Religion und Politik bergen Probleme und Potenzial

2. Juli 2018

Um das wechselvolle Verhältnis von Politik und Religion ging es am vorletzten Abend von Prof. Dr. Herfried Münklers Vortragsreihe "Das politische Denken. Politische Ideengeschichte und die großen Herausforderungen unserer Gegenwart in zehn Erkundungsschritten". Zu diesem Thema empfing der 19. Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur einen Gast auf dem Gutenberg-Campus: Prof. Dr. Ulrich Willems von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster setzte zu einem Parforceritt durch die Geschichte an.

Über die Einladung an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat sich Prof. Dr. Ulrich Willems ganz besonders gefreut. "In den 1980er-Jahren habe ich hier in der Stadt ein Industriepraktikum absolviert. Ich bin dann mehrere Jahre nach Mainz zurückgekehrt, um als Werkstudent zu arbeiten. Nun bin ich froh, Gelegenheit zu bekommen, mal wieder vorbeizuschauen."

Willems studierte Evangelische Theologie und Politikwissenschaft. Derzeit ist er Professor für Politische Theorie und Religion und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo er das Exzellenzcluster "Religion und Politik" mit auf den Weg brachte. Aufgewachsen ist Willems in Köln. "Noch immer hat er eine innige Beziehung zum 1. FC Köln", führt Prof. Dr. Herfried Münkler seinen Kollegen augenzwinkernd ein. "Er verfügt also über eine gewisse Leidensfähigkeit. Das ist eine gute Voraussetzung für die Tätigkeit eines Hochschullehrers."

Babylon, Buddha und die Christen

Das Thema "Politik und Religion" beschäftigt Willems seit Jahrzehnten. In Münklers Vorlesungsreihe "Das politische Denken. Politische Ideengeschichte und die großen Herausforderungen unserer Gegenwart in zehn Erkundungsschritten" präsentiert er einen umfassenden Überblick dazu. "Viele Fragen zum Verhältnis von Politik und Religion sind weiter offen", eröffnet Willems. Auch er werde an diesem einen Abend keine Antworten darauf geben können. Dafür liefert er eine Skizze, wie sich beide Komponenten in der Menschheitsgeschichte zueinander verhielten. "Das wird wirklich ein Parforceritt", warnt Willems die Gäste im größten Hörsaal auf dem Gutenberg-Campus.

"Archaische Gesellschaften waren vorwiegend egalitär. Die Menschen teilten sich die Welt mit Wesen, die übermenschliche Fähigkeiten hatten, die aber keine Götter waren und auch nicht als Götter verehrt wurden." In Clans und Stämmen entwickelten sich dann hierarchische Ordnungen, die sich spätestens in den frühen Zivilisationen wie dem Altbabylonischen Reich höchst ausdifferenziert präsentierten. Spiegelbildlich dazu entstanden hierarchische Welten von Göttern, die Verehrung und Opfer forderten. "Der oder die Herrscher hatten göttlichen oder halbgöttlichen Status."

In der Achsenzeit wandelte sich das Bild nochmals grundlegend. "Es entstanden religiöse Positionen mit radikal veränderten Vorstellungswelten." Konfuzius und Buddha sind frühe Beispiele der sogenannten primären Achsenzeit von 800 bis 200 v. Chr. Im sekundären Durchbruch der Achsenzeit kamen später das Judentum, das Christentum und der Islam hinzu. Nun gab es eine strenge Trennung zwischen Transzendenz und Immanenz. Die neuen Glaubensrichtungen zeichneten sich durch einen tendenziell universellen Anspruch aus. Mit ihren Regeln durchdrangen sie praktisch alle Lebensbereiche.

Asymmetrische Abhängigkeiten

Vorindustrielle Gesellschaften bauten zwei Hierarchien auf: Eine betraf die politische Sphäre, die andere den religiösen Bereich mit seinen Tempeln, Mönchen und vielem mehr. Nun gab es eine weltliche Elite und eine religiöse dazu, die den Zugang zum Transzendenten für sich reklamierte. In Europa gelang es dem Christentum, zunehmend Ressourcen zu binden. Gerade hier kam es zu einer wechselseitigen asymmetrischen Abhängigkeit von Religion und Politik, die in verschiedenste Positionen mündete. Im revolutionären Frankreich etwa kristallisierte sich eine konfliktive Konstellation heraus, während in nordeuropäischen Ländern ein einvernehmliches Verhältnis vorherrschte. Mit der Demokratisierung ging dann in jüngster Zeit eine wechselseitige Autonomie von Staat und Kirche einher.

In der Gegenwart wiederum macht Willems eine Rückkehr der Religion in die Politik aus – und ist damit nicht allein: Philosophen und Soziologen nahmen sich dieses Themas an und fragten sich, wie sich das Verhältnis ausgestalten lässt. Jürgen Habermas etwa beobachtete, wie die ökonomische Rationalität in immer mehr Bereiche des menschlichen Lebens eindrang, und überlegte, ob und wie Religion hier gegensteuern könnte.

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington befürchtete, dass Religionen mit Demokratie kaum vereinbar seien. Gerade dem Islam und dem Konfuzianismus bescheinigte er einen antidemokratischen Charakter – was sein Kollege und Landsmann Alfred C. Stepan wiederum bestritt: Er sprach sich für eine wechselseitige Tolerierung von Staat und Kirche aus. Er befürwortete auf diesem Gebiet eine prinzipielle Vielstimmigkeit.

Für Willems liegt die aktuelle Herausforderung in der religiösen Pluralisierung. "Wir haben fünf Prozent Muslime in Deutschland, mittlerweile gibt es an die 37 Prozent Konfessionslose, knapp 60 Prozent gehören einer der beiden großen Kirchen an. Wir bewegen uns auf eine Situation zu, in der Christen nicht mehr in der Mehrheit sein werden."

Islam in Deutschland

Gerade die Bundesrepublik zeichne sich durch ein hohes Maß an Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften aus. Mit diesem Erbe müsse sensibel umgegangen werden in einer Zeit, in der nicht mehr nur die beiden christlichen Kirchen eine Rolle spielen. Kritisch sieht Willems in diesem Zusammenhang den jüngsten Kreuz-Erlass in Bayern durch die CSU-Führung. "Problematisch ist nicht nur, dass ein religiöses Symbol parteipolitisch missbraucht wird, sondern dass durch diesen Beschluss religiöse Minderheiten bewusst symbolisch ausgegrenzt werden."

Das Thema beschäftigte Münkler und Willems auch in ihrem anschließenden Gespräch. Der Gutenberg-Stiftungsprofessor regte an, eine Institution zu schaffen, "ein Gefäß", in dem sich unterschiedliche Gruppierungen treffen, in dem sie Gedanken oder Ideen einbringen und Kompromisse schließen könnten. So würde ein Anreiz geschaffen, sich an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen.

Diesen Gedanken nahm Willems in seinem Schlusswort zum Ausgangspunkt: "Wie geht man in der Bundesrepublik denn mit dem Islam um? Was die Politik seit 20 Jahren tut, sieht nicht aus wie eine ausgestreckte Hand." Falls man überhaupt auf den Islam zukomme, müsse der sich erst mal zur Gleichberechtigung der Geschlechter oder zur Verfassung bekennen. "Da spielt immer mit: Ihr seid die unzuverlässigen Gesellen. Was für eine Reaktion soll denn darauf erfolgen?"