Unterstützung für ukrainische Forschende

19. September 2023

Zahlreiche ukrainische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben wegen des russischen Angriffskriegs ihre Heimat verlassen. Viele wurden als Gäste an deutschen Universitäten und Hochschulen aufgenommen. Auch in verschiedenen Fachbereichen der JGU sind Forschende aus der Ukraine tätig. Wir stellen vier von ihnen vor.

 

Die Turkologin

"Es ist nicht nur eine tolle Chance, es ist eine große Ehre für mich, hier in Mainz zu sein", sagt Dr. Oksana Tyshchenko-Monastyrska. Seit September 2022 forscht die Linguistin im Bereich Turkologie am ISTziB, dem Institut für Slavistik, Turkologie und zirkumbaltische Sprachen der JGU. Hier habe sie eine "außergewöhnliche akademische Umgebung" vorgefunden, schwärmt die Wissenschaftlerin.

Zu verdanken hat sie das im Wesentlichen Prof. Dr. Julian Rentzsch. Bereits einige Jahre zuvor hatte Tyshchenko-Monastyrska beruflich Kontakt zu dem Mainzer Turkologen. Nach Kriegsbeginn im Februar 2022 meldete er sich bei ihr und schlug ihr vor, sich für ein Stipendium der Philipp Schwartz-Initiative zu bewerben. Mithilfe dieses von der Alexander von Humboldt-Stiftung und dem Auswärtigen Amt aufgesetzten Programms können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihren Herkunftsländern erheblich gefährdet sind, ihre Arbeit an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen fortsetzen.

Dr. Oksana Tyshchenko-Monastyrska und Prof. Dr. Julian Rentzsch (Foto: Stefan F. Sämmer)
Dr. Oksana Tyshchenko-Monastyrska und Prof. Dr. Julian Rentzsch (Foto: Stefan F. Sämmer)

Tyshchenko-Monastyrska ist Expertin für Turksprachen der Ukraine. Im Rahmen ihres aktuellen Forschungsprojekts befasst sie sich mit Grammatik und Satzbau eines historischen Manuskripts, das in Krimtschak verfasst wurde, einer Sprache, die heute fast ausgestorben ist. Kurz nach Kriegsbeginn floh sie mit ihren beiden Söhnen im Alter von sieben und neun Jahren nach Polen. Ihr Mann blieb in Kiew zurück. Seitdem ist die Familie getrennt. In Polen wartete die Sprachwissenschaftlerin auf die Entscheidung der Philipp Schwartz-Initiative. Die erhoffte Zusage kam im August 2022. "Dann haben wir sehr schnell unsere Sachen gepackt und sind nach Mainz gekommen", erzählt Tyshchenko-Monastyrska.

Zunächst kamen sie und ihre Kinder für einige Wochen im Gästehaus auf dem Gutenberg-Campus unter. "Ich war überrascht, wie viele Menschen hier an der Uni bereit waren zu helfen", erinnert sie sich. Das International Office habe sie bei den ersten Schritten unterstützt, von der Suche nach einer Unterkunft über die behördliche Registrierung bis hin zu wichtigen Kontaktadressen. Auch Rentzsch, ihr Mentor an der JGU, sei ihr in vielerlei Hinsicht eine große Hilfe gewesen.

"Ich bin froh, dass ich mich in diesen schweren Zeiten trotz des Kriegs auf meine Arbeit konzentrieren kann", sagt Dr. Oksana Tyshchenko-Monastyrska. Im nächsten Wintersemester bietet die Linguistin ein Seminar zu Turksprachen der Ukraine an. "Das ist ein völlig neues Thema, das bisher noch niemand unterrichtet hat", erklärt sie. "Wenn ich wieder nach Kiew zurückkehre, möchte ich die Lehrveranstaltung auch dort halten." Von den Kontakten und Erfahrungen, die sie hier sammle, da ist sich Tyshchenko-Monastyrska sicher, werde sie dann maßgeblich profitieren.

