Vom Heilwasser des Horus zum Hängebauch Echnatons

23. Januar 2015

Rund 30 Exponate erzählen von mehr als 3.000 Jahren Geschichte. Sie berichten von Göttern und Pharaonen, von der Geflügelzucht, von magischem Wasser und ungewöhnlichen Modeerscheinungen. Die Ägyptologische Studiensammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mag klein sein, doch sie bietet viel Stoff für Studium und Lehre, für Entdeckungen und Gespräche.

Der Kindgott Horus schreitet über die Rücken zweier Krokodile. In den Händen hält er übergroße Skorpione, einen Löwen, eine Gazelle, Schlangen. All diese Tiere hat er bezwungen, er hat alle Gefahren überwunden – auch dank der Maske des Schutzgottes Bes, die über seinem Haupt zu schweben scheint und mit grimmiger Grimasse alles Unheil vertreibt.

Die Horusstele ist nicht mal 20 Zentimeter hoch und bietet doch eine unglaubliche Vielzahl an Details. Ihre Rückseite ist mit winzigen Hieroglyphen übersät. Den schmalen Rand schmücken Göttersymbole, obenauf die geflügelte Sonnenscheibe, die ebenfalls auf Horus verweist.

"Das ist eine Heilstele", erklärt Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen vom Arbeitsbereich Ägyptologie am Institut für Altertumswissenschaften der JGU. "Man hat Wasser darüber gegossen, das dann die Kraft der Inschriften und der Figuren aufnahm." So entstand ein magisch aufgeladenes Heilmittel.

Präzise Abgüsse

Das steinerne Original der Stele steht in Berlin im Ägyptologischen Museum. Es entstand zwischen dem 7. und 4. Jahrhundert v. Chr. In der Vitrine des Arbeitsbereichs Ägyptologie auf dem Gutenberg-Campus ist nur ein Abguss zu sehen, eine höchst exakte Arbeit aus der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin.

Verhoeven-van Elsbergen stört es nicht, dass es sich "nur" um ein Replikat handelt. Heutzutage Originale anzukaufen, ist entweder illegal oder zumindest fragwürdig. Artefakte von den Ausgrabungsstätten Ägyptens müssen mittlerweile im Ursprungsland verbleiben. "Und Objekte aus dem Kunsthandel oder Privatsammlungen lehnen wir grundsätzlich ab", stellt die Ägyptologin klar. Oft ist nicht mehr nachvollziehbar, auf welchem Weg einzelne Exponate nach Europa gekommen sind.

"Auch die Sicherheit hier wäre für uns ein Problem", meint Verhoeven-van Elsbergen. "Wir bräuchten spezielle Vitrinen, einen Schließdienst, extra Versicherungen." Davon abgesehen soll die Sammlung für die Studierenden erreichbar sein – im ganz buchstäblichen Sinn. Sie schmückt nicht nur den Gang des Arbeitsbereichs Ägyptologie, in verschiedensten Lehrveranstaltungen wandert etwa die kleine Horusstele von Hand zu Hand. Die Studierenden lernen so, wie man Fundobjekte für Grabungsdokumentationen oder für Ausstellungen optimal ausleuchtet, vermisst, zeichnet, fotografiert, beschreibt und entziffert.

Freundeskreis Ägyptologie

Die kleine Studiensammlung entstand mit Unterstützung des Freundeskreises Ägyptologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der im Jahr 2001 von Wissenschaftlern, Studierenden und interessierten Laien gegründet wurde. Mittlerweile zählt dieser Verein beinahe 150 Mitglieder und spielt eine wichtige Rolle für den Arbeitsbereich. Er richtet unter anderem öffentliche Vorträge aus, unterstützt Bücherankäufe und Exkursionen. Dank großzügiger Spenden von Ulrike Jungnickel, die selbst einen Abschluss im Fach Ägyptologie an der JGU gemacht hat, war es dem Freundeskreis möglich, diese Sammlung Stück für Stück aufzubauen.

