12. Mai 2022
Das Projekt ModeLL-M, "Mainzer Modelle für digital erweitertes Lehren und Lernen", kombiniert herkömmliche Präsenzformate mit digitalen Elementen, um hybride Lehre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) weiter voranzubringen. In einer ersten Phase starteten drei Pilotprojekte, eines davon in den Bildungswissenschaften. Ab kommenden August ergänzen sechs weitere Fachprojekte ModeLL-M.
Wer sich an der JGU für ein Lehramtsstudium entscheidet, studiert auf jeden Fall auch Bildungswissenschaften. Dennoch steht das Fach in der allgemeinen Wahrnehmung nicht unbedingt im Vordergrund. "Die Studierenden sagen meist, sie studieren Mathematik und Physik oder Deutsch und Geschichte", meint Franziska Ohl. "Sie vergessen ihr drittes Fach. Dabei geben ihnen die Bildungswissenschaften viele Werkzeuge an die Hand, die sie später in der Praxis brauchen. Sie bekommen außerdem einen theoretischen Rahmen, die verschiedensten Ansätze und Hilfestellungen."
"Für unser Pilotprojekt haben wir die Studierenden zuerst gefragt, was ihnen noch fehlt, was sie sich wünschen", erzählt Ohl. Die Antwort fiel eindeutig aus: "Sie wünschen sich einen roten Faden und möchten mehr Feedback." – "Also haben wir uns mit ihnen zusammengesetzt, um gemeinsam zu überlegen, was Feedback überhaupt für sie bedeutet", fährt Sebastian Laube fort. "Einige sahen darin einfach nur eine Benotung, aber es wurde schnell klar, dass Feedback viel mehr sein kann." Die große Tafel im Büro der beiden verdeutlicht das. In den Notizen dort ist der Begriff allgegenwärtig: "Feedback geben, Feedback nehmen, aktiv erbitten, verarbeiten…"
Digitale Portfolios für die Bildungswissenschaften
In den Bildungswissenschaften der JGU kommen drei Disziplinen zusammen: die Psychologie, die Erziehungswissenschaft und die Soziologie. Laube und Ohl gehören hier zur Abteilung Psychologie. Seit Oktober 2021 arbeiten sie an einem der drei Pilotprojekte von ModeLL-M, den "Mainzer Modellen für digital erweitertes Lehren und Lernen": Sie entwickelten in einem speziell für diesen Zweck zusammengestellten Team "curriculumsbegleitende digitale Feedback-Portfolios". Prof. Dr. Marius Harring von der Arbeitsgruppe Schulforschung/Schulpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft und Prof. Dr. Margarete Imhof von der Abteilung Psychologie in den Bildungswissenschaften leiten seit August 2021 das Projekt.
"Portfolios kennen wir in der Lehramtsausbildung schon länger", erzählt Laube. "Die Studierenden legen eine Art Mappe an, eine Sammlung von Dokumenten." Oder abstrakt gesagt: "Sie wählen Artefakte aus, die einen gewissen Sinn erfüllen. Das können Informationen verschiedenster Art sein, die unsere Studierenden im Laufe der Semester erhalten haben, Reflexionen zu ihrer Entwicklung und vieles mehr." Ihr Portfolio begleitet sie durch das gesamte Studium bis in die Referendariatszeit.
"Solche Portfolios gibt es auch heute schon in digitaler Form", räumt Ohl ein. "Mit dem Feedback aber bringen wir einen ganz neuen Faktor hinein, und wir stellen den Studierenden in diesem Semester erstmals eine digitale Plattform zu Verfügung, die ihnen viele neue Möglichkeiten eröffnet."
Das digitale Feedback-Portfolio ist ein Paradebeispiel dafür, was das Projekt ModeLL-M an der JGU leisten kann: In der 2021 gestarteten Initiative werden Ansätze und Modelle entwickelt, durch die sich etablierte universitäre Präsenzformate mit digitalen Elementen erweitern und vor allem bereichern lassen. Dabei geht es nicht um digitale Ausnahmeformate oder Leuchttürme, sondern um Formen, die im besten Sinn alltagstauglich sind, die Studium und Lehre für möglichst viele besser machen können. Hybride Formen des Lehrens und Lernens entstehen. Vier Faktoren, die den Studierenden zu einer möglichst intensiven und bereichernden Lernerfahrung verhelfen sollen, stehen im Mittelpunkt: Aktivierung, Selbststeuerung, Kollaboration und Feedback.
