Mit Musik ins Armenviertel

26. Mai 2015

Nicolai Benner reiste im März in die kolumbianische Millionenstadt Cali, um dort eine Schule im Armenviertel Aguablanca zu unterstützen. Der Student der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) war tief beeindruckt von den Kindern und von der Herzlichkeit, die ihm entgegenschlug. Im Spätsommer wird er zurückkehren, um dort ein größeres Musikprojekt auf die Beine zu stellen.

Wenn Nicolai Benner von seiner Zeit im Armenviertel Aguablanca erzählt, wenn er von der Arbeit an der kleinen Schule La Providencia berichtet, dann schwingt immer Begeisterung mit. "Ich hatte direkt bei der ersten Probe eine Gänsehaut. Diese Kinder sangen sofort auf einem hohen Niveau. Und dann diese Spontaneität: Ich war baff, mit welcher Emotion sie Musik machen. Diese Hingabe kannte ich bisher nicht."

Im vergangenen März flog Benner nach Kolumbien in die Millionenstadt Cali. Es war sein erster Besuch dort, seine erste Reise nach Südamerika überhaupt. "Ich wurde quasi ins kalte Wasser geworfen."

Schule als Ort der Sicherheit

Der Herborner Verein Aguablanca hatte ihn geschickt. Aguablanca e.V. kümmert sich um Kinder im Stadtviertel Aguablanca in Cali, in dem rund 600.000 Menschen leben und das einst als Slum galt. "Inzwischen ist es besser geworden, aber die Leute dort sind immer noch sehr arm. Sie leben am Rande des Existenzminimums."

Die Ordensschule La Providencia ist Mittelpunkt der Arbeit von Aguablanca e.V. Vieles hat sich dort getan in den vergangenen Jahren. "Es ist ein Gebäude entstanden, in dem die Kinder sich sicher fühlen können", erzählt Benner. "Nach außen ist es abgeschlossen, im Parterre gibt es zu den Straßen hin gar keine Fenster, die Fenster im ersten Stock sind vergittert." Die Klassenräume öffnen sich zum Innenhof des Gebäudegevierts, in dem rund 400 Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 18 Jahren lernen. "Die Eltern zahlen kein Schulgeld." Das ist sonst üblich im Land. "Sie könnten es sich gar nicht leisten."

Auf seinem Tablet-PC zeigt Benner Fotos von den Klassenräumen, vom Gebäude insgesamt, von den Kindern. Allmählich entsteht ein Bild. Der 23-Jährige war unter anderem gekommen, um zu schauen, wie es um die Ausrüstung mit Musikinstrumenten an der Schule steht. "Wir wussten außerdem, dass Musiklehrer fehlen." Er sollte in seinen drei Wochen Aufenthalt schauen, was sich machen lässt.

Benefiz für Aguablanca

Nicolai Benner studiert an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Mathematik und Musik auf Lehramt. Aushilfsweise gibt er Musikunterricht an einer Hochheimer Schule. "Auch dort fehlt es an Musiklehrern." Daneben engagiert er sich bei der Hochschulgruppe Musical Inc., die Jahr für Jahr eine große Musical-Produktion auf dem Gutenberg-Campus auf die Bühne stellt. Überhaupt ist Benner viel unterwegs in Sachen Musik: Er spielt für diverse Kirchengemeinden Orgel und mischt in mehreren Chören mit.

Als Aguablanca e.V. sein 25-jähriges Bestehen feierte, wurde er aufmerksam auf diese Initiative. "Ich wusste eigentlich schon länger davon. Er wurde ja an meiner ehemaligen Schule gegründet." Lehrer des Johanneum Gymnasiums Herborn riefen den Verein im Jahr 1988 ins Leben. Nun entschloss sich der Student, ihn intensiver zu unterstützen.

Im Duo mit Lisa Ebertz gab er kurz vor seiner Reise nach Kolumbien zwei Benefizkonzerte. "Wir singen beide, ich begleite am Klavier. Wir bringen in unseren Konzerten eine Mischung aus Musical und Pop auf die Bühne." Obendrauf packt Benner regelmäßig Nummern des Klavierkabarettisten Bodo Wartke. "Das kann schnell schiefgehen", meint er mit Blick auf diesen vielseitigen und beliebten Künstler, "bisher hat es aber gut geklappt." Insgesamt kamen 1.545 Euro für La Providencia zusammen. "Über das Geld kann die Schule frei verfügen", erklärt Benner. Es heißt also nicht, dass die Mittel unbedingt in Instrumente oder einen Musiklehrer investiert werden müssen.

Konzert wird zum Erfolg

Der Student erlebte in Aguablanca einen strengen, aber lebendigen Schulalltag. "Die Kinder sind sehr musikbegeistert. Viele spielen Gitarre oder Geige, einige sogar Bratsche oder Cello." Die Schulleiterin kam gleich mit einem Projekt auf ihn zu. "Wir sollten ein Konzert in der Partnerschule von La Providencia geben." Die reichere, kleinere Schule Sagrada Familia wird von demselben Orden geleitet. "Ich hatte fünf Tage Zeit, um irgendwas einzustudieren." Die Landessprache war Benner weitgehend fremd. "Zum Glück versteht man sich über die Musik auch ohne Worte." Außerdem waren zwei Freiwillige des Vereins vor Ort, die etwas dolmetschen konnten.

"Ich wusste, dass ich für das Konzert nur 20 Kinder mitnehmen konnte, mehr passten nicht in den Bus, den wir zur Verfügung hatten." Benner trickste etwas und brachte noch ein paar der jungen Musiker als kleines Streichorchester mit.

Der Auftritt wurde zum Erfolg. "Wir dachten, es würden viele aus der reicheren Umgebung von Sagrada Familia kommen, tatsächlich saßen lauter Leute aus Aguablanca im Publikum." 200 Euro kamen dennoch zusammen. "Das ist für diese Menschen eine Riesensumme." Die Begeisterung, die Benner beim Gespräch über diese Zeit vermittelt, schlug ihm in ähnlicher Weise nach dem Konzert entgegen. "Alle wollten ein Foto mit mir, die Eltern, die Schüler ...", erzählt er mit einem noch immer erstaunten Lächeln.

Ein Fall von Fernweh

Benner leidet an einem starken Fall von Fernweh, das ist nur allzu klar nach seinen Erzählungen. Nun allerdings muss er sich erst einmal um seine Bachelorarbeit kümmern. "Ich schreibe über die Wirkung von Musikunterricht auf Lernmethoden, Lernmotivation und die allgemeine Kompetenzen wie Lese- oder Rechenfähigkeit." Das passt.

Im August geht es dann für ein Vierteljahr zurück in die kleine Schule des Armenviertels Aguablanca. Selbstverständlich wird es wieder ein Konzert geben. "Ein ganzes Musical werden wir wohl nicht auf die Beine stellen können." Aber etwas Größeres soll es werden.

Im Moment lernt Benner Spanisch. Er wird sich also nicht nur auf die Sprache der Musik verlassen müssen – auch wenn diese weiterhin im Vordergrund stehen soll bei seiner Arbeit mit den Kindern von La Providencia.