Propheten und Heilige, Dias und Festungsziegel

16. Dezember 2019

Die Kunstgeschichtlichen Sammlungen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) sind auf dem Campus präsent: Im Georg Forster-Gebäude lassen sich nicht nur Kopien von byzantinischen Mosaiken und bedeutenden Skulpturen, sondern auch Originalkunstwerke bewundern. Doch es gibt entschieden mehr zu entdecken: Dr. Klaus T. Weber, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, stellt eine Auswahl an Objekten vor.

Byzantinische Mosaiken setzen im Lichthof des Georg-Forster-Gebäudes Akzente: Kaiser Justinian I. und seine Gattin Theodora schauen auf die durchs Foyer wuselnden Studierenden hinab, zwischen ihnen Maximinianus, der Erzbischof von Ravenna. Christus posiert als Hirte im prächtigen Goldgewand und eine Heilige mit Märtyrerkranz schaut in die Weite. Etwas schlichter, dafür jedoch entschieden lebendiger wirken die beiden kleineren Ausschnitte eines sizilianischen Bodenmosaiks aus dem 4. Jahrhundert: Ein Mädchen in einer Art Bikini-Oberteil und ein mit dem Becher prostender Diener spiegeln Alltagsszenen. Die insgesamt zwölf Mosaiken gehören zum deutlich sichtbaren Teil der Kunstgeschichtlichen Sammlungen des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der JGU, die Weber seit Jahren betreut.

Michelangelo und Emy Roeder

Selbstverständlich handelt es sich nicht um Originale, doch immerhin sind es hochwertige Replikate, angefertigt in eigens darauf spezialisierten italienischen Werkstätten. Institutsdirektor Prof. Dr. Friedrich Gerke schaffte sie um 1960 an. Damals schon sollten sie einen Neubau schmücken: Gerade war das Gebäude für das Kunstgeschichtliche Institut in der Binger Straße 26 fertig gestellt worden. "Gerke war Theologe und Kunsthistoriker, er interessierte sich besonders für den byzantinischen Kontext", erklärt Weber.

Kaum eine andere Sammlung der JGU ist dauerhaft derart präsent im täglichen Universitätsleben: Das war besonders in der Binger Straße so – dort gab es sogar Platz für eigene Ausstellungen – und das ist bis zu einem gewissen Grad im Georg Forster-Gebäude so geblieben. Weber führt vom Foyer in die Bereichsbibliothek nebenan: Ein Abguss von Michelangelos Moses hat hier eine Bleibe gefunden. Die mächtige Gestalt thront auf einem Sockel im Zentrum über den Bücherregalen. "Er ist beinahe schon zu einem Signet dieser Bibliothek geworden", meint Weber.

Der Moses ist Teil der Abguss-Sammlung des ehemaligen Mainzer Bürgervereins für plastische Kunst, der seit 1871 Kopien berühmter Skulpturen zusammentrug. Die Werke wurden im Kurfürstlichen Schloss, in der Mainzer Stadtbibliothek und im Haus am Dom gezeigt. Im Zweiten Weltkrieg litt die Figurengalerie stark. Ihre Reste erhielten die Institute für Kunstgeschichte und für Klassische Archäologie der 1946 gerade wiedereröffneten JGU. "Dieser Abguss sieht zwar sehr massiv aus, ist aber tatsächlich ziemlich dünnwandig", erzählt Weber. "Vor einigen Jahren schlug ein Student bei einer Feier eine Flasche aufs Knie des Propheten. Die Flasche blieb heil, das Knie nicht. Für die Neuaufstellung konnten wir die Figur glücklicherweise restaurieren lassen."

Weiter geht es in den ersten Stock vor den Flur des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft. Hier hängt der Phönix der Bildhauerin Emy Roeder: Ehemals schmückte er den Eingang des Gebäudes in der Binger Straße. Von den Nationalsozialisten waren die Werke der Künstlerin nicht gern gesehen, ihre "Schwangere" wurde in der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt. Nach dem Krieg unterrichtete sie in Mainz an der Landeskunstschule, dem Vorläufer der Kunsthochschule. "Gerke verstand sich gut mit ihr. Er bat sie, den Phönix für unser Institut zu schaffen", erläutert Weber das Zustandekommen der Skulptur.

