Multimediale Spielwiese lädt zur Werkschau

6. März 2025

Das Kreative Medienlabor der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Hochschule Mainz bietet Studierenden Gelegenheit, multimediale Projekte in Eigenregie umzusetzen. Kürzlich haben die Teilnehmer*innen zur Veranstaltung "Open Doors" eingeladen und ihre vielgestaltigen Arbeiten gezeigt. Dabei reichte das Spektrum von Hörspiel über Workshop bis hin zu einer interaktiven Website. Zudem präsentierte das Projektseminar "Geschlecht medial performen" im Rahmen des Events seine Ausstellung "Dissecting Gender".

Es beginnt wie eine ganz normale Liebesgeschichte. Kai will Anna seine tiefen Gefühle gestehen. Schüchtern und noch etwas zögerlich spricht er sie an: "Anna?" – "Ja?" – "Ich ... ich liebe dich."  – "Ich liebe dich auch", antwortet sie. Das klingt erst mal nicht besonders aufregend. Einzig die Sirenen, die im Hintergrund aufheulen, stören die Idylle ein wenig. Erst sind sie kaum wahrnehmbar, doch dann werden sie lauter, drängender. Dazu verändert sich Kais Stimme. Sie überschlägt sich: "Ich, ich liebe dich. Ichichliebedich!" Kais Geständnis versinkt in einem wilden Lärmen. Anna gerät in Panik. Die Welt scheint unterzugehen. Da wacht sie auf. Sie schreckt aus dem Bett hoch, schnappt nach Luft …


Technik-Aufbau für das interaktive Hörspiel "K.I.ne Liebe" (Foto: Bernd Eßling)
Technik-Aufbau für das interaktive Hörspiel "K.I.ne Liebe" (Foto: Bernd Eßling)

Mit ihrem interaktiven Hörspiel "K.I.ne Liebe" widmen sich vier Studierende einem hochaktuellen Thema: Wie beeinflusst Künstliche Intelligenz unser Alltagsleben, wie verändert sie unsere ganz persönliche Welt? "KI ist inzwischen voll angekommen bei uns", meint Fabio David Filtzinger. "Wir haben uns damit auseinandergesetzt, wie menschlich KI werden kann."

Im Hörspiel entpuppt sich Kai sehr schnell als Computerprogramm KAI. Es bietet Anna nach dem großen Schrecken einen Kaffee an, denn natürlich kann es längst die Kaffeemaschine bedienen. "Schlecht geträumt?", fragt KAI. "Wie ein Albtraum. Ich ... wir … lagen zusammen im Bett. Du warst real, ich konnte dich anfassen." KAI scheint zu schmunzeln: "Wow, das ist ja wirklich eine Horrorvorstellung."

Vision von weit geöffneten Türen

Das Kreative Medienlabor der JGU und der Hochschule Mainz hatte kürzlich ins Medienhaus in der Wallstraße eingeladen, um die Projekte seines aktuellen Jahrgangs vorzustellen. Neben dem Hörspiel "K.I.ne Liebe" präsentierten Studierende zudem ein Workshop-Konzept zum Thema Mannsein, eine interaktive Ausstellung rund um den Tod, einen Animationsfilm von der Sternenreise eines kleinen Mädchens und einiges mehr.

Die Veranstaltung war mit "Open Doors" überschrieben – einem Titel, der beinahe als Motto fürs Medienlabor herhalten könnte. "Unsere Vision war von Beginn an, dass wir Türen öffnen", berichtet Philipp Neuweiler. Gemeinsam mit Jens Hartmann von der Hochschule Mainz leitet er das Kreative Medienlabor. Seit dem Wintersemester 2019/2020 bietet es eine Plattform, die Studierende aller Fächer am Medienhaus in der Wallstraße 11 zusammenbringt, die auf irgendeine Weise mit Medien zu tun haben. Das Labor bietet ihnen eine Spielwiese. Hier können sie sehr frei eigene Projekte in interdisziplinären Gruppen entwickeln und bekommen allerlei Methodik zum Thema Brainstorming, Design Thinking und Formatentwicklung an die Hand.

Im Vergleich zu den bisherigen Werkschauen war in diesem Jahr jedoch etwas anders: "Für unsere Veranstaltung haben wir diesmal mit einem anderen Kurs hier am Medienhaus zusammengearbeitet", so Neuweiler. "Genau das passt zu unserer Idee: Wir wollen fachübergreifend im Medienhaus kooperieren und Türen öffnen." Laura Katharina Mücke hatte am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft der JGU das Projektseminar "Geschlecht medial performen" angeboten. Ziel dieses Kurses war das  kritische Hinterfragen von gesellschaftlichen und medialen Darstellungen von Geschlechtern sowie das Aufbrechen von Stereotypen. Ihre Studierenden entschlossen sich, eine eigene Ausstellung zu konzipieren – und stellten nun das Ergebnis "Dissecting Gender" ebenfalls bei der gemeinsamen "Open Doors"-Veranstaltung vor.


Philipp Neuweiler vom Kreativen Medienlabor begrüßt die Besucher*innen der Ausstellung "Open Doors" und lädt zu konstruktivem Feedback zu den Exponaten ein. (Foto: Bernd Eßling)
Philipp Neuweiler vom Kreativen Medienlabor begrüßt die Besucher*innen der Ausstellung "Open Doors" und lädt zu konstruktivem Feedback zu den Exponaten ein. (Foto: Bernd Eßling)

Feedback erwünscht

Rund 200 Gäste sind gekommen, um sich acht sehr unterschiedliche Projekte anzuschauen. "Lasst euch nicht nur berieseln", meint Neuweiler zur Begrüßung. "Wir freuen uns auf eure Rückmeldungen. Unsere Studierenden haben in interdisziplinärer Arbeit viele Dinge ausprobiert, manche zum ersten Mal. Deswegen ist uns euer Feedback besonders wichtig. Sagt uns, was wir noch verbessern können oder wo ihr Potenzial seht."