Pilotprojekte in drei Fächern
ModeLL-M ist auf drei Jahre angesetzt und wird für diesen Zeitraum von der Stiftung "Innovation in der Hochschullehre" mit 4,3 Millionen Euro gefördert. Die Projektleitung liegt in den Händen des Vizepräsidenten für Studium und Lehre der JGU, Prof. Dr. Stephan Jolie. In einer ersten Phase wurden drei Fächer einbezogen: Neben den Bildungswissenschaften mit ihrem Feedback-Portfolio ist die Medizin mit einem Projekt zu neuen Vorlesungsformaten unter Federführung von Prof. Dr. Michael Schmeißer und Juniorprof. Dr. Sven Schumann vertreten. In der Geschichte geht es unter Leitung von Prof. Dr. Jan Kusber und Prof. Dr. Meike Hensel-Grobe um innovative Projektlehre. Die drei Konzepte werden in so genannten "Communities of Practice" erprobt, die sich selbst organisieren und im intensiven Austausch stehen. Eine eigens eingerichtete zentrale Projektakademie unterstützt die Communities. Sie ist am Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) der JGU angesiedelt, das auch die Evaluation übernimmt. Das Dezernat Hochschulentwicklung koordiniert und betreut das Gesamtprojekt. Hier findet sich auch die Koordinierungsstelle digitales Lehren und Lernen, die bei konkreten Anwendungsfragen zu digitalen Tools sowie dem JGU-Lern-Management-System Moodle zur Seite steht.
Die zweite Phase beginnt im August: Sechs weitere Fächer oder Fachgruppen können sich für einen der drei Pilotbereiche bewerben. Zudem wurden die bereits erarbeiteten Formate im hybriden Symposium "Aus zwei mach eins – Hybride Lehre alltagstauglich gestalten" im April 2022 vorgestellt. Am Ende kann die gesamte JGU von ModeLL-M profitieren: Die frischen Impulse sollen die Lehre in allen Bereichen weiterbringen.
Doch erst einmal sind Ohl und Laube gespannt, wie ihr Feedback-Portfolio bei den Studierenden ankommt. "Durch den Einsatz der Open-Source-Software Mahara haben wir eine Menge zu bieten", meint Laube. "Wir stellen den Studierenden auf unserer digitalen Plattform ein Scaffold, eine Art Gerüst, zur Verfügung. Es liefert eine erste Orientierung, was ihr Portfolio enthalten könnte und wie sie im Studium damit arbeiten können. Hierbei lassen sich nicht nur Texte einbetten, sondern vielfältige digitale Medien wie zum Beispiel Social Media, Podcasts oder Videos."
Feedback-Kultur schaffen, Vielfalt fördern
Die Feedbacks bilden das Rückgrat. "Wir regen die Studierenden dazu an, aktiv Rückmeldungen zu erbitten, sowohl von Dozierenden als auch von ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen, sowie Außenstehenden wie Lehrerinnen und Lehrern oder Schülerinnen und Schülern", erklärt Ohl. "Unter den Studierenden selbst möchten wir eine Feedback-Kultur schaffen. Sie sollen sich intensiv austauschen. Wir wollen weg von der reinen Performance-Orientierung, die nur darauf schaut, wer besser oder schneller ist, wer mehr erreicht hat." Die Feedbacks unterstützen die Selbstreflexion und eröffnen jedem einen eigenen Weg. "Unsere Studierenden sollen sich fragen, wo sie stehen, wo sie hin möchten. Sie sollen ihr eigenes Bild von einer Lehrkraft entwickeln. Wir wollen ihre Vielfalt fördern, denn sie werden es später auch mit einer Vielfalt an Schülerinnen und Schülern zu tun haben."
"Durch das digitale Feedback-Portfolio erhoffen wir uns eine noch engere Verzahnung der drei Teildisziplinen in den Bildungswissenschaften", ergänzt Laube. "Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie können ihren Teil bei der Weiterentwicklung unserer Plattform beitragen. Wir wünschen uns auf diesem Weg engere Kontakte mit den einzelnen Fachdidaktiken zu knüpfen. Das wäre spannend."
"Auf dem Symposium im April haben wir unser Portfolio präsentiert", resümiert Ohl. "Ich könnte mir vorstellen, dass andere Fächer etwas Ähnliches für sich neu einrichten. Außerdem bin ich neugierig, wer in unserem Pilotbereich neu hinzukommt." ModeLL-M tritt in ein neues Stadium, die hybride Lehre bekommt einen weiteren kräftigen Schub an der JGU.