27. Januar 2020
Die Computersammlung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) lädt zum Erforschen und Mitmachen ein. Ursprünglich 1973 gegründet, wurde sie vor zwei Jahren wieder zu neuem Leben erweckt. Ein Team aus sechs Computerfachleuten, die aus verschiedensten Bereichen der Universität kommen, betreut die Sammlung ehrenamtlich.
"Als wir diese neue Bleibe bekamen, waren wir hellauf begeistert", meint Christoph Naethbohm. Mit einer weiten Geste lädt er ein in einen großzügig bemessenen Raum: Auf den rund 300 Quadratmetern im SB II-Gebäude lässt sich die Computersammlung der JGU hervorragend präsentieren – und nicht nur das: Es blieb noch Platz für eine Werkstatt, für einen Bereich, wo sich die frisch eingetroffenen Computer stapeln, und für eine heimelige Couchecke mit alten Fernsehgeräten und Konsolen. "Manche kommen einfach her, um ein paar alte Spiele zu daddeln, sonst sehen wir nicht viel von ihnen. Aber das ist vollkommen in Ordnung. Bei uns ist alles zum Anfassen und wir wollen viel Leben hier haben. Darauf legen wir Wert."
Auf Tischen gereiht stehen Computer, die bis zu 50 Jahre auf dem Buckel haben. Manche sehen recht angegilbt aus, andere wirken wie neu. "Die Geräte selbst sind meist in betriebsbereitem Zustand und was nicht mehr betriebsbereit ist, bringen wir zum Laufen", sagt Naethbohm.
Gegen die Wegwerfkultur
In den letzten zwei Jahren hat sich ein engagiertes Team von sechs Computerspezialisten gebildet, um die Sammlung ehrenamtlich zu betreuen. Es rekrutiert sich aus den verschiedensten Bereichen der JGU. Naethbohm etwa arbeitet als Netzwerker im Zentrum für Datenverarbeitung. "Ich habe den Kern der Sammlung in einem Kellerverschlag der Universitätsbibliothek entdeckt. Er war bis obenhin vollgepackt." Prof. em. Dr. Herbert Kargl vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik trug von 1973 bis 2001 rund 60 Exponate zusammen, die das Aufkommen von Personalcomputern und von ersten autonomen dezentralen Computersystemen dokumentieren. "Ich meldete mich bei Professor Kargl und fragte: Wollen wir das nicht mal aus der Versenkung holen?"
Damit war der Startschuss für die Wiederbelebung der Computersammlung der JGU gegeben: Jeden Donnerstag von 16:30 Uhr bis 21:00 Uhr steht sie mit ihrem angeschlossenen Repair-Café allen Interessierten offen.
Frank Rocker, Systemadministrator am Institut für Anorganische Chemie und Analytische Chemie, gehört ebenfalls zum Team. Gemeinsam mit Naethbohm führt er zu einem ersten Exponat, einer wuchtigen elektrischen Schreibmaschine mit großem Bildschirm aus den 1980er-Jahren. "Sie wurde mit einer Diskette gebootet und man konnte Texte auf einer anderen Diskette speichern", erklärt Rocker. "Wir hatten Kontakt mit Siemens in Berlin. Sie kauften seinerzeit die Firma auf, die dieses Modell produzierte. Aber auch bei ihnen fanden sich keine Unterlagen mehr dazu." Christian Erker, Elektroingenieur am Institut für physikalische Chemie, brachte das alte Stück dennoch wieder in Gang.
"Wir haben eine Wegwerfkultur, was Computer angeht", bedauert Naethbohm. "Die historischen Sachen werden immer weniger und die sich damit auskennen, sterben allmählich aus." Gegen diesen Trend geht das Team der Computersammlung an.
Koffer-PC, Windows 1, Commodore 64
Naethbohm und Rocker gehen die Tische mit den Computern ab. Zu jedem Gerät können sie etwas erzählen. Sie zeigen den ersten IBM-PC von 1984. "Nummer 1" ist auf dem Gerät zu lesen. Daneben steht ein früher Mac desselben Jahrgangs. Rocker bleibt vor einem Computer mit Tragegriff stehen, dessen Tastatur sich einklappen lässt. "Das ist ein Koffer-PC, quasi das erste Notebook."
