich im Detail funktioniert", erzählt Hatt.

Hatt entdeckt Riechrezeptor

"Zu dieser Zeit wurde erstmals die Auswirkung von Hormonen auf den menschlichen Körper erforscht." Zellen verfügen über hoch empfindliche Rezeptoren, die durch Hormone aktiviert werden und die eine Verstärkungsmaschinerie in der Zelle in Gang bringen, die die Zelle wiederum veranlasst, gewisse Stoffe herzustellen." Könnte das beim Riechen ähnlich sein? "Solche Rezeptoren müssten wahnsinnig empfindlich sein, und sie müssten auch recht unterschiedlich sein, also auf viele verschiedene Gerüche reagieren."

Die amerikanische Neurophysiologin Linda Buck konnte 1991 bei Ratten rund 1.000 Gene nachweisen, die für den Geruchssinn verantwortlich sind. Diese Gene veranlassen Zellen, Eiweiße herzustellen, die als Riechrezeptoren dienen. "Der Mensch hat ebenfalls über 1.000 dieser Gene, von denen allerdings nur noch 370 tatsächlich funktionieren", erzählt Hatt. Es ist die größte Genfamilie im Genom, das verweist auf ihre große Bedeutung.

"Wir fragten uns nun: Kann man eines dieser Gene isolieren und in ein Eiweiß verwandeln, das wirklich riechen kann?" Dies war eines der wegweisenden Erkenntnisse, mit denen Hatt hervortrat: Er konnte mit seinem Forscherteam nachweisen, dass das Gen 4 auf dem Chromosom 17 ein Eiweiß produziert, das den Maiglöckchenduft Bourgeonal registriert. "Dieses Eiweiß ist ein Einweg-Artikel." Wenn es ein passendes Molekül bindet, bleibt die Bindung, danach muss ein neues Rezeptor-Eiweiß produziert werden. "Jede Riechzelle, die Sie haben, ist einzigartig", erklärt Hatt, "sie stellt nur einen Rezeptor her. Es ist uns gelungen, 50 der 370 Rezeptoren zu entschlüsseln. Beim Rest wissen wir immer noch nicht, worauf sie reagieren. Aber erst, wenn wir alle kennen, wissen wir wirklich über das ganze Potenzial des menschlichen Riechens Bescheid."