5. Dezember 2022
Sie haben ein Molekül entwickelt, das Sonnenenergie speichern und zu beliebiger Zeit wieder abgeben kann: Prof. Dr. Carsten Streb und sein Arbeitskreis am Department Chemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigen mit ihrer bahnbrechenden Forschung einen Weg auf, wie sich die weltweite Energiekrise bewältigen lassen könnte.
"Im Moment ist Benzin die Antwort auf alles", stellt Prof. Dr. Carsten Streb fest. Das habe einen guten Grund: "Kein anderer Stoff stellt so effizient Energie zur Verfügung: Benzin speichert sie in jedem einzelnen Molekül." Sicher, der Mensch mühe sich, Alternativen zu entwickeln, aber diese Alternativen arbeiten längst nicht so gut.
"Schauen Sie sich zum Beispiel eine Batterie an, die an eine Solarzelle gekoppelt ist. Zuerst einmal brauchen Sie verschiedenste Komponenten – im Fall der Batterie eine Stahlummantelung, Kabel und Elektroden. Das alles sind inaktive Materialien. Sie speichern nicht selbst, sondern schaffen lediglich den Rahmen dafür. Die Solarzelle fängt rund 20 Prozent der Sonnenenergie ein. Gut, die Batterie speichert davon fast 100 Prozent. Doch wenn wir diese Energie auf einen flexibleren Träger transferieren wollen, damit sie ähnlich wie Benzin transportiert und genutzt werden kann, verlieren wir etliche Prozent." Wasserstoff bietet sich hier an. "Tatsächlich funktioniert er im Prinzip genauso wie Benzin. Doch durch die Wasserstoff-Elektrolyse erzielen wir lediglich eine Ausbeute von etwa 40 Prozent. Wenn wir also alle Faktoren einbeziehen, sieht es aktuell so aus, dass wir unterm Strich auf eine Effizienz von gerade mal fünf Prozent kommen."
Zwei Farbmoleküle, ein Energiespeicher
Streb greift nach einem 3-D-Modell auf seinem Schreibtisch. "Unser Ziel war es, ein einzelnes Molekül zu schaffen, das Sonnenenergie erntet, speichert und sie bei Bedarf problemlos wieder abgibt." Er hält ein kleines, leuchtend blaues Plastikgebilde hoch. "Normalerweise können Sie Moleküle nicht anfassen, denn sie sind so klein, dass man sie nicht mal sehen kann. Mit solch einem Modell allerdings kann ich Chemie im wahrsten Sinne des Wortes greifbar machen. Dies ist unser Molekül." Es besteht aus gerade mal drei Einheiten: aus zwei Farbstoffmolekülen, die mit einem Energiespeicher in der Mitte verbunden sind.
Ein Glas, gefüllt mit unzähligen dieser Moleküle, könnte Streb nun ins Fenster stellen. Die ursprünglich leicht orangefarbene Flüssigkeit würde beim Sonnetanken intensiv blau. Nun ließe sich mit einer einfachen Säure die Energie gewinnen: grüner Wasserstoff. Die Flüssigkeit verblasst daraufhin wieder, sie nimmt ihren Ausgangszustand an und steht für einen weiteren Zyklus bereit. "Unsere Effizienz liegt derzeit bei circa 45 Prozent – und es gibt einen entscheidenden Vorteil gegenüber Benzin: Wir schaffen einen geschlossenen Kreislauf. Das ist nachhaltig."
Streb kam im April 2022 als Professor für Anorganische Chemie an die JGU. Zuvor hatte er bereits am Helmholtz-Institut Ulm und der Universität Ulm zu Fragen der Energiewandlung und -speicherung geforscht. Im Zuge des Transregio-Sonderforschungsbereichs CataLight, an dem unter anderem das Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung beteiligt ist, entwickelte er mit seinem interdisziplinär besetzten Arbeitskreis neuartige Materialien, die auch in anderen Bereichen wie etwa der Trinkwasseraufbereitung eingesetzt werden können.
