Digitale psychotherapeutische Beratung für Studierende

2. Juli 2020

Die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hilft Studierenden bei der Bewältigung von individuellen Belastungen wie Stress oder Prüfungsangst, sie bietet Kurse zu verschiedensten Themenkomplexen und Einzelberatungen bei psychischen Problemen. Das Team entwickelte bereits seit 2013 eine ganze Reihe von Online-Formaten. Doch nun, in Zeiten der Corona-Pandemie, stellte es sein gesamtes Präsenzprogramm um.

Der Lockdown als Maßnahme gegen die Ausbreitung von COVID-19 macht vielen Studierenden zu schaffen, das hat Anna Janßen in ihren Beratungsgesprächen mehrfach erfahren. "Grundsätzlich ist es so, dass die Situation für alle eine Anpassungsleistung darstellt. Mehr Sorgen und Ängste treten auf, und das ist auch völlig nachvollziehbar", meint die psychologische Psychotherapeutin. "Aber wenn die Anpassung über längere Zeit hinweg nicht funktioniert, wenn die Ängste stärker werden, wenn vielleicht noch Schlafstörungen dazukommen, dann ist das schon alarmierend. Wir erleben zurzeit, dass Menschen, die vorher bereits unter Belastungen litten, verstärkt darauf reagieren, wenn sich etwa soziale Kontakte reduzieren oder wenn positive Dinge wegbrechen."

Egal, wie drückend Studierende die aktuellen Umstände empfinden – ob sie einfach ein paar Tipps brauchen, um ihren veränderten Tagesablauf zu strukturieren, ob sie Hilfe zur Stressbewältigung suchen oder unter gravierenden psychischen Problemen leiden: Bei der Psychotherapeutischen Beratungsstelle der JGU finden sie die richtigen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.

Sorgfältig gestaffeltes Angebot

"Gerade zu Beginn des Sommersemesters merkten wir, dass ein erhöhter Orientierungsbedarf bestand", erzählt Janßen. "Zum Glück gelang es uns, nach Einsetzen der Kontaktsperren recht nahtlos auf digitale Medien umzustellen. Wir konnten also unser umfangreiches Angebot für die Studierenden aufrechterhalten, wenn auch in modifizierter Form."

Janßen gehört bei der PBS zum Team der Online-Beratung, dessen Expertise in der neuen Situation besonders gefragt ist. "Wir alle haben in den letzten Wochen auf Hochtouren gearbeitet. Es ging schließlich nicht nur darum, unsere Programme neu zu organisieren. Wir bekamen auch noch mehr Anfragen für unsere Online-Trainings als sonst." Bereits Anfang Juni verzeichnete die PBS zwei Drittel der Fallzahlen, die sonst über ein ganzes Jahr im Bereich der Online-Beratung registriert werden.

"Unsere Angebote sind sorgfältig gestaffelt", betont Janßen. "Wenn Studierende zu uns kommen, schauen wir erst einmal: Wie ist der Bedarf? Was brauchen sie konkret?" Bereits lange vor Corona richtete sich die PBS mit Projekten wie dem großen Online-Präventionsprogramm "me@JGU" oder dem selbsthilfeorientierten Kurs "Prüfungsangst bewältigen online" (PBO) an alle Studierenden. "Das Prüfungsangst-Programm ist über die universitäre Lernplattform Moodle offen zugänglich. Es enthält Module zu fünf verschiedenen Themenbereichen mit Videos, Hörbeispielen und Arbeitsblättern. Damit können alle selbstständig arbeiten."

Zudem existieren zwei geschlossene Online-Programme zu Prüfungsangst und zu Schreibproblemen. "Hier nehmen wir die Klientinnen und Klienten gezielt auf. Sie durchlaufen ein sechswöchiges Training und bekommen von uns einmal pro Woche eine individuelle Rückmeldung, in der wir ihnen sagen, was gut funktioniert hat oder woran sie noch arbeiten könnten. Am Ende steht dann ein persönliches Gespräch."