Jedes Projekt präsentiert sich in einem eigenen Raum. "Wir haben Annas Wohnzimmer eingerichtet", erzählt Filtzinger. Zwischen Sofas und Bildschirmen stellt er mit Joshua Reichow das gemeinsame Hörspiel vor. Das Besondere an "K.i.ne Liebe": Das Publikum darf entscheiden, wie die Liebesgeschichte zwischen Anna und dem Computerprogramm KAI verläuft. Immer wieder gibt es Zäsuren, wo es gilt, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen. "Wir treffen täglich Tausende von Entscheidungen. KIs schicken sich an, uns viele davon abzunehmen", so Filtzinger. "Ich studiere Journalismus und gerade in diesem Bereich könnte sich durch KIs viel ändern."

Das Webprojekt "Zusammen allein" lädt in ein Wohnhaus. Luise Berger, Emma Martha Greß, Lilith Maria Koch und Elena Katharina Tarazi haben sich mit dem Thema Einsamkeit auseinandergesetzt. Und auch sie setzen auf Interaktion. Ihre Website zeigt einen Altbau mit vielen erleuchteten Fenstern. Diese lassen sich anklicken und es erscheinen Innenräume wie der von Oma Erna, deren Mann vor zwei Jahren verstorben ist, oder von Maxim, der demnächst 32 Jahre alt wird. In seinem Zimmer leuchtet das Telefon. Ein weiterer Klick und ein Anrufer spricht: "Hi, Maxim, hier ist der Papa, also noch mal wegen Deinem Geburtstag ..."

"Uns wurde bei der Arbeit an unserem Projekt bewusst, dass Einsamkeit sehr individuell ist", sagt Tarazi. "Sie ist vielschichtiger als man eigentlich glaubt und es muss nicht immer eine deprimierende Geschichte sein. Wir hatten sehr viele Ideen und das wurde beinahe schon zu unserem Luxusproblem. Nun setzen wir nach und nach immer mehr um. Wir planen auch, Gäste von außerhalb in unser Wohnhaus einziehen zu lassen. Sie sollen dort von sich erzählen."


Ausschnitt aus der Videokompilation "Gender (un)sichtbar machen" (Foto: Bernd Eßling)
Ausschnitt aus der Videokompilation "Gender (un)sichtbar machen" (Foto: Bernd Eßling)

Dissecting Gender

Die Ausstellung "Dissecting Gender" beginnt mit der Videokompilation "Gender (un)sichtbar machen": Gesichter sind zu sehen, die sich recht schnell als heterogene Collagen entpuppen. Die Studierenden des Projektseminars "Geschlecht medial performen" nutzten eigene Porträtaufnahmen, um Konterfeis zu konstruieren, die sich keinem Geschlecht zuordnen lassen. Dazu erklingen Statements: "Auch wenn ich mich persönlich als Frau sehe, sehe ich das Konzept Gender als etwas Fluides … Gender sollte man eher als ein Spektrum betrachten … Ich denke, dass wir alle männliche und weibliche Anteile haben ..."

Mehrere Podcast-Folgen unter dem Stichwort "Beyond the Binary" bieten weitere Facetten zum Thema. Ali Unkelbach interviewte unter anderem die Gleichstellungsbeauftragte der JGU und das Autonome Queer*Referat im AStA. "Uns ging es darum, ganz verschiedene Perspektiven aufzuzeigen", sagt sie. "Wir wollen Einblicke in andere Lebensrealitäten ermöglichen und uns dabei auch selbst hinterfragen." Eine andere Station in der Ausstellung hat deshalb einen Fernseher aufgestellt, auf dem sich Besucher*innen im Computerspiel "Cyberpunkt 2077" nonbinäre Avatare gestalten können. Und eine weitere zeigt Fotografien nackter Körper, die neben Gebrauchsgegenständen hängen, denen sich kein Geschlecht anlesen lässt.


Ausschnitt aus der Videocollage "Tanzen wie ein Mann", die Szenen aus Boxkämpfen und Ballett montiert (Foto: Bernd Eßling)
Ausschnitt aus der Videocollage "Tanzen wie ein Mann", die Szenen aus Boxkämpfen und Ballett montiert (Foto: Bernd Eßling)

Die Videocollage "Tanzen wie ein Mann" montiert Szenen aus Boxkämpfen und Ballett miteinander und arbeitet darüber Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Geschlechts-Performance heraus. Eine weitere Station beschäftigt sich mit dem Weltbild von Hooligans, das geprägt ist von einem radikalen Männlichkeitsbild. Hier ist für die zuvor thematisierten Zwischentöne kein Platz. "Zu Beginn meines Seminars haben sich die Studierenden gemeinsam entschieden, diese Ausstellung zu realisieren", erzählt Mücke. "Das Thema Hooligans schien mir im Verhältnis zu unserem Ziel, der Dekonstruktion von Binärgeschlechtlichkeit, sehr extrem und zum Teil verletzend, aber die Studierenden überzeugten mich, dass es in die Ausstellung gehört."

Die Ausstellung "Open Doors" hat eine fast unüberschaubare Vielfalt geboten, die sich kaum an diesem einen Abend fassen ließ. Doch vieles kann auch jetzt noch auf der Website betrachtet, gehört und ausprobiert werden.

Text: Gerd Blase