Eine Million Bilder

Nur ein kleiner Teil der bereits 1946 von Gerke begründeten Kunstgeschichtlichen Sammlungen ist öffentlich ausgestellt. Den Flur herunter öffnet Weber die Tür zu einer Kammer, die mit Abgüssen, Originalkunstwerken und vielem mehr vollgepackt ist. "Unter dem alten Rewi-Gebäude steht uns ein weiterer Raum zur Verfügung", erzählt der Kunsthistoriker. Doch auch dort kann er nicht gut zeigen, was die Sammlungen ausmacht. Deswegen hat er ein paar Schritte weiter im Konferenzraum eine Auswahl an Stücken zurechtgelegt, die eine Ahnung von der ungeheuren Vielfalt des Bestands vermitteln.

Rund eine Million Dias, Negative, Fotos und Postkarten sind hier durch einige großformatige Glasdias und hölzerne Rahmen repräsentiert. Eines hält Weber ans Licht: "Es stammt aus einer Zeit, als Farbfotos noch nicht üblich waren. Jedes Exemplar ist handkoloriert." Einst wurden Lehrveranstaltungen und wissenschaftliche Arbeiten mit solchem Material bebildert. Das hat sich im digitalen Zeitalter deutlich geändert. "Diesen Wandel können wir mit unseren Exponaten hervorragend dokumentieren." Weber weist auf eine Vitrine: "Auch einige der alten Projektoren haben wir aufgehoben."

An der Wand stehen Kopien lebensgroßer Stifterfiguren aus dem Naumburger Dom, davor auf dem Tisch liegt der Abguss eines kleinen Prophetenkopfs aus der Kathedrale von Reims. "Heute gibt es das Original nicht mehr, es wurde von deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg zerstört." Ein flacher Ziegel aus einer Mauer der Festung Koblenz wirkt daneben alles andere als eindrucksvoll. "Die Preußen hatten dieses Baumaterial eben erst im Mittelrheingebiet eingeführt." Der Umgang mit den in der Region unbekannten Baumaterial bereitete offensichtlich Probleme. Weber hält ein solideres Exemplar aus der Festung Torgau daneben. "So muss es aussehen, wenn man weiß, wie es geht."

Eine Grafik von Johann Georg Müller zeigt ein chaotisches Getümmel an Figuren. "Wir verfügen auch über rund 600 Originalwerke von Künstlerinnen und Künstlern, darunter auch von einigen aus der Region", meint Weber dazu. "Ende der 1940er-Jahre hat Müller in diesem Holzschnitt sein Kriegstrauma umgesetzt. Solche Motive sind eine Rarität in jener Zeit."

Raritäten und Rätselhaftes

Aus dem Nachlass des Kunsthistorikers Dr. Franz Theodor Klingelschmitt stammt ein kleines graues Notizbuch. "Es gehörte Prof. Dr. Wilhelm Lotz. Er war eigentlich promovierter Chemiker, studierte aber später Architektur und erstellte unter anderem ein erstes Inventarbuch zur Architektur des Rheingaus noch ohne Abbildungen." Weber blättert in dem Notizbuch. "Es enthält Zeichnungen von Burganlagen, von Säulen und Kapitellen, aber auch Grundrisse, die sonst nirgends zu finden sind."

Fotomappen und alte Werbeplakate, eine Büste, die Eisenfassung alter Kirchenglasfenster, Pläne für den Neubau des Kunstgeschichtlichen Instituts von 1960: Selbst diese kleine Auswahl im Konferenzraum ist in ihrer Vielfalt kaum zu fassen. "Vieles davon nutzen wir in der Lehre, einiges bietet Material für Abschlussarbeiten und manches bleibt rätselhaft", meint Weber mit einem Blick auf ein großformatiges Aquarell: "Es ist weder datiert noch signiert."

In den letzten Jahren rückten die Kunsthistorischen Sammlungen wieder mehr in den Blick der Verantwortlichen. Unter anderem beschäftigt sich Prof. Dr. Elisabeth Oy-Marra mit diversen Einzelaspekten wie jüngst in dem vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste geförderten Projekt "Die Provenienz des Mainzer Buchbestandes aus der Kunsthistorischen Forschungsstätte Paris (1942-44)". "Das ist eine schöne Entwicklung", sagt Weber. Er selbst ist nicht nur als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft tätig, er leitet zudem das Servicezentrum Digitalisierung und Fotodokumentation der Universitätsbibliothek Mainz (UB). Auch dort hat er mit Sammlungen zu tun. "Wir digitalisieren Forschungsmaterial, zum Beispiel alte Dias inklusive der Rahmen, auf denen verschiedenste Metadaten verzeichnet sind."