7. Oktober 2025
Das Bohrkernarchiv ELSA ist eine einzigartige Dokumentation des mitteleuropäischen Klimas in den vergangenen 130.000 Jahren. Und ganz nebenbei liefert es auch Erkenntnisse für viele andere Forschungsfragen und Disziplinen. So sind in den vergangenen 25 Jahren drei Bücher, rund 50 studentische Abschlussarbeiten und Dissertationen sowie gut 60 wissenschaftliche Paper aus den Funden und Befunden des Eifel Laminated Sediment Archive hervorgegangen und noch immer sind viele spannende Fragen offen. Weitere Bohrungen sind deshalb enorm wichtig – auch wenn Prof. Dr. Frank Sirocko, der das ELSA-Archiv aufgebaut und über viele Jahre hinweg kontinuierlich ausgebaut hat, in absehbarer Zeit in den wohlverdienten Ruhestand geht.
Sie mögen teils über 100.000 Jahre alt sein, aber die Sedimente der ELSA-Bohrkerne leben. "Einige wissenschaftliche Erkenntnisse aus diesen Kernen können nur während der ersten sechs Wochen nach der Bohrung gewonnen werden, da die organische Substanz der Seeablagerungen schnell oxidiert und Biomarker sich verändern," erklärt Prof. Dr. Frank Sirocko. Daher werden die Bohrungen in den Maaren der Eifel auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand fortgesetzt. Auf dieser Basis kann das Eifel Laminated Sediment Archive (ELSA) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) kontinuierlich weiterentwickelt werden, um modernste Analysen wie die Untersuchung alter DNA auszuführen.

Das einzigartige Bohrkernarchiv hält Antworten zu vielen Forschungsfragen bereit. Seinen Anfang nahm es mit der Berufung von Frank Sirocko als Professor für Geowissenschaften an die JGU im Jahr 1998. Über all die Jahre hat Sirocko rund 2.700 Meter Bohrkerne aufgebaut, die heute im Untergeschoss des Gebäudes der Naturwissenschaftlichen Fakultät bei möglichst optimalen Bedingungen lagern: 8 Grad Celsius und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit lassen die Kerne möglichst langsam altern.
Seit gut zwei Jahren bringt Sirocko, gebürtiger Lüneburger, nun als Seniorforschungsprofessor am Institut für Geowissenschaften sein Wissen in diverse Forschungsarbeiten ein und arbeitet dabei insbesondere mit Juniorprofessor Dr. Igor Obreht zusammen, der sich ebenfalls mit dem Paläoklima beschäftigt. Dabei liegt es Sirocko besonders am Herzen, auch Praxiserfahrungen aus mehr als einem Vierteljahrhundert Bohrungen weiterzugeben. "Ich habe durch die Arbeit an ELSA eine sehr hohe Meinung von den Menschen der Eifel bekommen," betont Sirocko. "Die Menschen in der Region fallen einem vielleicht nicht sofort um den Hals, wenn man mit einem Forschungsvorhaben daherkommt. Aber wenn man einen klaren Plan hat und mit den Landwirten am Ort vernünftig spricht, dann unterstützen sie einen ganz wunderbar."
Mit einem Schmunzeln erzählt Sirocko von den Anfängen des Projekts: Dass es bei einem eventuellen Flurschaden durch die Bohrarbeiten finanziellen Ausgleich für die Bauern geben würde, wurde damals noch per Handschlag vereinbart. "Das war genau richtig für einen Landstrich, in dem die persönliche Beziehung mehr zählte als ein hochoffizielles Genehmigungsschreiben. Das hat eine wichtige Vertrauensbasis geschaffen und war immer die Basis für das Auffinden Erfolg versprechender Bohrpunkte."
Neustart in der Eifel
Sirocko studierte in Kiel Meeresgeologie und promovierte dort auch und ging dann zunächst an die renommierte Columbia University in New York. Für seine Habilitation kehrte er schließlich nach Norddeutschland zurück. Unter anderem über Stationen in Cambridge und Potsdam ging es für den damaligen Heisenberg-Stipendiaten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) schließlich nach Mainz. Hier erwartete ihn eine Herausforderung, die er zu seiner Chance machte: Er warb bei der Stiftung Rheinland-Pfalz für Innovation erfolgreich um Fördergelder und wurde mit einem Budget von damals 500.000 DM ausgestattet. "Damit konnten wir bohren, wo und wie wir es für unsere Forschung brauchten. Diese Freiheit und Flexibilität der Projektgestaltung war immens wertvoll und ist bis heute die Grundlage der außergewöhnlichen Ergebnisse des ELSA-Projekts."