 

Der Physiker

Auch Prof. Dr. Oleksiy Kolezhuk ist Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative. Wie Tyshchenko-Monastyrska ist der Physiker nicht zufällig in Mainz. Der Kontakt kam über eine Mainzer Physik-Kollegin, Prof. Dr. Olena Gomonay, zustande, eine ehemalige Kollegin aus der Ukraine, die bereits seit einigen Jahren an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz arbeitet. Als Russland Ende Februar 2022 die Ukraine überfiel, war Kolezhuk mit seiner Frau in den USA. Die beiden kehrten nicht wie geplant im März nach Kiew zurück, sondern gingen nach Bayern. Seine Frau, ebenfalls Physikerin, hatte zwischenzeitlich eine Einladung der Universität Regensburg erhalten. Im Juli 2022, nachdem die Zusage für das Stipendium der Philipp Schwartz-Initiative vorlag, folgte der Umzug nach Mainz.

Prof. Dr. Oleksiy Kolezhuk und Prof. Dr. Olena Gomonay (Foto: Peter Pulkowski)
Prof. Dr. Oleksiy Kolezhuk und Prof. Dr. Olena Gomonay (Foto: Peter Pulkowski)

Im Laufe seiner Wissenschaftskarriere war Kolezhuk schon zuvor wiederholt in Deutschland, unter anderem in Hannover, wo er vor etwa 20 Jahren habilitierte. "Weil ich das deutsche System recht gut kannte, brauchten wir keine weitere Hilfe, als wir hier ankamen", erzählt er. Seit gut einem Jahr forscht er nun an der JGU am Institut für Physik in der Gruppe von Prof. Dr. Jairo Sinova im Bereich Spintronik. Da die Forschungsgruppe international einen ausgezeichneten Ruf habe, hoffe er, dass sich daraus auch eine langfristige Zusammenarbeit ergebe.

Konkret denkt er an ein Austauschprogramm für Studierende der JGU, der Nationalen Taras Shevchenko-Universität Kiew und dem Kiewer Institut für Magnetismus. "Die Physik des Magnetismus ist in Kiew traditionell gut vertreten, sodass bekannte ukrainische Forscherinnen und Forscher einbezogen werden könnten", sagt Kolezhuk, der im Nationalen Rat der Ukraine für die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie den Wissenschaftlichen Ausschuss leitet. Damit zählt der Physiker zu den wichtigsten Beratern der ukrainischen Regierung, wenn es um den Wiederaufbau der Forschungslandschaft nach dem Krieg geht.

Das Abwandern von Forschungstalenten ins Ausland oder in andere Tätigkeitsfelder, so Kolezhuk, habe dramatische Folgen für die Ukraine: "Es wird sehr lange dauern, das verlorene Humankapital zu ersetzen. Das ist eine Generationenaufgabe." Daher sei es besonders wichtig, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Ukraine zu unterstützen und Netzwerke koordiniert zu stärken, betont Kolezhuk. "Zum Beispiel wäre es von großem Nutzen, wenn ukrainische Studierende an gemeinsamen Projekten teilnehmen könnten."

 

Der Germanist

"Ich habe mich immer als ukrainischer Germanist gefühlt", sagt Dr. Eduard Isayev. Ihm ist es wichtig, das zu betonen. Isayev stammt aus der Region Cherson, aber seine Heimatuniversität ist in Simferopol auf der Halbinsel Krim. Dort studierte er in den 1990er-Jahren Deutsche Sprache und Literatur und leitete später unter anderem den Lehrstuhl für griechische Philologie. "Die Krim ist plurikulturell. Unterschiedliche Völker haben dort ihre Spuren hinterlassen, zum Beispiel die Goten, die Ostgermanen, die Griechen. Die Krim ist die Heimathalbinsel der Krimtataren", erläutert Isayev. Das habe ihn als Mensch und Wissenschaftler geprägt. Sein aktuelles wissenschaftliches Interesse gilt folgerichtig der kulturellen Identität der Ukrainerinnen und Ukrainer und den Faktoren, die diese Identität beeinflussen. Der Antrag für ein entsprechendes Forschungsstipendium läuft.