"Mein Gebiet ist die Nachhaltigkeit", sagt er. "Gemeinsam mit meinem Team will ich einen Beitrag leisten, die aktuellen globalen Herausforderungen zu bewältigen. Manch einer klebt sich auf der Straße fest, um etwas für die Umwelt und gegen den Klimawandel zu tun. Wir gehen einen unauffälligeren, aber trotzdem produktiven Weg."
Ideales Forschungsumfeld an der JGU
Streb ist nach Mainz gewechselt, weil er hier im Department Chemie seine Schwerpunkte wiederfand: "Nachhaltigkeit, Energieversorgung und Ressourcen werden hier als zentrale Themen unserer Zeit gesehen. Viele der Kolleginnen und Kollegen forschen in diesen Bereichen. Das passt also hervorragend. Außerdem stellte sich die Chemie an der JGU vor zwei Jahren neu auf. Sie organisierte sich als Department, damit fielen alle Institutsgrenzen weg. Wir kommunizieren intensiv untereinander und auch die neu eingerichteten Serviceeinrichtungen arbeiten sehr gut. Mich beeindruckt, wie man das angegangen ist."
Interdisziplinarität ist Streb wichtig: "Wer heute Chemie studiert, muss sich in Physik und Mathematik auskennen, anders funktioniert es nicht. Vieles vom Lernstoff im ersten Semester ist Physik. Ich muss wissen, wie ein Atom aussieht, wenn ich ein Molekül aufbauen will. Wenn ich dann herausfinden will, wie ein Molekül mit seiner Umgebung reagiert, bin ich schnell in der Biologie. Kein Fach steht isoliert da. Gerade in unserer Lehre ist es ein wichtiger Punkt, diese Verbundenheit zu betonen." Auch in der Forschung lebt Streb diese Philosophie: Er knüpft fleißig Verbindungen. "Ich habe erste Gespräche geführt und sehe klare Anknüpfungspunkte zwischen unseren Materialien und Fragestellungen, die zum Beispiel im Excellenzcluster PRISMA+ in der Physik von großer Relevanz sind."
Am Gutenberg Forschungskolleg (GFK) der JGU wurde Streb direkt als neuer Fellow empfangen. "So stehen mir Mittel zur Verfügung, die es mir ermöglichen, in Mainz ein neues Labor auszubauen. Durch Corona haben wir gelernt, auf verschiedenste Weise und von unterschiedlichsten Orten aus zu arbeiten. Das soll sich spiegeln: Wir werden Räume und Flächen sehr flexibel gestalten und auf die jeweiligen Bedürfnisse eingehen."
Wissenschaft liefert funktionierendes Konzept
Das GFK fördert wissenschaftliche Exzellenz an der Universität. Mit seinen mehrfach ausgezeichneten Forschungen ist Streb hier also am richtigen Ort. Vor einigen Monaten erst stellte er sein Molekül zur Energiegewinnung und -speicherung auf der Falling-Walls-Konferenz in Berlin vor. Dort präsentieren Forscherinnen und Forscher aus aller Welt ihre bahnbrechenden Erkenntnisse. Streb wurde zum "Global Winner" im Bereich Engineering & Technology gekürt.
Seinen Vortrag auf der Konferenz eröffnete er mit einem prägnanten Satz: "In einer einzigen Stunde liefert die Sonne der Erde mehr Energie, als die Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht." Wer das Sonnenlicht also effektiv nutzbar macht, löst die Energiekrise. Das neue Molekül weist einen Weg. "Noch stehen wir vor Problemen. Unser Farbstoff ist beispielsweise recht teuer und die Sonne zerstört ihn nach einiger Zeit. Aber wir haben gezeigt, was im Prinzip möglich ist. Tatsächlich sehen wir als Forscherinnen und Forscher genau darin unsere Aufgabe: Wir liefern Konzepte, wie etwas funktionieren kann. Dazu bilden wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, die in der Lage sind, diese Konzepte weiterzuentwickeln."
Streb ist sich sicher: "Wir müssen die globale Energiewirtschaft umkrempeln." Ein Anfang ist gemacht. Der Chemiker und sein Team haben einen wichtigen Baustein geschaffen. Daran werden sie nun
weiterarbeiten – über Fächer- und Ländergrenzen hinweg.