Bedeutender ägyptischer Gräberberg erstmals ausführlich erforscht

14. November 2019

Ende 2019 läuft das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 2005 geförderte Langzeitprojekt "Die altägyptische Nekropole von Assiut: Dokumentation und Interpretation" aus, eine Kooperation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), der Freien Universität Berlin und der Universität Sohag in Ägypten. Die Ausstellung "Asyut's Fourteen" in der Schule des Sehens auf dem Gutenberg-Campus zieht Bilanz und zeigt beispielhaft in Schlaglichtern, was das internationale und interdisziplinäre Grabungsteam entdeckte.

Das Bild vom Gebel Assiut al-gharbi, dem westlichen Wüstenberg von Assiut, beherrscht die Glasfassade des Ausstellungsraums. Auf dem Foto lassen sich die geologischen Stufen des rund 200 Meter hohen Kalksteinmassivs nur erahnen. Entschieden deutlicher hingegen sind zahlreiche Öffnungen verschiedenster Größe auszumachen. Viele führen hinein in Jahrtausende alte Gräber. Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen deutet auf eine Menschenschlange: winzige Gestalten, die den Berg hinaufklettern. "Das ist unser Grabungsteam auf dem Weg zur Arbeit", erklärt die Ägyptologin vom Institut für Altertumswissenschaften der JGU. "Ich habe es überhaupt erst auf dieser Vergrößerung erkennen können."

Meist zeigte das Thermometer bereits am Morgen an die 40 Grad, schon das machte den Aufstieg beschwerlich. Zudem waren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer mit Polizeieskorte unterwegs, anders war ihre Sicherheit in der mittelägyptischen Stadt Assiut nicht zu gewährleisten. Am Berg selbst kamen noch Soldaten hinzu, denn er zählt zum militärischen Sperrgebiet. "Ich muss zugeben, dass ich zögerte, als Jochem Kahl mich 2003 fragte, ob ich bereit sei, mit ihm zusammen an diesem Ort ein Grabungsprojekt auf die Beine zu stellen", erzählt Verhoeven-van Elsbergen. Heute ist sie überzeugt: "Es hat sich gelohnt. Wir haben Dinge entdeckt, mit denen wir nie gerechnet hätten."

16 Jahre, 76 Forschende, Hunderte Helfer

Die Forschungsausstellung "Asyut's Fourteen" präsentiert in der Schule des Sehens der JGU einiges von dem, was der Gebel Assiut al-gharbi an Überraschungen zu bieten hatte. In Schlaglichtern beleuchtet sie "14 Kampagnen in einem ägyptischen Gräberberg": Insgesamt bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) rund 3,5 Millionen Euro in den letzten 14,5 Jahren. 76 Forschende und Studierende aus aller Welt waren beteiligt, hinzu kamen Hunderte Arbeitskräfte vor Ort.

Damals, als es Kahl nach einer ersten Begutachtung des Gräberbergs gelang, seine Mainzer Kollegin vom Potenzial des Gebel zu überzeugen, war er noch Hochschuldozent am Institut für Ägyptologie und Koptologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Verhoeven-van Elsbergen beantragte Gelder aus der Forschungsförderung der JGU, um eine erste Kampagne im Jahr 2004 zu finanzieren. Danach stellte sie einen erfolgreichen Antrag bei der DFG und Kahl wechselte nach Mainz: Das Langzeitprojekt "Die altägyptische Nekropole von Assiut: Dokumentation und Interpretation" war geboren. Bis 2010 war es allein an der JGU angesiedelt, dann kam die Freie Universität Berlin, an die Kahl auf den Lehrstuhl für Ägyptologie berufen worden war, als gleichberechtigter Partner hinzu. Von Beginn an war auch die ägyptische Universität Sohag involviert, insbesondere und über viele Jahre der inzwischen pensionierte Ägyptologe Prof. Dr. Mahmud El-Khadragy.

Die Ausstellung zeigt unter anderem einige Gegenstände, mit denen am Berg gearbeitet wurde: eine Hacke, ein Besen, ein Korb, ein Schutzhelm, Kletterausrüstung. Davor steht Kahl mit Prof. Dr. Mohamed Abdelrahiem von der Universität Sohag, einem der ägyptischen Grabungsleiter des Projekts. Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor Ort war eng und vertrauensvoll, das betont Abdelrahiem. Für die Grabungsarbeiter wiederum war die Beschäftigung während der jeweils zweimonatigen Kampagnen im Sommer eine wichtige Einnahmequelle in dieser strukturschwachen Region. Solche Aspekte wurden immer mitbedacht.

Wiederentdeckung einzigartiger Gräber

"Die heutigen Einwohner von Assiut konnten nie ein Gefühl für die einstige Größe und Bedeutung ihrer Stadt entwickeln, denn der Berg ist Sperrgebiet und viele weitere Überreste sind längst überbaut oder abtransportiert", erzählt Kahl. Auch hier wollte das internationale Grabungsteam helfen: Es bot Vorträge und Führungen an, zudem wurden einige der wissenschaftlichen Veröffentlichungen ins Arabische übersetzt. Nun ist man sogar dabei, eines der Gräber auf dem Berg touristisch zu erschließen.

