Vom Krieg in Biafra zum Konflikt im Niger-Delta

9. Mai 2012

Prof. Edlyne Anugwom arbeitet am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) an dem Projekt "From Biafra to the Niger Delta Conflict: Memory, Ethnicity, and the State in Nigeria". Im Gespräch berichtet er von seinem Land, das nicht nur unter dem aktuellen Konflikt leidet, sondern auch unter der verleugneten Vergangenheit.

Prof. Edlyne Anugwom ist im Stress. Im Moment fehlt ihm ein Büro auf dem Campus, es gibt Schwierigkeiten mit seinem Computer und nun soll er auch noch erzählen, worum es bei seinem Mainzer Forschungsprojekt "From Biafra to the Niger Delta Conflict: Memory, Ethnicity, and the State in Nigeria" geht.

"Lassen Sie uns nach nebenan ins Café gehen", meint er lächelnd. Dann nimmt er sich trotz seiner lästigen Probleme Zeit, um von dem großen Problem zu erzählen, das sein Land hat.

Reiche Ölvorkommen, arme Region

Nigeria kommt nicht zur Ruhe. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas besitzt zwar reiche Ölvorkommen im Nigerdelta, doch zugleich ist diese Region eine der ärmsten Afrikas. Hier schwelt es seit Jahren. Wenigstens aber scheint es nach den Militärdiktaturen der 1980er und 90er mit der Demokratisierung voran zu gehen. Das ist doch ein Lichtblick – oder?

Anugwom schaut ernst drein. Er muss sehr weit ausholen. "Wir haben in Nigeria drei Regionen mit drei Hauptethnien: im Norden die Haussa, im Westen die Yoruba und im Osten die Igbo." Im Folgenden wird er sich auf den Norden und den Osten, das Nigerdelta, konzentrieren.

"Nach den Unabhängigkeit 1960 war unser Staat schwach. Die Demokratie basierte vor allem auf ethnischer Zugehörigkeit." Die politische Macht lag im Norden, bei den Haussa. 1966 putschten einige junge Offiziere, die zumeist dem christlichen Volk der Igbo angehörten. Premierminister Abubaka Tafawa Balewa wurde getötet. "Die Leute im Norden waren nicht glücklich darüber." In einem Gegenputsch setzten sie den Anführer des ersten Putsches, General Johnson Aguiyi-Ironsi, ab und richteten ihn hin.

Krieg um Biafra

"Damals lebten noch viele Igbo im Norden. Es kam zu Pogromen gegen sie. 30.000 Menschen starben. Es traf vor allem Frauen und Kinder", erzählt Anugwom, der selbst zu den Igbo gehört. "Die anderen Saaten taten nichts, die Welt schaute zu."

Nach den Pogromen erklärte der Militärgouverneur des Ostens, Chukwuemaka Odumegwu Ojukwu, seine Region am 30. Mai 1967 für unabhängig. Doch kaum hatte er den neuen Staat Biafra ausgerufen, da überschritten nigerianische Truppen den Niger. Es begann ein drei Jahre währender Krieg, der mindestens eine Million Menschenleben forderte und mit der Wiedereingliederung Biafras endete.

"Für die Briten war Nigeria nach der Unabhängigkeit ein Modellversuch. Sie wollten es als einen Staat." Schon in der Zeit ihrer Herrschaft als Kolonialmacht brachte das Öl im Nigerdelta Geld. "Aber noch nicht so viel." Ein geeintes Nigeria schien der Garant für eine ungestörte Ausbeutung der Bodenschätze.

Anugwom überspringt einige Jahrzehnte – die Militärdiktaturen, die immer intensivere Ölförderung – und landet in der Gegenwart. Seit einigen Jahren ist es unruhig im Nigerdelta.

