Georg Forster umsegelt die Welt

14. Mai 2024

Die Ausstellung "Tiny unpredictable material objects. Postkoloniale Perspektiven auf Georg Forsters Herbarbelege (1772–1775)" eröffnet einen kritischen Blick auf die kolonialistische Politik des 18. Jahrhunderts und porträtiert zugleich eine außergewöhnliche Forscherpersönlichkeit.

Er war gerade mal 17 Jahre alt, als er gemeinsam mit seinem Vater an Bord der "Resolution" ging: Georg Forster sollte im Gefolge von James Cook die Welt umsegeln. Seine Beschreibung der Reise würde ihn berühmt machen. Mit seiner besonderen Art, auf Pflanzen, Tiere und Menschen zu schauen, setzte er Standards in der Botanik und gilt als einer der Wegbereiter der heutigen Ethnologie.

"Forster war ein Multitalent", erzählt Dr. Lisa Marie "Roemer. Er hatte sehr großes Interesse an Völkern, Kulturen und Sprachen – und er war ein brillanter Naturzeichner." Die Sammlungskoordinatorin an der Universitätsbibliothek der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) steht vor einer Vitrine in der Schule des Sehens. Hier ruhen unter Glas Originale und Reproduktionen von Herbarblättern, die Forster auf Cooks zweiter Weltumsegelung anfertigte, flankiert von einigen seiner Zeichnungen und einem Kupferstich. "Viel ist zu Forster geforscht worden, aber seine Belege südpazifischer Pflanzen blieben weithin unbeachtet." Das soll sich mit dieser Ausstellung ein Stück weit ändern.

Dr. Lisa Marie Roemer: "Forster war ein Multitalent. Er hatte sehr großes Interesse an Völkern, Kulturen und Sprachen." (Foto: Stefan F. Sämmer)
Dr. Lisa Marie Roemer: "Forster war ein Multitalent. Er hatte sehr großes Interesse an Völkern, Kulturen und Sprachen." (Foto: Stefan F. Sämmer)

Huddu oder Barringtonia?

Die von ihm so sorgfältig dokumentierte Pflanze taufte Forster Barringtonia speciosa. "Er hat sie in Tahiti entdeckt", erläutert Roemer, wobei sie gleich klarstellt: "Eine Entdeckung war es nur aus der Perspektive der Europäer. Die Einheimischen kannten sie selbstverständlich längst." Dem trägt auch Forster Rechnung, was außergewöhnlich ist für einen europäischen Gelehrten seiner Zeit. Er schreibt: "Diesen schönen Baum nannten wir Barringtonia, in der Landessprache aber heißt er Huddu (huddoo), und die Einwohner versicherten, daß wenn die nußartige Frucht desselben zerstoßen, und mit dem Fleisch von Muscheln vermischt, ins Meer geworfen wird, die Fische einige Zeit so betäubt davon würden, daß sie oben aufs Wasser kämen und sich mit den Händen fangen ließen."

Huddu jedoch sollte die Pflanze in der wissenschaftlichen Welt dann doch nicht heißen. "Daines Barrington hatte als Vizepräsident der Royal Society Georg Forster und seinen Vater für Cooks zweite Weltumseglung empfohlen", so Roemer. Dafür stattete der junge Mann nun per Barringtonia speciosa Dank ab.

"Tiny unpredictable material objects. Postkoloniale Perspektiven auf Georg Forsters Herbarbelege (1772–1775)" entstand an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin in Kooperation mit der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen, gefördert von der Volkswagenstiftung. 250 Jahre nach dem Aufbruch der "Resolution" wurde die von Susanne Wernsing kuratierte Ausstellung im Forum Wissen in Göttingen gezeigt. Das Kurator*innenteam der Schule des Sehens entschloss sich, die Schau an die JGU zu holen. Denn Forster ist von besonderer Bedeutung für die Stadt: Hier wirkte er nicht nur als Universitätsbibliothekar, er war zudem einer der führenden Köpfe der Mainzer Republik.