Apple-Computer waren in den 1980er-Jahren beliebt in der Wissenschaft, vor allem standen sie in der Anthropologie, der Biologie und der Medizin. "Viele Sequenzier-Programme, etwa für die Gentechnik, liefen nur auf dem Mac" erzählt Rocker. "Allerdings waren die Geräte doppelt so teuer wie ein vergleichbarer IBM-PC. Dieser hier aus dem Jahr 1984 kam auf rund 12.000 D-Mark."
Das Gerät schräg gegenüber läuft mit Windows 1: Naethbohm öffnet das Malprogramm PAINT.EXE. Mühsam zieht er mit der Maus einen dunklen Stich über den Schwarzweiß-Schirm. Das Ergebnis ist grafisch gesehen nicht gerade beeindruckend, aber alles funktioniert noch einwandfrei. "Die Computer wurden früher anders konzipiert und gebaut. Sie waren nicht als Wegwerfgeräte gedacht, die Chancen, sie zu reparieren, sind deswegen recht gut. Es sind im Prinzip immer dieselben Komponenten, die versagen: Oft ist es die Mechanik, oder Gummi wird porös."
Es geht weiter zu einer Reihe alter Commodore-Computer – und natürlich zu einem der legendären Commodore 64. Auch hier gibt es wieder ein transportables Gerät. "Dieser C64-Laptop ist eine echte Rarität." Naethbohm legt ein Spiel ein: "Centipede". Die pixelige Grafik auf dem 5-Zoll-Monitor kommt immerhin in leuchtenden Farben daher, doch das elektronische Gedudel zehrt an den Nerven. "Das halte ich nie lange aus", meint Naethbohm.
Helfer und Tutoren gesucht
Auch die frühen wissenschaftlichen Maschinen der JGU haben in der Sammlung ihren Platz. "Manche wirkten wie neu, als wir sie bekamen", erzählt Naethbohm. Rocker deutet auf einen PC mit dem Betriebssystem VMS (Virtual Memory System) von 1977. "Den habe ich diese Woche zum Laufen gebracht. VMS war schon Cluster-fähig und lief auf mehreren Terminals. Cluster waren die Vorläufer der Domänen. Das System zeichnete sich durch seine hohe Stabilität aus und lief sehr sicher, deswegen wurde es noch bis 1995 oder 96 benutzt."
In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Exponate in der Computersammlung verdreifacht, schätzt Naethbohm. Das sechsköpfige Team ist hoch engagiert: Es bietet Führungen an, Schulklassen waren schon zu Gast und immer wieder kommen Menschen, die Rat suchen. "Wir würden gern noch mehr machen. Wir planen zum Beispiel einen Workshop für Raspberry Pi, aber dafür fehlen uns noch Tutoren." Naethbohm hält eine Platine hoch: "Als der Raspberry 2012 rauskam, schlug er ein wie eine Bombe." Das winzige Gerät passt problemlos in eine Handfläche, enthält aber alles, was einen vollwertigen Computer ausmacht. "Mit ihm lässt sich wunderbar experimentieren, außerdem steckt der Raspberry mit 30 Euro vom Preis her alle anderen Rechner in die Tasche."
Seit rund einer Stunde ist die Sammlung mit ihrem Repair-Café geöffnet, allmählich füllt sich der Raum. Die Couchecke ist längst besetzt und mit Daniel Gebhardt, dem Systemadministrator der Abteilung Musikwissenschaften, ist ein weiteres Mitglied des Sechser-Teams aufgetaucht, um Fragen zu bea
ntworten und ein wenig an den Geräten zu schrauben. "Wir haben noch zwei begnadete Elektroniker, aber wir brauchen unbedingt mehr Leute, die sich auskennen", sagt Naethbohm. "Jeder ist willkommen. Wir wollen schauen, dass wir eine Zukunft haben – und wir hoffen, dass wir möglichst lange hier bleiben können. Dieser Raum eignet sich wirklich hervorragend für unser lebendiges Museum."