Umweltkatastrophe im Delta

Die Ölförderung führte zur Umweltkatastrophe. "Viele Flussarme sind so verschmutzt, da lebt nichts mehr. Die Menschen müssten mit ihren Kanus auf Meer hinausfahren, doch dafür sind ihre Boote nicht geeignet." Immerhin kamen die Einnahmen aus dem Öl bis 1970 noch zur Hälfte der Region und zur Hälfte der Zentralregierung zugute. Doch danach änderte sich das Verhältnis drastisch. "Heute bekommt die Region drei Prozent." Vor allem junge Leute wehren sich seit einigen Jahren gegen die Situation. Sie bewaffnen sich, Militär kommt zum Einsatz.

"Im Land wird das als neuer Konflikt gesehen." Anugwom sieht es anders. Für ihn ist die Krise im Delta eng mit dem Biafra-Krieg verbunden. "Beide Male waren es junge Leute, die aufbegehrten." Die Regierung allerdings versuche, den Menschen die Möglichkeit zu nehmen, Parallelen zu erkennen: "Die Pogrome gegen die Igbo, der Biafra-Krieg, das wird totgeschwiegen. In den Schulen wird es nicht gelehrt." Eine differenzierte Verarbeitung der Vergangenheit, eine Aussöhnung gar, sei so kaum möglich.

Doch daran seien die Herrschenden auch nicht interessiert. Undifferenziert spielten sie die ethnische Karte, wann immer es ihnen in den Kram passe. "Die politische Klasse missbraucht die Ethnizität für ihre Ziele." Die Religionen würden auf ähnliche Weise instrumentalisiert: Der muslimische Norden werde gegen den christlichen Süden und Osten ausgespielt.

Opposition wird eingeschüchtert

"Dabei geht es nur um den Erhalt von Macht und Reichtum. Die Regierungspartei People's Democratic Party (PDP) liegt beständig bei rund 70 Prozent, die oppositionellen Gruppierungen haben keine Chance. Ihre Leute werden eingeschüchtert und eingekauft."

Auch dass im Moment mit Präsident Goodluck Jonathan nun ein Mann an der Spitze des Staates steht, der den Igbo freundlich gesinnt ist, heißt für Anugwom nicht viel. Üblicherweise stellt der Norden den Präsidenten, das Nigerdelta den Vizepräsidenten. 2007 entstand mit dem plötzlichen Tod von Präsident Umaru Yar'Adua jedoch ein Machtvakuum. Wie in der Verfassung vorgesehen, übernahm Vizepräsident Jonathan die Regierungsgeschäfte.

Präsident ist kein Hoffnungsträger

"Er ist ein schwacher Präsident. Die Leute um ihn herum bestimmen, was er zu tun hat." Politisch gebe es weiterhin nur ein Ziel: "Den Machterhalt."

Anugwom musste sein Land verlassen. Eines Abends standen zwei Männer in seinem Hotelzimmer und meinten: "Wenn du nicht mit uns essen willst, dann geh aus dem Weg." Er ging aus dem Weg. Vor zwei Jahren kam er nach Mainz. Sein Forschungsprojekt, unterstützt durch ein Georg Forster-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, läuft demnächst aus. Dann wird er wohl wieder unterwegs sein. "Das Volk der Igbo wandert eben viel", sagt er nur.

Fotoausstellung

Bis zum 16. September 2012 ist im Staatlichen Museum für Völkerkunde München die Fotoausstellung "Letzte Ölung Nigerdelta. Das Drama der Erdölförderung in zeitgenössischen Fotografien" zu sehen. Bilder aus der betroffenen Region bezeugen ökologische und soziale Tragödien und veranschaulichen die Folgen der Ölproduktion im Nigerdelta. Der Betrachter bekommt direkten Einblick in die Ölproduktionsbedingungen vor Ort und wird Zeuge des Dilemmas in der Delta-Region: Dort müssen die Menschen zwar vielfach ohne Strom im eigenen Haus auskommen, sind der zerstörenden Wucht unkontrollierter Pipeline-Explosionen aber immer wieder ausgesetzt.

Für diesen Artikel hat das Staatliche Museum für Völkerkunde München dem JGU MAGAZIN freundlicherweise zwei Bilder der Ausstellung zur Verfügung gestellt.