Dr. Anna-Maria Brandstetter und Dr. Lisa Marie Roemer, zwei der Kurator*innen der Ausstellung "Tiny unpredictable material objects" (Foto: Stefan F. Sämmer)
Dr. Anna-Maria Brandstetter und Dr. Lisa Marie Roemer, zwei der Kurator*innen der Ausstellung "Tiny unpredictable material objects" (Foto: Stefan F. Sämmer)

Brotbaum, Sklaven, Meuterei

An der JGU zeichnen neben Roemer noch Dr. Anna-Maria Brandstetter, Akademische Direktorin im Ruhestand und assoziierte Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien, Dr. Justus Jonas, Sammlungskoordination, und Prof. Dr. Kirsten Grimm, Kuratorin der Naturwissenschaftlichen Sammlungen, für die Ausstellung verantwortlich. Im Kern blieb diese erhalten: Weiterhin stehen Forsters Herbarblätter zu drei Pflanzen aus dem polynesischen Raum im Zentrum. Sie sind jene "kleinen unvorhersehbaren materiellen Objekte" des Ausstellungstitels, an deren Beispiel sowohl koloniale Praktiken und Ausbeutungsstrategien als auch Forsters wissenschaftliche Vorgehensweise dokumentiert werden. Zudem zeigt sie Arbeiten der beiden Künstlerinnen Sonya Schönberger zur Brotfrucht und Khadija von Zinnenburg Carroll zur Würdigung des Navigators Tupaia von Tōtaiete mā (Gesellschaftsinsel), der James Cook auf dessen erster Weltumsegelung (1786-1771) begleitete.

Doch einige Details sind in Mainz hinzugekommen. So ist ein Modell der "Bounty" zu sehen – und daneben das Modell eines polynesischen Ausleger-Segelboots. "Forster war auch als Übersetzer sehr produktiv", erzählt Brandstetter. Er übertrug Kapitän William Blighs Bericht von der berühmten Meuterei auf der "Bounty" ins Deutsche. Diese Meuterei hatte ihr Wurzeln in einem besonders eklatanten Fall von kolonialer Pflanzenpiraterie: "Die britische Admiralität hatte Bligh beauftragt, Setzlinge des Brotbaums in die Karibik zu holen, um dort die Ernährung der versklavten Plantagenarbeiter*innen zu verbessern und so die Erträge zu erhöhen." Auf dem Schiff musste eine Unzahl von Pflanzen versorgt werden, auch auf Kosten der Besatzung, deren Empörung dann Geschichte schrieb.

Unabhängig davon dokumentiert Forster in seiner Schrift "Vom Brodbaum" die Domestikation der Pflanze durch die Polynesier: "Im Lauf von Jahrtausenden wurden die Kerne der Brotfrucht weggezüchtet, um mehr Fruchtfleisch zu bekommen", so Brandstetter. "Der Baum konnte sich also nicht mehr selbstständig fortpflanzen." Und wieder erforschte Forster, wie die Einheimischen diesen Baum nennen: "Baràbe", "Ghurru", "Rima" ...

Kostenloses Begleitprogramm

Bis zum 20. Juni wird die Ausstellung "Tiny unpredictable material objects. Postkoloniale Perspektiven auf Georg Forsters Herbarbelege (1772–1775)" in Mainz zu Gast sein, flankiert von einem reichen Begleitprogramm: Unter anderem hat sich der Historiker und Forster-Spezialist Dr. Frank Vorpahl angekündigt. "Vor allem aber haben wir die Ausstellung über den Raum der Schule des Sehens hinaus erweitert", meint Roemer. So führt Dr. Ralf Omlor auf den Spuren Forsters durch den Botanischen Garten der JGU, und der studentische Verein Geographie für Alle bietet zwei Führungen zum "Weltumsegler, Universitätsbibliothekar und Revolutionär" an.

"All diese Angebote sind kostenlos", betont Roemer, während sie bei der Vitrine mit den Kostbarkeiten zur dritten Pflanzenart der Ausstellung Halt macht: Tupeia antarctica heißt das Gewächs. Es wurde nach jenem polynesischen Navigator benannt, ohne den Cooks erste Weltreise wohl kaum erfolgreich gewesen wäre. Auch diese Geschichte erzählt die Ausstellung.

Text: Gerd Blase