"Ulrike Jungnickel, der Verein und unser Arbeitsbereich suchen die Stücke gemeinsam aus", berichtet Verhoeven-van Elsbergen. "Das verläuft sehr harmonisch." Seit Kurzem kümmert sich Monika Zöller-Engelhardt, die gerade ihre Promotion abgeschlossen hat, um die Exponate. Als erste Amtshandlung verpasste sie ihnen Schilder mit knappen Erklärungen und erstellt Informationen für die neue Homepage. "Vorher gingen die Leute an den Ausstellungsstücken vorbei und wussten oft gar nicht, was sie da sehen."

Und zu sehen gibt es einiges. "Wir haben eine gute Mischung aus Rundplastik, Reliefs und Kleinkunst", erzählt Zöller-Engelhardt. "Inzwischen sind fast alle Epochen vertreten. Wir haben Objekte aus Tempeln, aus Privat- und Königsgräbern, und seit Kurzem gibt es auch eine Säule." Natürlich können es nur Schlaglichter auf rund 3.000 Jahre Geschichte sein.

Horus und der Falke

Da sitzt der Beamte mit dem Schreibzeug auf seinen gekreuzten Beinen, ein häufiges Motiv in der ägyptischen Kunst. Das Original dieser Statue ist rund 4.500 Jahre alt. Dort kauert das falkenköpfige Krokodil, das Aspekte verschiedener Gottheiten vereint, auf allen Vieren. Es ist ein Stück aus der Spätzeit von 720 bis 332 v. Chr. Solche Mischwesen sind typisch für ägyptische Gottheiten. Über ihre Bedeutung jedoch herrscht oft Unklarheit. "Viele glauben, die Ägypter hätten Tiere als Götter verehrt", erzählt Zöller-Engelhardt. "Dabei ist es so, dass sie göttliche Eigenschaften mit den Eigenschaften von Tieren darstellten. Niemand glaubte, dass Horus oder Re einen Falkenkopf hatten."

"Über die Objekte unserer Sammlung kommt man viel leichter ins Gespräch als über Bücher oder Vorträge", meint Verhoeven-van Elsbergen. Die Ägyptologin tastet über die Hieroglyphen eines Reliefs. Ein Ehepaar ist dargestellt. "Er heißt Kaulquappe, sie Frosch." Eine Kaulquappe ist deutlich als kleine Figur zu erkennen. "Hieroglyphen sind eine Kombination aus Bild- und Lautzeichen. Das hat 3.000 Jahre lang sehr gut funktioniert und erleichtert uns auch heute das Lesen." Zumindest ein paar Anfänge sind schnell gelernt: So finden sich Herrschernamen immer in einer ovalen Kartusche und Gebäude oder Örtlichkeiten zeigen am Wortende immer einen Hausgrundriss.

Mode und Geflügel

Es sind gerade mal 30 Exponate, aber sie bieten tatsächlich ungeheuer viel Gesprächsstoff. Die Kunst unter Pharao Sethos I. etwa zeichnete sich durch ihre Feinheit aus, sein Enkel Ramses II. dagegen war mehr der Typ fürs Grobe. Unter Echnaton wiederum war zuvor ein ganz eigener Stil in Mode gekommen: Das Königspaar sieht man in bequemer Haltung auf weichen Kissen. Die Arme der beiden sind dünn, die Bäuche gewölbt, die Oberschenkel dick. "Ob dies der Realität entsprach, ist umstritten", erklärt Zöller-Engelhardt. Vielleicht ersetzte nur eine künstlerische Konvention die andere.

Klar auszumachen ist dagegen die naturalistische Darstellung von Tieren. "Die Naturbeobachtung war sehr genau", sagt Verhoeven-van Elsbergen. Auf einem Grabrelief sind Kraniche zu erkennen, Enten, Gänse und Tauben. Der Auftraggeber wollte all die Vögel seines Geflügelzuchtbetriebs mit ins Jenseits nehmen. Die Ägyptologin entziffert genaue Zahlen: "Von 121.200 Gänsen ist hier die Rede."

So könnte es immer weitergehen. 3.000 Jahre ägyptische Geschichte, das ist keine Kleinigkeit. Diese Sammlung erzählt davon.