Plädoyer für eine Digitalisierung mit Verstand

12. Dezember 2016

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster ist Inhaber der 18. Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur. Der international hoch angesehene Informatiker wird im Sommersemester 2017 in seiner Veranstaltungsreihe über "Künstliche Intelligenz für den Menschen: Digitalisierung mit Verstand" sprechen. Bei seiner Vorstellung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) bot der Saarbrücker Professor einen Einblick, welche Schwerpunkte er bei diesem komplexen und hoch brisanten Thema setzen wird.

Die Digitalisierung ist längst im Alltag angekommen. "Die erste Welle kam vor zehn, fünfzehn Jahren", meint Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster. "Sie hat ihre Wirkung inzwischen voll entfaltet. Alles ist heute digital. Man speichert Daten kaum mehr analog. Sie werden digital bearbeitet und in andere Sprachen übertragen. Das ist normal, das kann heute jeder von uns von zu Hause aus." Für den Informatiker ist das also Schnee von gestern.

Nun rollt die zweite Welle an. "Sie ist viel interessanter: Es geht darum, Inhalte nicht nur maschinenlesbar, sondern auch maschinenverständlich zu machen." Die Computer sollen verstehen, worum es geht. "Wir wollen keine Suchmaschine, sondern eine Antwortmaschine. Wenn ich eine Frage stelle, will ich keine Liste von Publikationen zu einem Thema, ich will direkt eine Antwort."

Software kann bereits Texte und sogar Bilder interpretieren. Hier kommt Wahlster direkt auf seine Arbeit zu sprechen. Er skizziert die Möglichkeiten, die sich ergeben: "Wir haben am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz eine Software entwickelt, die automatisch kinderpornografische Inhalte findet." Das erleichtere der deutschen Polizei die Fahndung. "Demnächst soll die Software auch europaweit eingesetzt werden."

Megatrend mit Chancen und Risiken

Selten beschäftigte sich die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur mit einem so brisanten und viel diskutierten Thema, das die Menschen zudem auf so breiter Front betrifft. "Digitalisierung ist ein Megatrend", bekräftigt Peter Radermacher, der Vorsitzende der Freunde der Universität Mainz e.V., bei einer ersten Vorstellung Wahlsters an der JGU. "Sie hat eine enorm hohe Dynamik, die viele Menschen überfordert. Es ist ein Trend, der Chancen bietet, aber auch Risiken birgt."

Im Jahr 2000 wurde die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur von dem Verein "Freunde der Universität Mainz e.V." ins Leben gerufen. Im Rahmen der Stiftungsprofessur sollen bedeutende Wissenschaftler und prominente Persönlichkeiten an die JGU eingeladen werden, die sich zu wichtigen Themen äußern und den neuesten Stand der Forschung verständlich vermitteln. Auf der Liste der Stiftungsprofessoren finden sich unter anderem der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Hölldobler und der Astrophysiker Prof. Dr. Christof Wetterich.

Zuletzt sprach der Biopsychologe Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Onur Güntürkun in einer zehnteiligen Vortragsreihe über "Psychologie und Gehirn: Zur Innenansicht des Menschen". Der größte Hörsaal der JGU reichte nicht aus, um die Zuhörerinnen und Zuhörer zu fassen. 2017 folgt Wahlster mit seiner Reihe "Künstliche Intelligenz für den Menschen: Digitalisierung mit Verstand".

"Das ist eine wunderbare Fortsetzung von dem, was wir diesen Sommer erlebt haben", meint JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch. "Nachdem wir etwas über das Gehirn gelernt haben, erfahren wir nun, was wir dem Gehirn abschauen können."

Der ideale Stiftungsprofessor

Radermacher sieht in Wahlster den "idealen Stiftungsprofessor", denn schließlich gehört der Informatiker mit einem Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz an der Universität des Saarlandes zu den wichtigsten und einflussreichsten Kapazitäten seines Faches. Mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) leitet er die weltweit größte Forschungseinrichtung auf diesem Gebiet. Wahlster war außerdem Präsident des Weltverbands für Künstliche Intelligenz, wurde in die Hall of Fame der größten IT-Persönlichkeiten aufgenommen und ist Mitglied der Königlich Schwedischen Nobelpreisakademie.

"Nach Schweden war die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur die zweite, die mich aufnahm", erzählt Wahlster. Er kennt also Mainz, er war auch schon auf dem Campus zu Gast – allerdings nicht mit so einer umfangreichen und aufwändigen Vortragsreihe.

Unter anderem wird sich Wahlster im kommenden Sommer einem Paradoxon widmen: "Was uns Menschen schwierig erscheint, ist für die Künstliche Intelligenz einfach, und das, was uns einfach erscheint, hat sich für die Künstliche Intelligenz als sehr schwierig erwiesen." In Sachen kognitiver Intelligenz sind die Computersysteme bereits sehr weit entwickelt. Sie haben Schach- und Go-Weltmeister geschlagen. "In gewissen kognitiven Bereichen gibt es also schon jetzt eine Überlegenheit."

Mehr Vorteile als Nachteile

Wenn es jedoch darum gehe, sich einfach nur durch eine Menschenmenge hindurchzuschlängeln ohne anzustoßen, sei der Mensch eindeutig vorn. "Ich habe schon in der Schule damit begonnen, mich mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen", erzählt Wahlster. "Mein Respekt vor der menschlichen Intelligenz ist seitdem ständig angestiegen." Denn nicht nur in der Sensomotorik sei der Mensch eindeutig überlegen, auch im Bereich der emotionalen und der sozialen Intelligenz liege er bislang weit vorn.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Technik interessiert Wahlster in vielfacher Hinsicht. So berät er die Bundesregierung beispielsweise bei Zukunftsprojekten wie "Industrie 4.0", in denen der Kommunikation mit der künstlichen Intelligenz eine noch größere Aufgabe zukommt. Das wird den Arbeitsplatz von morgen prägen. "Bisher mussten wir uns in der Kommunikation immer der Technik anpassen. In Zukunft wird sich der Computer dem Menschen anpassen", skizziert der Informatiker.

Wahlster will die Risiken solcher Entwicklungen in seiner Vorlesungsreihe nicht unter den Tisch kehren. Er wird sich mit einer ganzen Reihe von ethischen, philosophischen, juristischen und sozialen Fragen beschäftigen. "Ich möchte aber vor allem die Chancen rüberbringen", betont der Gutenberg-Stiftungsprofessor des Jahres 2017. "Denn ich persönlich denke, dass es mehr Vorteile als Nachteile gibt."