3. September 2014
Mit Prof. Dr. Claus Arnold hat die Katholisch-Theologische Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) einen Fachmann für ein in Deutschland nicht allzu bekanntes Gebiet gewinnen können. Der Theologe beschäftigt sich neben anderen Themen vor allem mit dem Modernismusstreit in der katholischen Kirche um 1900.
Die katholische Kirche befand sich um 1900 in einer tiefen Krise. Die Jünger des Modernismus hatten zum Angriff auf ihre Grundfesten geblasen. Sie wollten die Heilige Schrift nicht mehr als historischen Tatsachenbericht, nicht mehr als wortwörtlich zu nehmende göttliche Offenbarung verstehen. Sie forderten mehr Partizipation der Laien und sie hinterfragten die überkommene Hierarchie. Papst Pius X. sah die Kirche am Abgrund, er glaubte an eine Verschwörung ungeheuerlichen Ausmaßes. Er musste hart durchgreifen.
Prof. Dr. Claus Arnold sieht das alles entschieden differenzierter. Die Modernismuskrise ist eines seiner Spezialgebiete. "Das war gar keine geschlossene Gruppe, die damals moderne Gedanken in die Kirche bringen wollte. Aber dadurch, dass der Papst den Modernismus zur Häresie erklärte, trug er zu einer Polarisierung bei." Auch in der Kurie selbst stand kein einheitlicher Block gegen die Modernisten, die Pius X. eigentlich erst durch seine Enzyklika "Pascendi dominici gregis" als Gruppe definierte. "Es gab viele Strömungen", erklärt der Theologe. Er spürt ihnen nach.
Lamentabili sane exitu
Zum Sommersemester 2014 ist Arnold als Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte und Religiöse Volkskunde an die Katholisch-Theologische Fakultät der JGU berufen worden. Sein Büro wirkt noch recht kahl. "Ich habe erst einmal nur das Nötigste mitgenommen", erzählt er.
Zehn Jahre war Arnold Professor für Kirchengeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studiert hat er in Tübingen und im britischen Oxford. Neben der Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt er sich mit der Kirchen- und Theologiegeschichte des 16. Jahrhunderts, mit der Bildungs- und Universitätsgeschichte, der Historie der Römischen Kurie und der Kirchlichen Landesgeschichte. "Jetzt werde ich mich natürlich auch verstärkt um die Geschichte des Bistums Mainz kümmern", meint Arnold. Schließlich ist er jetzt unter anderem auch Leiter des Instituts für Mainzer Kirchengeschichte.
Doch erst einmal richtet er den Blick auf jene Modernismuskrise um 1900. Unter dem "Nötigsten", das er aus Frankfurt mitgebracht hat, findet sich ein dicker Band mit dem Titel "Lamentabili sane exitu (1907). Les documents préparatoires du Saint Office". Das Dekret "Lamentabili" der römischen Inquisition war gewissermaßen der Vorgänger der Enzyklika, mit der Papst Pius X. die Gruppe der Modernisten zugleich definierte und verdammte.
Thema in der Tagespresse
"Mit der Öffnung der Archive der Kongregation für die Glaubenslehre haben wir Zugang zu Dokumenten bekommen, die uns viel über die Vorgänge sagen, die zu dem Dekret führten." Zusammen mit seinem italienischen Kollegen Giacomo Losito hat Arnold diese Quellen vier Jahre lang erforscht und dann den Band veröffentlicht, den er nun präsentiert.
"In Italien und Frankreich hat unser Buch viel Aufsehen erregt, da war es sogar Thema in der Tagespresse." In diesen beiden katholisch geprägten Ländern sei der Streit um Modernismus oder Antimodernismus noch viel gegenwärtiger. "Je nachdem, welche Position Sie dazu beziehen, werden Sie einem bestimmten politischen Lager zugeordnet." In Deutschland mit seiner religiösen Gemengelage sei das völlig anders.