Online-Module für alle geöffnet

Sechs weitere Online-Module zu den Themen "Entspannung fördern", "Projekte planen", "Gedanken verändern", "Gut schlafen", "Werte und Ziele klären" und "Stress bewältigen" waren bisher Studierenden vorbehalten, die Einzelberatungen in Anspruch nehmen. "Ursprünglich hatten wir diese Module entwickelt, um sie gezielt verschreiben zu können", sagt Janßen. "Nun stellen wir sie allen zur Verfügung, denn wir merken, dass es verstärkt Anfragen zu den behandelten Problembereichen gibt." Zudem werden die Module sukzessive ins Englische übersetzt, zwei sind bereits verfügbar. "Wir wollen damit unser Angebot für internationale Studierende ausbauen."

Die Einzelberatungen finden selbstverständlich weiter statt. Sie nehmen nach wie vor den größten Raum ein in der Arbeit der PBS. "Nun allerdings stehen wir nur noch per Telefon oder online zur Verfügung. Wir nutzen dabei ein zertifiziertes Videosystem, mit dem auch Psychotherapeutinnen und -therapeuten arbeiten. Das ist wegen des Datenschutzes ganz wichtig." Janßen selbst berät aus dem Homeoffice.

Knapp 20 Präsenz-Kurse bildeten bisher eine weitere wichtige Säule des PBS. Doch an Präsenz auf dem Campus ist derzeit nicht zu denken. "Es ist uns gelungen, all diese Kurse in Online-Seminare umzuarbeiten. Wir legten uns schon sehr ins Zeug, um das zu schaffen, und wir lernten in dem Prozess viel dazu. Nun freuen wir uns, dass viele positive Rückmeldungen kommen." Die Nachfrage ist auch hier gestiegen. "Wir bieten in den Kursen Videokonferenzen über das Open-Source-System BigBlueButton an. Das gibt uns auch die Möglichkeit, Kleingruppen zu bilden. Hier sind wir sogar flexibler als zuvor, da wir in der Beratungsstelle von den Räumlichkeiten her schon mal an unsere Grenzen stoßen."

Vernetzt arbeiten, unkonventionell denken

Für die Zukunft könnte sich Janßen vorstellen, dass sich neben den Präsenz-Kursen auch die Online-Kurs-Seminare etablieren. "Es mag sein, dass wir später sogar noch mehr Dinge beibehalten. Aber im Moment befinden wir uns noch in einem großen Testlauf. Wir machen das alles nicht, weil wir glauben: Das ist definitiv die beste Strategie. Wir agieren, so gut es geht. Niemand hat den Anspruch, sofort perfekte Angebote zu präsentieren. In dieser Zeit hat keiner die perfekte Lösung."

Zudem sei die Arbeit anstrengend. Vieles gestalte sich aufwändiger als zuvor. "Ich könnte mir schon vorstellen, dass irgendwann eine Gewöhnung einsetzt. Aber im Moment frage ich mich zum Beispiel immer noch bei vielen Gelegenheiten: Funktioniert die Technik auch? Steht meine Internet-Verbindung? Ich merke das auch bei den Studierenden, die sich vielleicht aus einer WG heraus melden und nicht immer die optimalen technischen Möglichkeiten haben." Das verursache zusätzlich Stress. "Das Schöne ist, dass wir nun noch vernetzter arbeiten, und dass wir Anlass bekommen, unkonventionell zu denken. Im Moment erlebe ich viele Menschen an unserer Universität als sehr engagiert. Das motiviert. Dennoch ist in der Einzelberatung der persönliche Kontakt in vertraulicher Umgebung wichtig. Die Beratung in der Zeit der Corona-Pandemie per Videobehandlung anzubieten funktioniert gut, ist aber langfristig nicht das Mittel der ersten Wahl in der psychotherapeutischen Beratung."