Seit März 2022 sind Isayev und seine Frau in Mainz – eine naheliegende Entscheidung: Ihr Sohn studiert an der JGU und wandte sich kurz nach Kriegsbeginn ans International Office. Noch am selben Tag bekam er Antwort und eine Liste von Kontakten, darunter auch ein passendes Wohnungsangebot: Die Leiterin des NaT-Lab für Schülerinnen und Schüler an der JGU, Dr. Christa Welschof, und ihr Mann nahmen die Isayevs bei sich auf. "Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und Hilfe, die ich hier bekommen habe. Alles lief schnell und kompetent", sagt der Germanist. Wissenschaftlich an der JGU verankert ist er bei Prof. Dr. Marion Grein, der Leiterin des Masterstudiengangs Deutsch als Fremdsprache. "Wir haben uns kennengelernt und ich bin geblieben", erzählt er. "Wir sprechen, wissenschaftlich gesehen, dieselbe Sprache."

Dr. Eduard Isayev und Prof. Dr. Marion Grein (Foto: Stefan F. Sämmer)
Dr. Eduard Isayev und Prof. Dr. Marion Grein (Foto: Stefan F. Sämmer)

In den vergangenen drei Semestern arbeitete Isayev nicht nur an seinem Forschungsprojekt, sondern besuchte auch mehrere Lehrveranstaltungen des Masterstudiengangs. "Das hat mir schon sehr viel gebracht und ich kann hoffentlich in Zukunft auch beruflich davon profitieren", sagt er. Isayev ist nach wie vor als Dozent an der Wirtschaftsuniversität in Kiew angestellt. Für die Zeit nach dem Krieg hat er bereits Pläne: Er denkt darüber nach, einen neuen Studiengang zu entwickeln. Isayev will sich für eine Zusammenarbeit der beiden Universitäten einsetzen und hofft auf eine lange und erfolgreiche Partnerschaft: "Das wäre perfekt."

 

Die Sprachwissenschaftlerin

"Ich hatte kein bestimmtes Ziel, ich bin vor dem Krieg geflohen." Im März 2022 wusste Dr. Anna Lyashuk noch nicht, dass ihr Weg sie nach Mainz führen würde. Die Anglistin hatte eigentlich vor, an der Nationalen Taras Shevchenko-Universität in Kiew zu habilitieren, aber der russische Angriff auf ihr Heimatland änderte alles. Drei Wochen nach Kriegsbeginn musste sie schweren Herzens ihren bisherigen Alltag aufgeben und sah sich gezwungen, gemeinsam mit einer Freundin, deren Tochter und Mutter das Land zu verlassen. Unterwegs erreichten sie ermutigende Nachrichten und Unterstützungsangebote von Freund*innen und Kolleg*innen aus vielen Teilen der Welt, die sie bei wissenschaftlichen Konferenzen oder auch während ihrer früheren Tätigkeit als Leiterin des International Office an der Zentralukrainischen Pädagogischen Universität Kropywnyzkyj kennengelernt hatte. Aber vier Personen kurzfristig unterzubringen ist eben auch eine Herausforderung. "Und dann schlug ein Freund aus Deutschland vor, dass wir in die Nähe von Mainz kommen könnten. Die Eltern einer seiner Freunde, ein älteres Ehepaar, könnten Wohnraum für uns vier zur Verfügung stellen", berichtet Lyashuk. "Einen wirklichen Ankunftsort vor Augen zu haben, war natürlich eine große Erleichterung und wir nahmen das Angebot dankbar an." Einige Tage später traf die kleine Gruppe in Appenheim ein, zunächst unsicher, was die nächsten Tage und Wochen bringen würden, und noch weit davon entfernt, sich in Deutschland neu zu sortieren.

