Rechte Töne dringen in neue Musikgenres vor

12. Juni 2012

Der Rumpelrock der 1980er ist passé. Rechte Musik erobert mittlerweile die verschiedensten musikalischen Genres. Diese Entwicklung beobachtet Dr. Thorsten Hindrichs vom Musikwissenschaftlichen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit Sorge. Er mahnt eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf breiter Basis an.

In Dr. Thorsten Hindrichs' mit Akten vollgepacktem Büro ist es stickig. Die Sommersonne heizt den Raum tüchtig ein. "Lassen Sie uns draußen reden", schlägt der Musikwissenschaftler vor, "an der frischen Luft." Also geht es hinunter in den Innenhof des Philosophicums. Rechte Musik soll das düstere Thema an diesem schönen Nachmittag sein.

Jeder glaubt zu wissen, worum es geht: um rechte Schreihälse, die zu aggressiven Klängen Nationalismus, Rassismus und Gewalt predigen. Rechte Musik, das sind schlecht gereimte Texte mit üblen Inhalten, serviert auf einem Klangteppich von unterirdischer Qualität – oder?

Die Musikszene differenziert sich

"Das ist ja gerade das Fatale", erklärt Hindrichs. "Die Qualität dieser Musik kann inzwischen sehr gut sein. Auch das Genrespektrum hat sich deutlich erweitert. Das Klischee, das man im Kopf hat, haben die Ärzte mit ihrem Song 'Schrei nach Liebe' ganz gut getroffen. Das war dieser Rumpelrock der 1980er Jahre. Ein Beispiel dafür ist die Band Skrewdriver mit Verbindung zur Blood-and-Honour-Bewegung. Aber Ende der 1990er hat sich die Szene differenziert."

"Der erste Strang ist die Liedermacherbewegung." Volksliedhaftes zur Gitarre am Lagerfeuer, das passe gut zu rechtsextremen Strömungen, zu Ritualen wie der Sonnenwendfeier, die auch im Dritten Reich gepflegt wurden. Frank Rennicke ist so ein rechter Liedermacher. "Er nennt sich selbst Verseschmied", erzählt Hindrichs. "Er schmiedet tatsächlich: Wenn das Versmaß nicht passt, wird mit dem Hammer draufgedengelt." Der Musikwissenschaftler zitiert ein kleines Beispiel: "Gutenbergs Druck / das Wissen zu den Völkern hinaustrug." Sein lakonisches Urteil: "Das tut weh."

Aus Rap wird Sprechgesang

Hindrichs kommt schnell zum zweiten Strang, der ihn entschieden mehr beschäftigt. Hier eignen sich die Rechten neue Genres der Populärmusik an. "Seit der Jahrtausendwende gibt es in der Szene so etwas wie eine Jugendbewegung, die Abstand zu den rechten Parteien hält. Und die Autonomen Nationalisten deuten die Codes und Symbole der Antifa für ihr Lager um." Da sei schon mal das Palästinensertuch bei rechten Demonstrationen zu sehen und selbst die englische Sprache sei nicht mehr tabu.

Parallel dazu entdeckten rechte Musiker Genres, mit denen die Altnazis so ihre Probleme haben, darunter der Rap, die verhasste "Negermusik". Die Anführungszeichen will Hindrichs groß geschrieben wissen bei diesem Begriff, das betont er. Vom "Nationalen Sprechgesang" sei nun die Rede, wenn die Rechte rappt. Das Projekt "Sprachgesang zum Untergang" ist da nur ein Beispiel.

Lied vom Döner-Killer

Eine andere Strömung rechter Musik sorgt derzeit für Schlagzeilen: Daniel Giese begann vor einigen Jahren, mit seinen Zillertaler Türkenjägern Schlager und Evergreens im Stile Guildo Horns zu veralbern. Dann gründete er die Band Gigi & die Braunen Stadtmusikanten, brachte 2010 die CD "Adolf Hitler lebt!" heraus und sang darauf das Lied vom Döner-Killer: "Neun Mal hat er bisher brutal gekillt, / doch die Lust am Töten ist noch nicht gestillt. / Profiler rechnen mit dem nächsten Mord. / Die Frage ist nur: wann und in welchem Ort."

Angesichts dieser Zeilen sagt Hindrichs zur erst kürzlich aufgedeckten Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU): "Das alle überrascht waren, hat mich überrascht." Ordnungskräfte wollten nichts gewusst haben, Politiker schienen ahnungslos.

Gefährliche Grauzone

Eigentlich dürfte die Identifizierung solch eindeutiger Nazi-Töne gar kein Problem sein, meint Hindrichs. Was ihn mehr umtreibt, ist die Grauzone, die sich mit der Differenzierung der rechten Musik gebildet hat und die keine Schlagzeilen macht. "Das sind Bewegungen, die zum Teil auch faschistoide Ästhetik übernehmen wie etwa die Dark-Wave-Szene." Er nennt auch die Binger Band Von Thronstahl. "Die spielt mit faschistoid aufgeladener Ästhetik." Und noch ein Beispiel: "Dee Ex, eine Rapperin aus Berlin, sie redet von einem 'gesunden Patriotismus'."

Die rechte Szene finde viele Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft, seien es nun Hooligans oder irgendwelche esoterischen Strömungen. Und die Protagonisten dieser Szene fallen längst nicht mehr durch ihr Äußeres auf. "Die Diversifizierung macht es gefährlich, man erkennt zumindest optisch nicht mehr, wie sich die Grauzone ausweitet."

Unerkannte Neonazis

Hindrichs schaut zu den Studierenden im sonnendurchfluteten Innenhof des Philosophicums hinüber. "Den meisten neuen Neonazis ist nicht anzusehen, dass sie Nazis sind. Die jungen Leute, die hier im Philosophicum unterwegs sind, könnten auch in der rechten Szene unterwegs sein."

Eine Auseinandersetzung auf breiter Front wäre nötig. "Die Rechten sind Teil unserer Gesellschaft", so der Musikwissenschaftler. "'Nazis raus' hilft da nichts, wohin sollen sie denn?" Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, darum gehe es. "Aber dafür brauchen wir einen langen Atem."

Hindrichs wirft noch einen letzten Blick auf den sonnigen Innenhof und auf die Studierenden, die in der Sonne ihre Pause genießen. Dann verabschiedet er sich. Es geht zurück ins Büro zu den Akten.