10. Januar 2014
In der Bibliothek des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universitätsmedizin Mainz findet sich eine kleine, aber feine Sammlung verschiedenster medizinhistorischer Objekte. Prof. Dr. Norbert W. Paul kennt sich hier aus. Der Direktor des Instituts erzählt einige der Geschichten, die sich hinter den Exponaten verbergen.
Prof. Dr. Norbert W. Paul holt ein winziges Gerät aus der Vitrine. Auf einer zentimeterlangen Messingplatte ist ein fein gearbeiteter Schraubmechanismus angebracht. Dieser ermöglicht es, einen Dorn vor einem kleinen Loch in der Platte zu justieren. "Schauen Sie mal durch", ermutigt der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. "Halten Sie es ganz dicht vors Auge und in Richtung Licht." Es ist nicht viel zu sehen. Halb durchsichtige Objekte scheinen durchs Blickfeld zu schweben. "Das sind nur abgelöste Fragmente Ihres Glaskörpers", winkt Paul ab.
"Dies hier ist das erste Mikroskop Antoni van Leeuwenhoeks", erklärt der Professor. Aber wo ist die Linse bei diesem Gerät? "In dem kleinen Loch. Im 17. Jahrhundert war es noch nicht möglich, große Linsen zu schleifen." Also musste sich der niederländische Erbauer des Mikroskops mit einem millimetergroßen Stück Glas begnügen. Auf den Dorn spießte er die Objekte, die er beobachten wollte. "Immerhin haben Sie hiermit eine etwa 200-fache Vergrößerung", erläutert Paul.
Eine zufällige Sammlung
Die Medizinhistorische Sammlung des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Universitätsmedizin Medizin passt in ein paar wenige Schränke. Sie gehört zu den kleineren Sammlungen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), aber sie hat es in sich. Chirurgische Bestecke blinken fast wie neu, alte Brillen funkeln und ein marmorner Menschenkopf strahlt in Weiß. Dazwischen finden sich eher unauffällig alte Medikamentenpackungen – oder eben dieses kleine Mikroskop. Es ist zwar nur eine Nachbildung, aber eine hervorragende Arbeit. "Ein echtes Mikroskop dieser Art ist kaum zu bezahlen", so Paul.
Die Sammlung ruht in einem Kellerraum im Gebäude der Universitätsmedizin Mainz. Über die Jahre hat sich einiges angesammelt. Fast alle Exponate sind Originale, das Mikroskop ist eine von wenigen Ausnahmen. Die Objekte kommen aus Ärztenachlässen oder von benachbarten Universitätskliniken. "Manches wurde in der Vergangenheit auch angekauft", erzählt Paul. "Aber wir sind natürlich kein Museum; dies ist eher eine zufällige Sammlung. Es gibt drei medizinhistorische Museen in Deutschland: ein großes in Ingolstadt und zwei kleinere in Berlin und Bochum. Mit denen stehen wir in Kontakt. Wenn wir etwas Besonderes bekommen, was dort nicht vorhanden ist, dann geben wir es als Leihgabe weiter."
Vieles aber ist in Mainz geblieben. Paul kann Erstaunliches, manchmal auch Grausiges zeigen und erzählen. Der Professor greift noch einmal in die Vitrine. Dort liegen einige Geburtszangen aus dem 19. Jahrhundert, deren Anblick beim Laien durchaus ein unwohles Gefühl im Unterbauchbereich auslösen kann.
Die Zange des Gynäkologen
Paul holt ein ähnlich großes, aber etwas anders gestaltetes Gerät aus der Vitrine. Vier metallene Greifarme lassen sich stufenlos verstellen. "Das ist ein Gerät zur Unterstützung der Abtreibung." Damit griff der Gynäkologe nach dem bereits getöteten Fötus. "Mit der Zange zertrümmerte er zuerst den Schädel, damit der Fötus besser durch den Geburtskanal passte." Das Gerät wurde bei medizinisch indizierten Abtreibungen eingesetzt.
Die medizinhistorische Sammlung ist ein Ort der Kontraste. Als Nächstes zeigt Paul einen Lebenswecker. Das Gerät wurde nach 1840 von dem westfälischen Erfinder Carl Baunscheidt unter die Leute gebracht. "Eine Zeit lang fanden Sie das praktisch in jedem Haushalt", erzählt Paul. Der Lebenswecker sieht aus wie eine schmale Taschenlampe. Allerdings spendet er kein Licht. Auf Druck fährt ein Bündel scharfer Nadeln aus dem Schaft heraus.
Der Erfinder litt unter rheumatischer Arthritis und merkte zufällig, dass ein Bienenstich ihm Linderung verschaffte. Also machte er sich daran, gleich mehrere Stiche zu imitieren. "Auf die Nadeln schmierte er eine Paste aus ätherischen Ölen." In der Folge schworen viele auf das Gerät. "Es machte Furore."
Manches in der Medizinhistorischen Sammlung mutet wie ein Kuriosum an. Doch für Prof. Dr. Norbert W. Paul sind es bedeutende Geräte vergangener medizinischer Praktiken. Und vieles – wie die Geburtszangen – wirkt schon modern. Ein chirurgisches Besteck aus dem 19. Jahrhundert etwa: "Schauen Sie, solche Messer haben wir heute noch. Und das hier ist die klassische Knochensäge."
Phrenologie in Porzellan
Auch ein frühes Stethoskop kann Paul präsentieren. Am Ende eine Holzrohrs findet sich eine Platte aus Elfenbein. "Der Patient blieb damals beim Abhören bekleidet, insbesondere Frauen." Es ging auch nicht darum, ein leises Pfeifen der Bronchien zu entdecken. "Dieses Gerät diente vor allem dazu, Tuberkulose zu diagnostizieren."
Zu jedem Exponat fällt Paul etwas ein, sei es nun das martialisch anmutende Zahnarztbesteck – oder der Porzellankopf, auf dessen Schädelrund allerlei Eigenschaften notiert sind: Der Hirnforscher Franz Joseph Gall ging im 18. Jahrhundert davon aus, dass sich diverse Charaktereigenschaften in der Kopfform spiegeln. Das Ganze nannte sich Phrenologie. "Er dachte, dass besonders entwickelte Areale des Gehirns von innen einen Abdruck auf den Schädel machen."
Der Porzellankopf und die übrigen Objekte der Medizinhistorischen Sammlung bleiben nicht isoliert im Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Sie sind eingebettet in den Bibliotheksbestand, der auch wertvolle Bücher aufweist. Einige liegen aufgeschlagen in benachbarten Vitrinen. Über ihnen hängen Ölgemälde wichtiger Mediziner. So schaut der berühmte Anatom Samuel Thomas Soemmerring auf den Besucher hinab. Seit 1784 war er Professor in Mainz. Georg Forster nannte ihn "Teutschlands Hippokrates".
Was dachte er wohl über Galls Phrenologie? Was würde er von Baunscheidts Lebenswecker halten? Prof. Dr. Norbert W. Paul könnte zu jedem einzelnen Objekt der Medizinhistorischen Sammlung interessante Geschichten erzählen, aber das würde den Rahmen sprengen. Die Vitrinen werden verschlossen, das Licht erlischt, Soemmerring verschwindet im Dunkel.