Aber warum gerade die Eifel? "Ganz einfach: Weil deren vulkanisch geprägte Region ein geologisches Archiv bildet, wie es sonst kaum zu finden ist", betont Sirocko. Die Eifel war während der letzten Eiszeiten nicht von Gletschern bedeckt, sodass sich fein geschichtete Sedimente über zehntausende Jahre hinweg kontinuierlich ablagern konnten. Sie bilden Warven genannte Jahresschichten, ähnlich wie die Jahresringe in Baumstämmen. Zu finden sind diese Ablagerungen in den für die Eifel typischen Maaren. Die Seen sind durch vulkanische Aktivität entstanden und heute mit Ablagerungen verfüllt – sogenannte Trockenmaare – oder als Maarseen mit Wasser gefüllt. Für ELSA bohren die Mainzer Forschenden mit verschiedenen Techniken sowohl an Land als auch von der Wasseroberfläche aus.
Die ersten 20 Bohrungen haben Sirocko und sein Team in nur zwei Jahren realisiert. "Da hatten wir auf einen Schlag eine Menge guter Kerne. Damit konnten wir schnell Vergleichsanalysen anstellen, Muster erkennen und auf dieser Grundlage gezielt weiterbohren," erinnert sich der ELSA-Initiator. Zwei Stärken des Bohrkernbestands zeigten sich dabei schnell: Erstens die feine Schichtung oder Laminierung, die eine weitgehend jahresgenaue Chronologie über mehr als 100.000 Jahre hinweg erlaubt. Der Aufbau dieser Chronologie allerdings erforderte dann jahrzehntelange Detektivarbeit, um aus den einzelnen Segmenten der einander überlappenden Bohrkerne eine durchgängige Zeitreihe zu entwickeln.
Damit kommt Sirocko zur zweiten Stärke des Langzeitprojekts: Schnell zeigte sich, dass aus den Bohrkernen nicht nur Erkenntnisse zur Klimageschichte und Klimaentwicklung über Jahrtausende hinweg gewonnen werden können, sondern auch viele andere Informationen – und das in überregionalen Zusammenhängen. "Wenn Sie beispielsweise etwas über den Vulkanismus vor 74.000 Jahren wissen möchten, können Sie in die ELSA-Daten schauen. Dann wissen Sie genau, ob das eine vulkanisch aktive Zeit war und wo Sie die besten Kerne finden, die diese Zeit abdecken."

Von Archäologie bis Paläogenetik – in der Eifel und darüber hinaus
Umfangreiche Aussagen zum Eifelvulkanismus lagen bei der Auswahl der Bohrstellen natürlich nahe. "Wir konnten die Eruptionsgeschichte der Eifel über die letzten 130.000 Jahre datieren und auch in Korrelation setzen zu Änderungen im atlantischen Golfstromsystem. Offensichtlich ist der lithostatische Druck zwischen den Kontinenten und dem Ozean gekoppelt. Vulkanausbrüche häufen sich immer, wenn die eiszeitlichen Gletscher aufbrechen und der Nordatlantik danach wärmer wird. Diese Erkenntnisse haben wir 2024 publiziert und sie sind in der Fachcommunity sehr gut angenommen worden," freut sich Sirocko.
Aber es lassen sich aus den Bohrkernen auch wichtige Aussagen über die Siedlungsgeschichte und die Entwicklung der Landwirtschaft treffen. "Es gibt da sehr viele Schnittmengen mit der Archäologie und der Anthropologie, um die Besiedlungsgeschichte der Eifel im Detail und für ganz Mitteleuropa im Allgemeinen zu verstehen." Eine wichtige Quelle sollen dabei künftig DNA-Spuren in den erbohrten Sedimenten sein: Aus solchen jahrtausendealten Bruchstücken von Erbgut kann die Paläogenetik zum Beispiel bestimmen, welche Pflanzen damals genutzt wurden, welche Tiere im Einzugsgebiet der Maare gelebt haben und wann genau Menschen in der Region siedelten.

"Wenn wir Winter mit kaltzeitlichen Bedingungen haben, sollte sich die Migration von Mammuts und eben auch von Mammutjägern belegen lassen," nennt Sirocko eine typische Fragestellung. Besonders spannend für ihn: "Wie haben sich klimatische Kipppunkte auf die Siedlungsgeschichte der Menschen ausgewirkt?" Dabei geht es Prof. Dr. Frank Sirocko nicht nur um klimageschichtliche Ereignisse, sondern zum Beispiel auch um die historisch orientierte Epidemiologie. "Die ältesten Nachweise für die Pest kennen wir aus dem Jahr 3.200 v. Chr. Und genau da sehen wir eine Phase, in der für rund 100 Jahre in unseren Bohrkernen die Besiedlungsanzeiger abbrechen." In diesem Zeitraum will das ELSA-Team künftig nach Spuren der DNA von Pestbakterien suchen. "Für den Schwarzen Tod von 1348 haben wir das schon vor zehn Jahren erfolgreich gemacht," erzählt Sirocko.
Hausgarten der JGU
Frank Sirockos Vision für die Zukunft ist klar: Angesichts der vielfältigen Fragestellungen und Erkenntnismöglichkeiten aus den Bohrkernen der Region solle die Eifel ein "Hausgarten" der Mainzer Geowissenschaften bleiben. In gemeinsame Bohrungen und Forschungen mit Juniorprof. Dr. Igor Obreht bringe dieser als Biomarker-Spezialist wichtige neue Impulse ein, insbesondere aus der Molekularanalytik. Spannend für den Wegbereiter von ELSA ist auch der interdisziplinäre Ansatz: "Die Arbeit mit historischen DNA-Spuren ist ein Traum für Paläoökologen," so Sirocko, "aber auch eine gewaltige Herausforderung für Informatiker, die Terabyte an Sequenzdaten analysieren müssen."
Bis wenigstens Ende September 2026, wenn seine aktuelle Seniorforschungsprofessur ausläuft, wird Prof. Dr. Frank Sirocko jedenfalls nicht langweilig. Bisherige Erkenntnisse wollen zu Papier gebracht werden und neue Bohrkerne wollen ihren Beitrag zur Entschlüsselung neuer Forschungsfragen leisten – in den Geowissenschaften, der Klimaforschung, der Paläogenetik und vielen weiteren Forschungsfeldern.
Text: Peter Thomas