"Das Außergewöhnliche am Gebel Assiut al-gharbi ist die Zeittiefe", erklärt Kahl. "Wir haben es hier mit Zeugnissen von 4000 v. Chr. bis heute zu tun. Das ist so kontinuierlich sonst selten zu finden. Es macht den Berg zu einer Art Forschungslabor." Vor gut 90 Jahren wurde das letzte Mal am Gebel gegraben, doch nach heutigen Maßstäben ist die Dokumentation von damals höchst unbefriedigend. "Bereits bei der ersten Begehung war klar, dass es viel mehr zu tun gab als wir vermuteten." Zehn Gräber waren seinerzeit benannt worden, nun, nach gut 16 Jahren Arbeit, sind 377 Strukturen präzise kartiert.

Dazu gehört das Fürstengrab N13.1 von Iti-ibi-iqer aus der frühen 11. Dynastie um 2000 v. Chr. Es wurde 2005 nach Hinweisen eines lokalen Wächters wiederentdeckt, davor war es über Jahrhunderte verschollen: Regionalfürst Iti-ibi-iquer war General und zugleich Vorsteher der Priester der lokal wichtigsten Götter Upuaut und Anubis. 90 Schächte für Bestattungen fanden sich zudem im Umfeld seines Grabes. Im Innern überraschte neben der Originaldekoration eine Unzahl von sogenannten Dipinti, Tuschegraffiti von späteren Besuchern ab circa 1550 v. Chr., darunter ein mehrstrophiges Gedicht, das in seiner Art einmalig ist, bisher unbekannte Texte zu Weisheitslehren, Zeichnungen und vieles mehr. In islamischer Zeit kamen wieder Gläubige ins Grab, bestatteten einen Scheich und hinterließen verschiedene arabische Texte an den Wänden.

Die altägyptischen Götter Anubis und Upuaut, der "Wegeöffner", wurden meist mit hundeartigen Köpfen dargestellt. Auf sie verweist eine weitere Wiederentdeckung im Jahr 2008: das Hundegrab. "In einem Gang und einer anschließenden Halle fanden sich meterhoch gestapelte Tierleiber", erinnert sich Verhoeven-van Elsbergen. Tausende mumifizierter Hunde, Füchse, Schakale und Wölfe wurden hier beigesetzt. Sie wurden im Projekt auch mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht.

Multimediale Ausstellung mit Rahmenprogramm

Das größte Grab auf dem Gebel Assiut al-gharbi stammt von Djefai-Hapi I. aus der 12. Dynastie um 1950 v. Chr. Es maß ursprünglich 120 Meter in der Gesamtlänge und gilt als das größte altägyptische Grab eines Privatmanns. Das Grabungsteam legte in jahrelanger Arbeit einen 28 Meter langen Schacht und die zugehörige Grabkammer frei. "Über Schrägen und Schächte ging es in die Tiefe", erzählt Dr. Andrea Kilian vom Institut für Altertumswissenschaften der JGU. "Es erinnerte tatsächlich ein wenig an die Abenteuergeschichten à la Indiana Jones."

Kilian nahm wie ihre Kollegin Dr. Monika Zöller-Engelhardt mehrfach an den Kampagnen in Mittelägypten teil. Gemeinsam unterstützten sie Verhoeven-van Elsbergen bei der Realisierung von "Asyut's Fourteen" in der Schule des Sehens. Mit dieser Ausstellung, an der auch eine Gruppe Studierender im Zuge eines Praktikums mitwirkte, lässt sich nun zumindest erahnen, was das Langzeitprojekt in den gut 16 Jahren seines Bestehens ans Licht gebracht hat. Zwar mussten die Originalfunde in Ägypten bleiben, dafür aber werden thematisch verwandte Objekte aus der Mainzer Ägyptologischen Studiensammlung zertifizierte Replikate präsentiert. Filmsequenzen, Bilder, Texte, eine kostenlose Broschüre und ein Rahmenprogramm vermitteln vielfältige Eindrücke von den Entdeckungen, den Grabungs- und den Analysemethoden.

Das DFG-Langzeitvorhaben ist mit diesem Jahr abgeschlossen und noch bleibt ungewiss, wer in welcher Form und welchem Umfang am Berg weiterarbeiten wird. "Es gäbe sicher noch einiges zu tun", räumt Kilian ein. "Aber wir sind sehr zufrieden, denn wir konnten die Hauptpunkte erledigen und alles ausführlich dokumentieren." In der projekteigenen Schriftenreihe "The Asyut Project" sind bereits zehn Bände erschienen, fünf weitere befinden sich in Drucklegung. Damit ist der Gebel Assiut al-gharbi erstmals umfassend erforscht und in seiner überragenden Bedeutung gewürdigt.