21. Mai 2025
Der Ober-Olmer Wald vor den Toren von Mainz hat in den vergangenen acht Jahrzehnten viele Veränderungen durchgemacht. Mit einem Audioguide porträtieren Geschichtsstudierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) dieses facettenreiche Wechselspiel zwischen Mensch und Natur und laden ein zu einer "Zeitreise durch den Ober-Olmer Wald – Vom Nachkriegsgestrüpp über die Raketenstellung zum Naturschutzgebiet".
Im Kältewinter 1946/47 bediente sich die Bevölkerung reichlich im Wald. Die Menschen brauchten Holz zum Überleben, zum Kochen und zum Heizen. "Der Baumbestand wurde drastisch reduziert", erzählt Antonia Görgen. "Es blieb tatsächlich oft nur noch Gestrüpp übrig." Dann kam die US Army. Sie errichtete ein Munitionsdepot, eine NIKE-Raketenbasis, Truppenübungen fanden statt. An einen entspannten Spaziergang unter Bäumen im Ober-Olmer Wald war kaum zu denken.
Ab den 1960er-Jahren änderte sich das allmählich. Es gab Vorstöße, den Wald umzugestalten, ihn nicht nur den Streitkräften zu überlassen. Die US Army und besonders die Mainzer gerieten aneinander. Es fanden viele Gespräche und Verhandlungen statt. "Ein generationenübergreifendes Naherholungsgebiet war geplant, mit Trimm-Dich-Pfad, einem Kinderspielplatz und Teichen mit Sitzgelegenheiten für ältere Herrschaften", skizziert Görgen. Mit dem Abzug der amerikanischen Truppen im Jahr 1993 veränderte sich der Wald noch einmal grundlegend. Das "ökologische Modellprojekt Konversion Ober-Olmer Wald" lief an.

Mensch und Naturraum
"Wir interessieren uns für die Art und Weise, wie wir Menschen uns einen Naturraum aneignen, wie wir ihn verändern und wie das auch uns verändert", erklärt Dr. Andreas Frings vom Historischen Seminar der JGU bei der Vorstellung des neuen Audioguides "Zeitreise durch den Ober-Olmer Wald". Zwölf Studierende des Seminars haben in monatelanger Recherche der Geschichte des Waldstücks nachgespürt, nun präsentieren sie das Ergebnis. Gemeinsam mit Frings haben sie ans Wald-Naturschutzzentrum Forsthaus Ober-Olmer Wald eingeladen. Auch ein Vertreter des US Army ist gekommen. Der zuständige Förster ist ebenso mit von der Partie wie der Vizepräsident für Studium und Lehre der JGU, Prof. Dr. Stephan Jolie, und Katrin Eder, rheinland-pfälzische Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität. Sie erinnert sich, wie hier im Schatten der Bäume einst Rockkonzerte stattfanden und wie sie sich später als Politikerin für die Einrichtung eines Naturschutzgebiets auf dem 350 Hektar umfassenden Areal stark machte.
"Viele Menschen verbinden mit dem Ober-Olmer Wald ihre jeweils ganz eigenen Geschichten", meint Léon Bruckner. "Bei unseren Begehungen haben wir ein paar von ihnen getroffen. Nun kommen sie als Audioschnipsel in unserem Guide zu Wort." Bruckner gehört wie Görgen zu der Studierendengruppe, die sich für ein Semester detailliert mit dem Wald beschäftigt hat. "Wir sind eine sehr bunte Runde. Erstsemester sind dabei, aber auch Leute wie ich, die beinahe das Ende ihres Studiums erreicht haben." Den Anstoß zum Projekt gab Dr. Andreas Frings, der auch ein entsprechendes Lehrangebot ins Leben rief. "Manche besuchten es als freiwillige Veranstaltung, andere als verpflichtenden Teil ihres Studiums."

Hautnah am Alltag
Die Studierenden forschten in kleinen Gruppen zu verschiedensten Aspekten der jüngeren Waldgeschichte. "Wir waren vor allem im Mainzer Stadtarchiv unterwegs, aber auch im Landeshauptarchiv in Koblenz und Speyer", erzählt Bruckner. "Für mich als Geschichtsstudenten ist das keine ungewöhnliche Arbeit, aber dies ist das erste Mal, dass sich eine größere Öffentlichkeit dafür interessiert. Ich hatte das Gefühl, dass ich hautnah an den Alltag der Menschen von damals herankam, wenn ich zum Beispiel lesen konnte, wie die Leute diskutierten, ob der Trimm-Dich-Pfad, der in den 1970ern errichtet wurde, erhalten bleiben soll oder nicht. Es ist spannend, die Perspektive zu wechseln und zu erfahren, was damals wichtig war und was nicht."
Tatsächlich ist der Pfad heute verschwunden, aber der Audioguide weckt die Erinnerung daran. "Wir führen an Orte, an denen man nichts mehr sieht, wo früher aber sehr viel war", so Magdalena Christina Anstett, die als studentische Hilfskraft am Historischen Seminar arbeitet. Dass die US Army rund ein Drittel des Waldes zum Sperrgebiet erklärte, gab der Natur Gelegenheit zum Durchatmen. Es entwickelte sich ein vielgestaltiges Gebiet mit ungewöhnlicher Artenvielfalt. "Die Panzer haben Furchen hinterlassen, die Frösche zur Brut nutzen", nennt Rebecca Sarah Schlaadt ein Beispiel. "Aber die Panzer haben auch dem Baumbestand geschadet. So etwas lässt sich nie einseitig betrachten."
Geschichte vor Ort erleben
Dr. Andreas Frings gehört zum Arbeitskreis Historians for Future, der besonders die jüngere Klimageschichte ins Blickfeld rückt. Er hat zudem die Plattform "Clio 2.0" am Historischen Seminar der JGU mit ins Leben gerufen, auf der Geschichtswissenschaft und digitale Medien eine produktive Verbindung eingehen. Dort entstand bereits der antike Stadtrundgang "Als Mainz noch Moguntiacum war". "Wir wurden vier Jahre lang über das JGU-Projekt 'Mainzer Modelle für digital erweitertes Lehren und Lernen', kurz ModeLL-M, gefördert", berichtet Frings. "ModeLL-M hat uns Freiräume geschaffen, ohne die solche Arbeiten nicht möglich gewesen wären." Nun schließt sich der Audioguide zum Ober-Olmer Wald an.

"Ich hatte die Ehre und die Freude, dieses Projekt begleiten zu dürfen", betont Frings bei seiner Ansprache am Wald-Naturschutzzentrum mit Blick auf die Studierenden. "Es zeigt, wie sich der Wald durch permanente Nutzung und Eingriffe verändert hat. Es zeigt aber auch, wie sich unser Blick auf den Wald verändert." Der Ober-Olmer Wald wurde geplündert, war militärischer Stützpunkt im Kalten Krieg, wurde zum Naherholungsziel und ist heute Naturschutzgebiet. All das erzählt der Audioguide. Mit ihm lässt sich diese Geschichte vor Ort sehr lebendig entdecken.
Text: Gerd Blase