Ruhig und überlegt erzählt Arnold von einem hitzigen Streit. Wenn ein Vorgang eine differenzierte Beschreibung erfordert, schließt er schon mal die Augen beim wohl bedachten Formulieren ...
Theologen wie der Würzburger Herman Schell, der Franzose Alfred Loisy und der Ire George Tyrrell versuchten Ende des 19. Jahrhunderts jeder auf seine Weise, die katholische Kirche mit modernen Geistes- und Forschungsströmungen zu versöhnen. Das sah vor allem Papst Pius X. mit Sorge. Er gab ein Dekret in Auftrag, das jene neuen Gedankengebäude und ihre geistigen Väter verurteilen sollte.
Der Papst wird deutlich
Es gab nur ein Problem: Die Vertreter der Römischen Kurie bildeten mitnichten einen geschlossenen konservativen Block. Mit seinen Forschungen zeichnet Arnold das Ringen um Positionen nach. Manch Geistlicher milderte die Verurteilung der sogenannten Modernisten deutlich ab. So wurde "Lamentabili" nicht das deutliche Dekret, das sich Pius X. gewünscht hatte.
Deswegen schob der Papst seine entschieden radikalere Enzyklika "Pascendi dominici gregis" nach. Zudem verlangte er in der Folge von jedem Geistlichen einen Anitmodernisteneid. "In Italien und Frankreich hatte das große Wirkung." Andernorts gingen die katholischen Repräsentanten das Thema entschieden entspannter an. "Die Deutschen Bischöfe meinten: Ganz schlimm, das mit dem Modernismus. Aber das gibt es bei uns gar nicht."
Im vorigen Jahr hat Arnold für ein Projekt Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben, das er jetzt mit nach Mainz bringt. "Nach der Öffnung der Archive können wir Einblick gewinnen, wie Bischöfe auf der ganzen Welt mit den römischen Vorgaben umgingen."
Mit dem Ersten Weltkrieg verlor der Modernismusstreit an Brisanz, aber seine Folgen blieben bis zum II. Vatikanischen Konzil in den 1960er-Jahren spürbar. Der anhaltende Modernisierungsstau erinnert an das, was Kritiker heute der katholischen Kirche immer mal wieder vorhalten. "Es ging damals aber um rein theologische Fragen", differenziert Arnold. Mit ihm sind vorschnelle Vergleiche nicht zu machen.
Briefe aus dem Krieg
Auch wenn ihn das Thema begeistert, kann der Theologieprofessor durchaus weit über den Tellerrand der Modernismuskrise hinausschauen. Das wird deutlich im weiteren Gespräch. Er streift die Frömmigkeitsformen vom Spätmittelalter bis heute, die Partizipation der Frauen in der Kirche ebenso wie die große Befragung der deutschen Katholiken anlässlich der Würzburger Synode 1975.
Und dann ist er wieder ganz in Mainz: Da sich der Beginn des Ersten Weltkriegs 2014 zum hundertsten Mal jährt, will er einen regionalhistorischen Beitrag anstoßen. "Im Priesterseminar haben wir viele Briefe vorliegen von Alumnen, die ins Feld gezogen sind." Schon bei der ersten Sichtung hat der Theologe Charakteristisches ausgemacht, nämlich dass die sonst grassierende Begeisterung für den "Vaterländischen Krieg“ kaum auftaucht. "Mainz als Bistum war doch weniger nationalisiert als andere", stellt er fest. "Das schlägt sich in den Briefen nieder. Dort wird das Schlimme des Krieges in den Vordergrund gestellt. Die Mainzer Priesterkandidaten wollten vor allem nach Hause."
Arnold schaut auf die Uhr. "Schon so spät!", stellt er erstaunt fest. "Entschuldigen Sie, ich muss los. Ich muss meinen Studierenden noch einiges erzählen vor der Prüfung." Der Professor ist nach vier Monaten längst angekommen im neuen Amt.