Nachdem Anna Lyashuk den ersten Schock über die Situation in ihrem Heimatland halbwegs verarbeitet hatte, kam sie mit einem Freund ihres Freundes in Kontakt. Dieser hatte früher selbst an der JGU studiert und mittlerweile hier auch promoviert. Er schlug vor, dass er ihr seine Alma Mater zeigen könne, auch um gemeinsam zu schauen, ob es vielleicht die Möglichkeit gäbe, dass sie die Universitätsbibliothek nutzen und so ihre Forschung vorantreiben könne. Zu dem Zeitpunkt war die Idee, Anknüpfungspunkte in Forschung und Lehre in Lyashuks wissenschaftlichem Themenfeld – der vergleichenden Sprachwissenschaft – an der JGU zu finden, noch sehr vage. "Umso überraschter und erfreuter war ich, als ich nach ganz kurzer Zeit eine sehr herzliche Antwort von Prof. Dr. Susanne Wagner auf mein Anschreiben erhielt. Sie hat das Potenzial meiner Forschungsinteressen und meine Lehrerfahrung gesehen und mich wenige Wochen später in ihr Team im Bereich der Englischen Sprachwissenschaft an der JGU aufgenommen."

(v.l.) Dr. Anna Lyashuk und Prof. Dr. Susanne Wagner (Foto: Peter Pulkowski)
(v.l.) Dr. Anna Lyashuk und Prof. Dr. Susanne Wagner (Foto: Peter Pulkowski)

Seit Juni 2022 hat Lyashuk dank Wagners Unterstützung eine Halbtagsstelle am Department of English and Linguistics der JGU. "Dass ich hier an der Universität und im Kollegium so herzlich aufgenommen wurde, ist nicht selbstverständlich. Das bedeutet mir sehr viel", betont Lyashuk. Sie gibt Lehrveranstaltungen und kann nebenbei weiter an ihrer Habilitationsschrift arbeiten, einem sprachwissenschaftlichen Vergleich des politischen Diskurses im Englischen und Ukrainischen. "Die Arbeit mit den Studierenden gibt mir ein Gefühl von Stabilität und Kontinuität in dieser ansonsten ungewissen Zeit des Kriegs in meinem Heimatland", so Lyashuk. "Natürlich ist das Leben und Arbeiten in einem komplett neuen Umfeld eine Herausforderung, aber auch eine Chance. Ich hoffe, dass mein Aufenthalt in Mainz eine Win-win-Situation für beide Seiten ist und versuche, meinen Beitrag zur linguistischen Forschung von Professorin Wagner und ihrem Team beizusteuern."

Und diese lässt sich im besten Falle in der Zukunft weiter ausbauen. Dr. Anna Lyashuk steht nach wie vor mit Kolleginnen und Kollegen an ukrainischen Universitäten, an denen sie als Postdoktorandin beziehungsweise als außerordentliche Professorin gearbeitet hat, in Kontakt. "Meine Erfahrungen können wir nutzen, um nach dem Krieg ein ukrainisch-deutsches Netzwerk zu knüpfen und gemeinsame Projekte mit der JGU zu realisieren."

 

Hilfe für Geflüchtete

Unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 hat die Johannes Gutenberg-Universität Mainz ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet und verschiedene Angebote zur Unterstützung von ukrainischen Studierenden, Lehrkräften und Forschenden ins Leben gerufen. "Wir sorgen uns um die Menschen in der Ukraine und unterstützen geflüchtete und gefährdete Personen aus der Ukraine nach Kräften", so JGU-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch.

Infolge des Krieges erklärte die JGU alle ukrainischen Universitäten zu Partnerhochschulen. Damit können sich Studierende aus der Ukraine für ein oder zwei Semester mit dem Status "Exchange student / Freemover" an der JGU einschreiben, unabhängig von Kooperationsabkommen. Initiativen wie die studentisch organisierte "Mainzer Sprachbrücke" bieten Deutschkurse an der JGU an. Darüber hinaus unterstützt die Universität das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine.

Vor wenigen Wochen absolvierten 456 ukrainische Schülerinnen und Schüler an der JGU digitale Examina, vergleichbar mit dem deutschen Abitur. Die Universität stellte Räumlichkeiten und technische Infrastruktur zur Verfügung. Die Prüfungen fanden zeitgleich in der Ukraine und in allen europäischen Ländern statt, in denen Geflüchtete Schutz gefunden haben. Neben den vielen privaten Initiativen sind es solche Unterstützungsangebote, mit denen die Universität und ihre Mitglieder ganz unbürokratisch Hilfe leisten für Menschen, die vom aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine betroffen sind.

Text: Alexandra Rehn